Nach der Wahlniederlage der Partei „Die Linke“ diskutieren deren Mitglieder über Ursachen und das „Wie weiter?“. UZ sprach mit Alexander Neu, der neun Jahre für „Die Linke“ im Bundestag saß. Nun verpasste er den Wiedereinzug. Bis zur Konstituierung des 20. Deutschen Bundestages, die für den 26. Oktober geplant ist, bleibt er Bundestagsabgeordneter und Obmann seiner Fraktion im Verteidigungsausschuss. Das Interview musste redaktionell gekürzt werden. Die Langfassung gibt es unter kurzelinks.de/linke-neu
UZ: „Die Linke“ hat eine schwere Niederlage bei der Bundestagswahl eingefahren und ist künftig nur noch mit 39 Abgeordneten im Parlament vertreten. Sie selbst sind nicht mehr dabei. Was sind die Gründe?
Alexander Neu: Die Gründe sind vielfältig. Sie fangen an mit dem Umgang mit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015. Die Frage, wie damit umzugehen sei, hat sich ja gerade in Person von Sahra Wagenknecht und Katja Kipping zugespitzt. Und beide Genossinnen sind mit ihren Positionen stark in die Offensive gegangen. Das hat die Partei über Jahre beschäftigt und bei den Wählerinnen und Wählern nicht unbedingt attraktiv gemacht. Die sehr lange Lähmung in der Partei aufgrund dieses Konflikts ist mit ursächlich für die Niederlage.
Hinzu kommt der Wahlkampf. Es war fast ausschließlich „Die Linke“, die einen Lagerwahlkampf gemacht hat. Bündnis 90/Die Grünen, FDP und SPD haben das nicht gemacht. Nur „Die Linke“ – das grenzte an Stalking. Die Partei hat Positionen zur Disposition gestellt, bevor es überhaupt zu Verhandlungen gekommen ist und ist nahezu über jedes Stöckchen gesprungen, das ihr hingehalten wurde. Das ist bei Wählerinnen und Wählern nicht gut angekommen. Im Gegenteil.
UZ: Welche Rolle hat die Afghanistan-Abstimmung im Zusammenhang mit dem desaströsen Wahlergebnis gespielt? Wie bewerten Sie diesbezüglich das Vorgehen in der Fraktion?
Alexander Neu: Ich selber habe mich enthalten. In der Sache, was die völkerrechtliche Frage, die Kriegsschuldfrage, die Niederlage betrifft, all das sprach für ein klares Nein. Für ein Ja sprachen zwei Dinge: Die öffentliche Wahrnehmung und die Tatsache, dass die Menschen wirklich aus Afghanistan raus mussten. Die Frage war aber: Muss das militärisch sein? Da sage ich auch jetzt: Nein. Ein oder zwei Wochen, nachdem die Militärs abgezogen sind, sind auch wieder zivile Flugzeuge in Afghanistan gelandet, um Ausreisewillige aufzunehmen. Bundeswehr und US-Streitkräfte haben vor Ort mit den Taliban zusammengearbeitet, um Evakuierungen durchzuführen. Es hätte also keiner militärischen Flankierung bedurft.
UZ: Warum war der Antrag völkerrechtswidrig?
Alexander Neu: Er war völkerrechtswidrig, weil die alte afghanische Regierung am 15. August geflüchtet war und die Bundesregierung die neuen Machthaber für diesen Einsatz nicht um Erlaubnis gefragt hat. Das hat auch der Völkerrechtler Norman Paech eindeutig festgestellt. Mit diesem Mandat wollte man den gesamten Bundestag in Mithaftung für die vergangenen 20 Jahre Kriegsdesaster nehmen. Das hat „Die Linke“ nicht mitgemacht, weil wir diese Taktik durchschaut haben. Die anderen Parteien und die Regierung haben uns das sehr übel genommen und behauptet, wir würden die Evakuierung ablehnen.
Nicht gut gelaufen ist, dass „Die Linke“ nicht einheitlich abgestimmt hat. Man hätte ein einheitliches Ja, Nein oder eine Enthaltung haben können. Das hätte man der Öffentlichkeit alles erklären können. Dass die Fraktion jedoch alle drei Positionen vertritt – ja, nein und Enthaltung –, das war nicht vermittelbar.
UZ: Teilen Sie den Vorwurf, dass die Friedensposition der Partei aufgeweicht wurde?
Alexander Neu: Jein. Die Situation um die Evakuierung war eine Sondersituation. Das kann man so oder so sehen. Ich habe mich letztendlich enthalten, um zu verhindern, dass noch mehr Fraktionskolleginnen und -kollegen mit Ja stimmen. Ich wollte damit auch deutlich machen, wir können hier einen Kompromiss finden, aber es müssen sich dann auch alle dran halten. Das war jedoch nicht der Fall.
Es gibt natürlich Fraktionsmitglieder, die die Friedensfrage schleifen wollen. Die wollen „Rot-Rot-Grün“ um jeden Preis – im Zweifel auch ohne störende Inhalte. Hauptsache, man ist dabei. Die Friedensfrage ist von großer Bedeutung. Das sieht man ja auch bei der Medienberichterstattung. Andrej Hunko, Diether Dehm, Heike Hänsel, Zaklin Nastic und ich wurden immer wieder gezielt angegriffen. Die Botschaft an „Die Linke“ war eindeutig: Staatsräson – Trennt euch von denen, dann seid ihr eine willkommene, weil in der Außen- und Sicherheitspolitik zahnlose Linke.
Wobei ich gar nicht prinzipiell gegen „Rot-Rot-Grün“ bin. Nur muss ein wirklich spürbarer Politikwechsel dadurch stattfinden. Und das sehe ich unter den gegebenen Bedingungen nicht.
UZ: Was sind die Konsequenzen aus diesem Wahldesaster? Wie müssen sich Partei und Fraktion jetzt mit Blick auf die Zukunft inhaltlich, aber auch personell aufstellen?
Alexander Neu: Zuerst brauchen wir jetzt eine genaue Analyse dessen, was geschehen ist. Und die darf nicht in der Rosa-Luxemburg-Stiftung und auch nicht im Karl-Liebknecht-Haus erstellt werden. Es muss eine externe Beauftragung geben. Da müssen alle Fakten aufgearbeitet werden. Es müssen die Verantwortlichkeiten für das Versagen, für die Fehler identifiziert werden. Und zweitens, wenn sich die Verantwortlichkeiten relativ eindeutig klären lassen, müssen auch personelle Konsequenzen gezogen werden. Das ist aber eine Frage der Partei, denn von dort aus wurde der Wahlkampf geführt. Beim Fraktionsvorstand stellt sich die Frage so nicht. Wenn man jetzt alles austauscht, wird es auch schwierig. Das können nicht nur neue Gesichter übernehmen. Ich würde es daher für fatal halten, jetzt die Fraktionsspitze komplett auszutauschen. Aber in der Partei müssen Konsequenzen gezogen werden, auch personeller Art, wenn eine Analyse zu einem eindeutigen Ergebnis kommt, die mit Namen in Verbindung zu bringen ist.
UZ: In NRW stehen schon bald Landtagswahlen an. Können Sie sich solche Debatten leisten?
Alexander Neu: Immer wieder wurde die Forderung nach einer ehrlichen Aufarbeitung mit dem Hinweis auf anstehende Wahlen abgewürgt. Dass hat uns Zeit zu einem Neuanfang gekostet und den Niedergang verstetigt. Ich bin der Auffassung, wir müssen die Aufarbeitung jetzt leisten. Der erkennbare Wille einer schonungslosen Aufarbeitung kann einen positiven Effekt für den Landtagswahlkampf in NRW mit sich bringen. Ich glaube, die Menschen erwarten auch eine Aufarbeitung. Da geht es auch um die Motivation der Parteimitglieder für kommende Wahlkämpfe.