Die Hauptstadt kuscht vor einem bayerischen Geheimdienst

Womit wird das Vorgehen gegen die VVN-BdA begründet?

Von Ulrich Sander

DKP verurteilt staatlichen Angriff auf die VVN-BdA

Erklärung des Parteivorstands der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)

1945 haben sich nach der Befreiung die Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald versammelt und im Schwur von Buchenwald erklärt: “Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.”

Auf dieser Grundlage hat sich 1947 die VVN als Verband der Verfolgten gegründet. 1971 öffnete sie sich für jüngere AntifaschistInnen, die selbst den Faschismus nicht erlebt hatten, sich aber gegen die neu auflebende Pest der NPD wendeten, und ergänzte den Namen in Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA).

Von Beginn an stand und steht die VVN-BdA gegen den alten und neuen Faschismus und seine Helfer. Sie steht an führender Stelle in der Organisierung des Widerstandes gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit, sie geht gegen den Abbau demokratischer Rechte, gegen den autoritären Staat und die Rechtsentwicklung auf die Straße. Wir finden ihre Mitglieder bei den Ostermärschen und am Antikriegstag als engagierte KämpferInnen gegen den Krieg.

Wenn nun das Finanzamt für Körperschaften in Berlin der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entzieht und damit versucht, sie in den finanziellen Ruin zu treiben, so ist das eine politische Entscheidung gegen das demokratische und friedenspolitische Engagement der Antifaschistinnen und Antifaschisten.

Wir KommunistInnen der DKP verurteilen den auf der Grundlage von Verfassungsschutzberichten gefassten Beschluss der Finanzbehörde auf das Schärfste und verweisen auf das Ende Weimarer Republik vor Beginn der Naziherrschaft, als schon einmal gegen Organisationen vorgegangen wurde, die den Herrschenden nicht passten.

Die DKP fordert die sofortige Einstellung der Beobachtung der VVN-BdA durch den Verfassungsschutz und die Rücknahme dieser fatalen Entscheidung der Finanzbehörde. Wir versichern, dass unser Eintreten gegen Faschismus und Krieg nicht nachlassen wird.

Essen 24.11.2019

In Anerkennung der Tatsache, „dass der aus Überzeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand ein Verdienst um das Wohl des Deutschen Volkes und Staates war“, hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates im Jahre 1953 das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) beschlossen.

Unter den Entschädigten befanden sich auch die kommunistischen Widerstandskämpfer. Es wurde jedoch ein Paragraf eingefügt, der allen die Entschädigung versagte, die gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (FDGO) verstießen, und das waren nach Meinung der Obrigkeit Bürgerinnen und Bürger, die das KPD-Verbot nicht einhielten. So behaupteten es die Behörden und fügten den Hinterbliebenen des Arbeiterwiderstandes erhebliches Unrecht zu. Manche mussten sogar ihre bezogenen Leistungen zurückzahlen. Das Unrecht wurde teilweise wieder gutgemacht, als die Bundesländer auf Anregung der VVN-BdA und der Grünen regionale Härtefonds einrichteten, aus denen „vergessene Opfer“ und auch die Kommunisten Entschädigungsgelder bezogen. „Vergessen“ waren u.a. auch die Schwulen und Lesben, die Roma, die Opfer der Wehrjustiz und die Euthanasiegeschädigten.

In diesen Tagen lebt nun das Unrecht aus der Zeit des Kalten Kriegs wieder auf. Die Organisation des „aus Überzeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleisteten Widerstands“, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten, wurde zur „linksextremistischen“ und verfassungsfeindlichen Vereinigung erklärt. Die Finanzverwaltung von Berlin verlangt auf Grund dieser Erklärung zigtausende Euro Steuern von der VVN-BdA. Nichts ist mit dem „Verdienst um das Wohl des Volkes“, wie es im BEG heißt.

Die Behörde des rot-rot-grünen Senats behauptet, sie sei zu der Maßnahme gegen die VVN-BdA verpflichtet, weil die VVN-BdA im bayerischen (!) Verfassungsschutzbericht steht. Ansonsten steht sie in keinem weiteren. Die Hauptstadt hat sich nach den Weisungen eines bayerischen Regionalgeheimdienstes zu richten?

Das Finanzamt formuliert keinerlei Begründung, außer den Verweis auf Bayern. Und was steht nun im bayerischen VS-Bericht? In den beiden genannten Verfassungsschutzberichten (2016, 2017) heißt es:

„Vielmehr werden (von der VVN-BdA) alle nicht-marxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt.“

Belege werden für diese Behauptung nicht genannt. Es gibt keinerlei Veröffentlichung (und natürlich auch keine unveröffentlichten Beschlüsse) eines Vertretungsorganes der VVN-BdA, in denen die parlamentarische Demokratie als „potenziell faschistisch, zumindest aber als Vorstufe zum Faschismus“ betrachtet wird. Belege dafür enthält der Bericht nicht. Ein Vertreter der VVN-BdA: „Wir sind gerne bereit, regelmäßige Publikationen der Steuerpflichtigen aus fünf Jahren (2013 bis 2017) oder auch mehr vorzulegen, damit sich der Sachbearbeiter beim Finanzamt selbst davon überzeugen kann, dass die Behauptung über das Verhältnis der VVN-BdA zur parlamentarischen Demokratie frei erfunden ist.“ Die VVN-BdA tritt hingegen für die Menschenrechte und die Grundrechte aus der Verfassung ein.

Auch im Bericht im Jahre 2017 findet sich nichts, was die angebliche Ablehnung des parlamentarischen Systems durch den VVN-BdA begründen könnte. Es wird dort zunächst ein Zitat aus einem persönlichen Beitrag von Ulrich Sander in der UZ wiedergegeben: „In dieser Situation ist von breitesten Bündnissen der Blick auf unsere deutsche Verantwortung vor der Geschichte zu richten: Abrüstung und kein Krieg von deutschem Boden aus, kein Ramstein, kein Kalkar, keine Speerspitze im Münsterland. Zutreffend die VVN-BdA-Losung mit Blick auf den Hauptfeind im eigenen Land: ‚Deutsche Großmachtträume platzen lassen‘.“ (aus: UZ)

Sodann wird das Zitat so kommentiert: „Damit bezieht sich Sander (Bundessprecher der VVN-BdA) auf eine Schrift von Karl Liebknecht, wonach die Hauptgefahr für den Frieden vom deutschen Militarismus ausgehe, weshalb der Hauptfeind im eigenen Land stehe. Die Veröffentlichung des Artikels der VVN-BdA in der Zeitung ‚UZ‘ verdeutlicht die Akzeptanz und ideologische Nähe der VVN-BdA zur DKP.“

Sander stimmt in dem persönlichen Beitrag der altbekannten These zu, dass die Antikriegsbewegung die Verantwortung für das Gesehen im eigenen Land trägt und sich nicht mit den nationalistischen Kräften des eigenen Landes gemein macht, die gegen andere Länder ins Horn stoßen. Das ist ein Grundsatz seit über hundert Jahren. Die Einschätzung, dass der Hauptfeind im eigenen Land stehe, mit einer Bekämpfung der parlamentarischen Demokratie zu tun haben soll, ist völlig irrig. Der bayerische VS bringt es fertig, eine Beziehung dieses Grundsatzes zu Karl Liebknecht herzustellen, der bekanntlich vor etwas mehr als 100 Jahren von den selben rechten Kräften ermordet wurde, die heute noch ihr Unwesen treiben. Die Losung vom Hauptfeind gab Liebknecht im Jahre 1915 aus, zu einem Zeitpunkt, in dem es keine parlamentarische Demokratie gab, sondern eine die Freiheitsrechte und Menschenrechte unterdrückende Kaiserherrschaft. Im Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern ist man offenbar der Auffassung, die Menschen hätten sich im Jahre 1915 nicht gegen den auch von deutschen Kräften entfesselten Krieg wehren dürfen sondern sich widerstandslos zur Schlachtbank führen lassen müssen, und dass jeder, der nicht dieser Meinung ist, ein Linksextremist ist. Zudem wird gegen Karl Liebknecht polemisiert und im Nachhinein indirekt den Mördern an Karl und Rosa Recht gegeben.

Mitglieder der VVN-BdA wurden und werden vielfach öffentlich geehrt. All diese Ehrungen wären nicht möglich gewesen wären, falls es sich – außer im Kopf eines Verfassungsschutz-Mitarbeiters aus Bayern – bei der VVN BdA tatsächlich um eine verfassungsfeindliche Organisation handelt. Und auch die Welle von Solidaritätsschreiben an die VVN-BdA, das große positive Medienecho zugunsten des Antifaschismus der VVN-BdA bekunden: Die VVN-BdA ist gemeinnützig wie der gesamte Antifaschismus.

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"Womit wird das Vorgehen gegen die VVN-BdA begründet?", UZ vom 22. November 2019UZ vom 29. November 2019



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