Politische Kunst ist an sich eine schwere Kiste. Politik will primär verständlich sein und auf ein Flugblatt passen. Wenn sie fortschrittlich ist, will sie Aufklärung leisten. Kunst will kein aufklärerisches Flugblatt sein. Politische Kunst versteht das oftmals nicht. Dann klingt sogenannter Zeckenrap wie ein vertontes Soziologieseminar, wo Inhalte geliefert werden, die ungefähr so welthaltig sind wie das Tagesmenü in der Uni-Mensa und, wenn überhaupt, ähnlich gut schmecken.
Der Rapper Disarstar wagt sich nichtsdestotrotz an den Spagat, politische Kunst zu liefern. „Klassenkampf & Kitsch“ zeigt zweierlei Einsichten in zweierlei Notwendigkeiten: Erstens die Einsicht, dass unpolitische Kunst einfach nur Kunst ist, die schlechte, weil unbewusste politische Haltung transportiert. Und zweitens die Einsicht, dass politische Kunst nicht dadurch funktioniert, dass möglichst viele Demosprüche mit eilig zusammengezimmerten Beats unterlegt werden und Zack!, fertig.
„Wenn ich will, kann ich das, was ich muss/diese Mucke ist klassenbewusst.“ Dass solche Lines von einem Rapper kommen, der bei einem Major-Label unter Vertrag steht und dessen Musikvideos damals noch bei MTV liefen, ist hierzulande selten. Der Hamburger Disarstar ist aber eh eine Seltenheit.
Wenn Battle-Rap, dann sind, wie in „Glücksschmied“ (feat. Hanybal), seine Gegnerinnen und Gegner die Christian Lindners und Verena Bahlsens dieser Welt. Wenn die schlimme Kindheit Thema ist, dann nicht als Grundlage des eigenen mackernden Starkseins, sondern als Ursprung fragiler Zustände, Depressionen und Befürchtungen, die 2.0-Version des versoffenen Vaters zu sein. Wenn‘s um Geschlechterrollen geht wie in „Männer & Frauen“, dann als Gesellschaftskritik: „Sich dem Erstbesten versprechen/Schwanger werden und dann Heirat/So kann ein Schwiegersohn zum Sohn werden/Papa wollte immer einen Sohn, einen Sohn als den Thronerben.“
Was nach Wiederholung klingt – auch und vor allem in den Hooks –, zeigt letztlich klug und konsequent mit dem Finger auf die bestehende Scheiße, die leider zu alltäglich ist, als dass man sie noch registrieren könnte. Kunst und Aufklärung – zeigt Disarstar – widersprechen sich nicht zwangsläufig:
„Gemischtes Gefühl/Hier zwischen den Stühlen/Um Knarren zu laden/und Hassi zu tragen/ist bisschen zu warm/Ums nicht zu tun/bisschen zu kühl.“
Die dritte Platte in Volllänge des 26-Jährigen steht trotz der schon im Albumtitel angekündigten Motivbreite und den explosiven Temposprüngen (vor allem im Title-Track) auf starken Beinen. Dass Sebastian Madsen von Madsen da in einem Song („ADHS“) aushilft, ist deshalb unnötig. Eher dann noch Alexa Feser, die im Refrain von „Nie sie“ den schönen Versuch macht, mit dem Singen des Wörtchens „haarklein“ den Beweis zu liefern, dass Worte identisch mit dem sein können, was sie bezeichnen sollen, indem sie „haarklein“ haarklein singt.
Disarstar holt einem mit musikalischer Sorgfalt den roten Stern vom Himmel. „Klassenkampf & Kitsch“ schafft eine Messlatte für linken Rap im deutschsprachigen Raum.
Disarstar
Klassenkampf & Kitsch
Warner Music 2020
CD (limitierte Fanbox): 36,99 Euro
MP3: 10,99 Euro