Überzeugungstreue und Professionalität - Zwei Verteidiger von Frieden und sozialistischem Aufbau sind gestorben

Wolfgang Schwanitz

Frank Schumann

Wolfgang Schwanitz (1930 bis 2022) war ein Geschichtsrevisionist – behaupteten jedenfalls jene, die die deutsche Geschichte revidieren und um die DDR bereinigen wollen. Eine Alternative zu diesem imperialistischen Unrechtsregime gibt es nicht und hat es nie gegeben, meinen sie. Und darum wurde in kaum einer deutschen Zeitung die „dpa“-Meldung gedruckt, dass am 1. Februar 2022 der Generalleutnant a. D. Wolfgang Schwanitz in Berlin gestorben ist. Er war der für die Sicherheit der DDR zuständige Amtsleiter in der Modrow-Regierung. Viele Redaktionen teilten in ihren Online-Nachrichten mit, dass der „Nachfolger Erich Mielkes“ mit 91 Jahren in Berlin das Zeitliche gesegnet habe. Aber in der Flut tausender Belanglosigkeiten, die im gleichen Atemzug im Internet verbreitet werden, verrauscht dergleichen Mitteilung umgehend. Darauf gründet die sogenannte Informationsgesellschaft: Alles wird gesagt und nichts verschwiegen – zurechtfinden muss man sich allein.

Also tragen wir nach, was nicht in den bürgerlichen Printmedien zu finden war. Schwanitz gehörte seit dessen Gründungsphase dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR an. Dieses war – so der DDR-Innenminister Carl Steinhoff in seiner Begründung am 8. Februar 1950 – nötig geworden, um „die volkseigenen Betriebe und Werke, das Verkehrswesen und die volkseigenen Güter vor Anschlägen verbrecherischer Elemente sowie gegen alle Angriffe zu schützen, einen entschiedenen Kampf gegen die Tätigkeit feindlicher Agenturen, Diversanten, Saboteure und Spione zu führen, unsere demokratische Entwicklung zu schützen und unserer demokratischen Friedenswirtschaft eine ungestörte Erfüllung der Wirtschaftspläne zu sichern“.

Der gebürtige Berliner Schwanitz hatte schon bald Kreisdienststellen geleitet und war schließlich in der Welthauptstadt der Agenten – die beiden Teile der Stadt waren noch nicht durch eine Mauer geteilt – mit 28 Jahren zum Leiter der Spionageabwehr in der Verwaltung von Groß-Berlin berufen worden. Nach Jura-Fernstudium an der Humboldt-Universität und Promotion wurde er Chef der Bezirksverwaltung des MfS in der DDR-Hauptstadt, was er zwölf Jahre lang blieb. 1986 ernannte man ihn zu einem der Stellvertreter Mielkes.

Der Generalleutnant war schon lange a. D., als ich ihn kennenlernte und er mein Autor wurde. Als „Geschichtsrevisionist“ (so der Antikommunist Karl Wilhelm Fricke, der vorzugsweise von Wikipedia und anderen Medien zitiert wird, wenn Autoren der „edition ost“ charakterisiert werden) war Schwanitz schon in den 1990er Jahren unterwegs und beteiligte sich in öffentlichen Gesprächskreisen und in Publikationen an der sogenannten „Aufarbeitung“. Er widerlegte Verleumdungen und böswillige Unterstellungen mit Fakten, wie er auch Glorifizierungen widersprach. Wahrhaftigkeit hieß für ihn, selbstkritisch zu den Fehlern und Irrtümern zu stehen. Das nahm ihm mancher Genosse übel, wo­rauf er zu entgegnen pflegte: „Warum gingen wir dann so jämmerlich unter, wenn wir so toll gewesen sind, wie du meinst?“

Schwanitz war im Herbst 1989 nicht Mielkes Nachfolger geworden, denn das Ministerium war de facto aufgelöst und in seine beiden Bestandteile zerlegt worden – in die Aufklärung und in die Abwehr, die nunmehr Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) hieß. Und deren Chef war Generalleutnant Schwanitz geworden: ein erfahrener, umsichtiger Kommunist und ehrlicher Genosse. Das Amt existierte keine zwei Monate, denn der Zentrale Runde Tisch beschloss am 11. Januar 1990 dessen Auflösung. Vier Tage später sorgten westliche Geheimdienste dafür, dass die MfS-Zentrale gestürmt und Unterlagen gestohlen wurden, die umgehend in die USA gebracht wurden. Von dort kehrten sie später als Rosenholz-Dateien zurück, um den Rachefeldzug gegen die DDR und deren Bundesgenossen im Westen erfolgreich fortsetzen zu können.

Gelegentlich warfen einige Gefährten Schwanitz vor, er hätte dies alles verhindern können, was eine Legende ist. Die Akten, also das Wissen des MfS, hätte vielleicht Wünsdorf retten können – doch die sowjetischen Genossen in ihrer DDR-Zentrale wollten die Papiere nicht. Sie glaubten auch nicht an die Ostausdehnung der NATO.
So kam denn alles, wie es gekommen ist.

Mit Wolfgang Schwanitz ist ein wichtiger Zeitzeuge von uns gegangen, ein aufrechter, anständiger Genosse, der ohne die DDR nicht geworden wäre, was er war. Und der seinen Teil leistete, dass diese DDR 41 Jahre existierte und in Europa ein halbes Jahrhundert Frieden herrschte.

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"Wolfgang Schwanitz", UZ vom 11. Februar 2022



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