Mit „Wohnraumversorgungskonzept“ wurde nur die Verwaltung der Misere beschlossen

Wohnungsnot ist in Gießen nicht bedroht

Von Erika Beltz

Nur die Fraktion der „Gießener Linken“ stimmte auf der letzten Stadtverordnetenversammlung gegen das „Wohnraumversorgungskonzept“. Dafür stimmte die Koalition aus SPD, CDU und Grüne sowie die AfD – der Rest enthielt sich. In der Diskussion wurde mehrfach betont, dass dies lediglich ein Handlungsrahmen sei, der „nachjustiert“ und „evaluiert“ werden müsse und an den man sich halten könne – oder auch nicht. Die Nachfrage, was dieses knapp 100seitige Zahlenwerk, dessen zugrunde liegende Angaben zudem umstritten sind, gekostet habe, blieb unbeantwortet.

Es ist allenfalls eine Bestandsaufnahme ohne konkrete notwendige Maßnahmen – ein Konzept der Verwaltung der bestehenden Unterversorgung von Wohnraum in Gießen, vor allem von bezahlbarem.

1 700 wohnungssuchende Menschen stehen auf der Warteliste der Wohnbau – gerade mal 400 Sozialwohnungen sollen in den nächsten Jahren gebaut werden. Dabei ist nicht einmal berücksichtigt, dass im gleichen Zeitraum sehr viele aus der Sozialbindung herausfallen.

Einzige Konsequenz im Konzept: Es soll eine „Koordinierungsgruppe Soziale Wohnraumversorgung“ eingerichtet werden, damit die Dringlichsten am ehesten versorgt werden. Und die anderen gucken weiter in die Röhre.

25 Prozent der Einwohner von Gießen gelten als „einkommensschwach“; die Zahl der für sie bezahlbaren Wohnungen „auf dem freien Markt“ hat von 2011 bis 2014 um zwei Drittel abgenommen. Dennoch weigert sich der Magistrat, bei Neubauten eine Sozialklausel einzuführen, die die Bauträger verpflichtet, eine bestimmte Anzahl (25 bis 30 Prozent) als Sozialwohnungen bereitzustellen. Ein entsprechender Antrag der Fraktion „Gießener Linke“ wurde abgelehnt, obwohl genau dies im Konzept vorgeschlagen wurde und in vielen anderen Städten erfolgreich geschieht.

Fragwürdig sind auch die allgemeinen Bedarfszahlen. Es wird davon ausgegangen, dass bis 2030 rund 5 000, davon etwa 3 500 bis 2020 gebaut werden müssten. Dem liegt eine Bevölkerungsentwicklung zugrunde, die nicht nachvollziehbar ist: es wird davon ausgegangen, dass die Zahl der 18–25-Jährigen um 37% und die der 25–30-Jährigen um 27% abnehmen würde. Und das in einer Universitätsstadt mit immer mehr Studierenden?

Insgesamt ist das Konzept in keiner Weise dazu angetan, an der Wohnungsnot in Gießen etwas zu ändern.

Dazu müsse man, so hatte OB Grabe-Bolz in ihrer Einführungsrede betont, sehr tief in die Tasche greifen und verwies auf die Verantwortung der Bundesregierung. Da hat sie Recht, obwohl es auch ihre Partei, die SPD, ist, die dafür mitverantwortlich ist.

Als Michael Beltz dies später wiederholte, kamen denn auch Missbilligungsrufe aus allen Reihen.

Er nannte zum einen die Hessische Verfassung, in der die ausreichende finanzielle Versorgung der Kommunen vorgeschrieben ist – und gegen die permanent verstoßen wird. Er nannte zum anderen die Steuerpolitik aller Bundesregierungen, die Milliarden für Militär und Kriege ausgibt, während an Sozialausgaben gespart wird, die zum anderen den ins unermessliche steigenden Reichtum nicht besteuert, während die Armen immer mehr werden. Dass auch die Wohnungsnot in Gießen, wie viele andere Missstände, Folge kapitalistischen Wirtschaftens ist, hören die Stadtverordneten der bürgerlichen Parteien nicht gern.

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"Wohnungsnot ist in Gießen nicht bedroht", UZ vom 25. November 2016



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