Erste Branche fällt der Zinspolitik zum Opfer

Wohnungsbau wird abgewürgt

Die Rezession ist in fast allen Euroländern – am stärksten in Deutschland – dank der hohen Inflation bereits eingetreten. Dennoch hat die Europäische Zentralbank am vergangenen Donnerstag die Leitzinsen weiter erhöht, also die Kreditvergabe wieder vermindert und die Wirtschaft in den Euroländern weiter abgebremst. Jetzt beträgt der Leitzins 4,5 Prozent, der höchste Satz seit Beginn der Währungsunion.

Vom deutschen Immobilienmarkt wird berichtet, die höchste je gemeldete Anzahl an Bauprojekten sei storniert worden. Die Berliner Regierung hat ihr Ziel, im laufenden Jahr 300.000 Wohnungen zu bauen und im nächsten Jahr nach dieser Anlaufphase sogar 400.000, längst aufgegeben. Die Bauindustrie schrumpft, während die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum schneller steigt als zuvor. Es wird eine Vielzahl von Gründen dafür genannt – etwa der, dass das Baurecht zu kompliziert, die Bürokratie zu schwerfällig und die Gemeinden zu langsam seien, Baugrund auszuweisen. Und wahr ist auch, dass politische Entscheidungen zur Misere beigetragen haben, vor allem der bewusste Rückzug aus der öffentlichen Wohnbauförderung, der Zuzug in die Städte und die Förderung der Finanzspekulation.

Neben allen diesen Problemen kommen aktuell die stark gestiegenen Zinsen dazu. Für Projektentwickler, Wohnbaugesellschaften, Deutsche Wohnen und Vonovia etc. rechnet es sich nicht, ihre Spekulationsobjekte durchzuziehen. Wer ein Eigenheim bauen oder erwerben will, kriegt die Finanzierung beim erhöhten Zins nicht mehr hin. Die unmittelbare Folge ist, dass der Immobilienboom im vorigen Jahr abgebrochen ist. In den großen Städten des Landes sinken die Kaufpreise für Wohnungen und Eigenheime rapide. Die Immobilienblase ist geplatzt. Der Immobilien-, Bau- und Wohnungsmarkt ist das erste Opfer der Zinserhöhung.

Zur Zeit der Nullzinsen bis vor gut einem Jahr war die Welt noch viel besser: Weil der gemeine Sparer weder bei einer Tagesgeldanlage noch gar bei Sparbriefen oder einer Lebensversicherung eine nennenswerte Verzinsung erhielt, drängte er ins „Betongold“. Er kaufte eine Wohnung, um sie zu vermieten oder sie in einigen Jahren mit Gewinn wieder zu verkaufen. Oder er erwarb Anteile an einem Immobilienfonds. So stieg die Nachfrage nach Immobilien und folgerichtig stiegen deren Preise. Die Nachfrage stieg auch deshalb, weil die Immobilienbesitzer keine Mühe hatten, bei der Bank eine niedrig verzinsliche Hypothek aufzunehmen, um die Objekte zu kaufen. Die immer weiter steigende Nachfrage trieb die Preise für Immobilien nach oben. Schließlich müssen die Eigentümer (ob Privatmann, Immobilienfonds oder „Deutsche Wohnen“), um auf die teure Geldanlage eine entsprechende Rendite zu erhalten, die Miete schön anheben. Weil – besonders in einigen Städten – sich auch zu höheren Mieten immer noch Mieter fanden, stieg das Mietniveau munter weiter.

Das Gemeinsame zwischen damals und heute ist: die Mieten steigen. Damals, um die immer weiter steigenden Immobilienpreise schnell wieder hereinzuholen. Heute, weil die Baukosten davontreiben und die Zinsen rapide weiter steigen. Für die richtige Zinspolitik der Zentralbank ergibt sich hier keine schlüssige Lösung. Mit niedrigen Zinsen ermuntert sie die Spekulation, mit hohen Zinsen würgt sie den Rest an Produktion und Bau auch noch ab. Erste Schlussfolgerung: Der Kapitalismus funktioniert auf dem Wohnungsmarkt noch schlechter als anderswo. Zweitens eine Erinnerung: Als es noch Sozialdemokraten gab, milderten die (und einige Verbündete) das Problem – durch staatlichen Wohnungsbau, staatliche Finanzierung und einigermaßen strikte Regulierung. Das hat einige Jahrzehnte lang sogar einigermaßen funktioniert.

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"Wohnungsbau wird abgewürgt", UZ vom 22. September 2023



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