Wohin – oder zurück zu den Wurzeln?

Von Jörg Miehe

Ist der Entwurf zum Leitantrag für den 22. Parteitag eine konstruktive Antwort auf die Krise der Partei und auf die Defensive der Lohnarbeiter in der BRD und anderswo? Beantwortet er die Frage, „Was tun?“ um aus den Krisen heraus zu kommen?

Der erste Satz in Kapitel I im Abschnitt A des Antrages lautet: „Die DKP ist eine marxistisch-leninistische Partei.“ Dies ist keine Grundlegung oder Analyse. Es ist eine Wunschvorstellung der Parteiführung, die vom nächsten Parteitag bestätigt werden soll. Und es ist eine klare Abgrenzung von allen, die das als DKP-Mitglieder nicht unterschreiben würden.

Die Schreiber erhoffen sich wohl, dass die Klarheit der ideologischen Herkunft Erfolg für die Zukunft verspricht. Andere fürchten dagegen, dass damit sie und weitere aus der DKP verabschiedet werden sollen und die Krise der Partei sich eher vertieft – wenn nicht Schlimmeres. Aber die DKP ist nach Größe und Altersstruktur nicht mehr in der Lage, auf den Test der politischen Wirklichkeit zu warten. Es geht also um ein Vabanque-Spiel. Wird diese Grundsatzposition wenigstens gut begründet? Es wird versucht.

Nach dem Bekenntnis zu Lenins Imperialismus- und Revolutionstheorie wird eine Weiterentwicklung des Imperialismus und des Klassenkampfes in vier Etappen bis zur Krise von 2007 ff. skizziert. Die Variationen in der Internationalisierung des Kapitals werden nicht angesprochen: Der Einbruch der Internationalisierung des Kapitals in allen Aspekten nach 1918 und besonders seit 1933 gegenüber 1914; deren Wiederbelebung nach 1945 unter Aufsicht der USA in ihrem informellen Imperium. Zuerst mit einer regulierten und dann, nach 1975, wieder mit einer eher „wilden“ Internationalisierung. Die entsprechenden ökonomischen und politischen Wirkungen bleiben unkommentiert.

Auch die Veränderungen des geographischen und politischen Handlungsraumes des Kapitals nach 1945 werden nicht thematisiert: Die osteuropäischen Länder nach dem II. Weltkrieg; die Entwicklung nach dem Sieg der chinesischen Kommunisten 1949; die Öffnung des chinesischen Marktes zum kapitalistischen Ausland ab 1980; das Verschwinden des europäischen Sozialismus ab 1990. Das Verhältnis von Kapital und entwickelten Nationalstaaten hat sich in der ganzen Epoche seit 1918 mehrfach gewandelt – nicht nur durch den Charakter der Staaten und ihrer Strategien (z. B. der USA), sondern auch durch die seit 1945 spektakuläre Akkumulation des Kapitals und die dramatische Produktionsausweitung selbst.

Die Diskussion über die vier Etappen wurde nur strömungsintern oder außerhalb der DKP geführt, und daher gibt es keine akzeptierten Ergebnisse für einen Parteitagsbeschluss. Der Antrag versucht nach dem Bekenntnis zum Imperialismus Lenins noch weitere Schritte bis zur Konkretheit der Gegenwart zu finden: Ein paar richtige Bemerkungen zum Charakter der Krise von 2007 sind da zu wenig.

Der Anspruch des Kapitels III von Abschnitt A „Produktivkraftentwicklung und Entwicklung der Hauptklassen“ ist größer, auch der Platz. Aber die dortigen Ausführungen sind so unvollständig und unausgegoren, dass sie nicht kritisierbar sind: etwa die vermutete Relevanz und quantitative Größenordnung des akademischen technischen Personals bei den insgesamt 10 Millionen Beschäftigten der Industrie von 40 Millionen in der BRD insgesamt.

Dagegen ist das Kapitel IV „Widersprüche und Gegenkräfte zur Offensive des Imperialismus“ weniger problematisch, wenn auch nicht zufriedenstellend. Es geht von der Offensive des Kapitals seit 1975 aus. Oppositionsbewegungen gegen das Kapitalregime werden zusammen mit geopolitischen Einschätzungen (z. B. Russland oder China) oder dem deutschen Imperialismus und der EU, wie auch allgemein der Gefährlichkeit des Nationalismus in einer unorganischen Abfolge abgehandelt. Aus Platzgründen fehlt hier die Kritik.

In Teil B „Der Kampf der Kommunisten in der BRD“ wird in Kapitel I „Das Ziel der DKP ist der Sozialismus/Kommunismus“ sehr allgemein behandelt. Damit ist dieser Teil, ähnlich wie der Teil A aufgebaut – es geht vom Allgemeinen aus und soll zum Konkreten führen.

In Kapitel II. „Die ‚antimonopolistische Strategie‘ der DKP heute“ werden, weit entfernt von einer möglichen Wende, spekulative Erwägungen angestellt und über heutige Vorbereitungen dazu.

Im Kapitel III „Unsere Kampfziele und Kampffelder“ wird dann ausführlich und detailliert dargelegt, was wir heute fordern, in die politische (Bündnis-)Praxis einbringen oder öffentlich selber thematisieren sollten. Diese Kampfziele und Kampffelder sind in einer Anordnung vorgestellt, die aus der bisherigen Praxis stammen – erst der Frieden, später die sozialen Interessen der Lohnarbeiter. Hier wären eine innerparteiliche Diskussion und eine mit unseren Bündnispartnern angebracht. Dabei würden wir der sozialen, ökonomischen und auch der politischen Wirklichkeit der BRD näher kommen, von denen im Leitantrag kein Wort steht. Entsprechend gering ist unser Einfluss bei „unseren“ Adressaten! Sollen wir uns darüber wirklich wundern?

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"Wohin – oder zurück zu den Wurzeln?", UZ vom 29. September 2017



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