Das UNO-Flüchtlingslager Dadaab in Kenia soll geschlossen werden, eine Stadt aus Zelten, Baracken, aber auch schon aus Steingebäuden, in der über 300 000 Menschen seit nunmehr drei Generationen leben. Das Lager hat eine Fläche etwa halb so groß wie Saarbrücken, aber doppelt so viele Einwohner. Dadaab, der drittgrößte Ballungsraum Kenias, mitten in der Wüste.
21. Mai 2017 hat die Regierung beschlossen, das hauptsächlich von Somaliern bevölkerte Lager zu schließen, um die Zahl der im Lande befindlichen 600000 Flüchtlinge auf 150 000 zu drücken. Die vom UN-Flüchtlingswerk UNHCR bereitgestellten Mittel reichten längst nicht mehr aus, Unterernährung grassiert in der gigantischen Barackenstadt, in der eine prosperierende Schattenwirtschaft ihre Blüten treibt. Ab Januar ist das World Food Programm (WFP) gezwungen, die monatlichen Nahrungsmittel-Rationen für Kenia zu halbieren, wenn nicht Geberländer mit 13,7 Millionen Dollar einspringen – und Top-Geber für Kenia sind bisher die USA mit 853 Mio. Dollar 2014.
Der kenianische Innenminister versprach, die Rückführung der Flüchtlinge werde „human, in Würde und Sicherheit ablaufen“, während NGOs wie Amnesty International an der Durchführung zweifeln. 400 Dollar Handgeld bekommen die Heimkehrer, die Hälfte bei Abfahrt, den Rest bei Ankunft. Und ein halbes Jahr Unterstützung für den Haushalt, sprich für die Großfamilie.
30 000 Menschen sollen dem Rückkehrerprogramm der UNHCR schon gefolgt sein. Aber das Lager wird nicht kleiner, angeblich leben noch 280 000 dort. Seit dem Schließungsbeschluss ist die Registrierung von Neuankömmlingen eingestellt worden. Das bedeutet, dass die durch illegales Abzweigen von Hilfsgeld und Nahrungsmitteln hervorgerufene Unterernährung und Hunger programmiert sind, es sei denn, das Lager wird geräumt.
Aber wohin sollen die Menschen? Somalia beherbergt selbst 1,1 Millionen Vertriebene aus dem Süden des Landes, das die islamistischen Shebabs kontrollieren. Und nach Einschätzung des „Famine Early Warning Systems Network“ sind in Somalia 5 Millionen Menschen durch die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten bedroht – bis 70 Prozent weniger Regen werden erwartet. Außerdem sind da die politischen Konflikte zwischen der „Zentralregierung“ und einer sich für unabhängig erklärten Regierung von Somaliland, die für März Wahlen angesetzt hat. Kürzlich bekämpften sich Bewaffnete der halbautonomen Gebiete von Galmudug und Puntland, über 75 000 Menschen wurden aus ihren Dörfern vertrieben.
Wahlen sind auch der Hauptgrund dafür, dass die kenianische Regierung das Lager loswerden will. Denn ein Superwahljahr steht dem Land bevor. Im August wird nicht nur ein neuer Präsident gewählt, sondern aufgrund des Dezentralisierungsprozesses des Landes werden seit 2013 in den 47 Counties (Bezirken) u. a. auch Gouverneure, Senatoren und County-Regierungen gewählt. Fremdenfeindlichkeit und das Zeigen von Stärke im Kampf gegen den Terrorismus haben auch hier Hochkonjunktur in Wahlkampfzeiten.
Die Ausweisung der Flüchtlinge beugt auch dem Problem vor, dass Zigtausenden im Lager Geborenen – mittlerweile in dritter Generation – die Aufnahme ins Wählerverzeichnis nicht verwehrt werden dürfte. Bereits im August letzten Jahres erreichte die Auseinandersetzung um die amtierende Wahlkommission IEBC – die Opposition CORD verlangte den Rücktritt von Kommissionsmitgliedern – einen ersten blutigen Höhepunkt. Bei Demonstrationen waren vier Todesopfer zu beklagen.
Es verspricht ein erbitterter Wahlkampf zu werden. Die Zukunft des Flüchtlingslagers wird dabei in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen, im Hintergrund geht es aber auch um den Einfluss von außen. Insbesondere die USA haben in Kenia weiterhin enormen Einfluss und investieren jährlich nahezu eine Milliarde US-Dollar an „Entwicklungshilfe“ im Land, darüber hinaus betreiben etwa zehntausend Missionare hier ihr Geschäft. Auf der anderen Seite ist China zwar Handelspartner Nr. 1, aber der Export geht vornehmlich in Nachbarländer, die EU und USA.
Der bilaterale Handel mit China hat sich seit 2013 verdoppelt, erreichte 2015 über 6 Mrd. Dollar. Die Volksrepublik ist relativ populär nicht erst seit dem Bau der Eisenbahn zwischen Nairobi und Mombasa, die über Uganda nach Südsudan führen wird, dem Bau von Autobahnen und Kraftwerken. Das Afrika-Studio des „Chinese Global Television Network“ (CGTN) befindet sich in Nairobi und macht der mächtigen BBC-Radio Konkurrenz. Die „Jubilee“-Partei von Präsident Kenyatta hatte im August mit der Kommunistischen Partei Chinas sogar offizielle Arbeitsbeziehungen aufgenommen.
Das ist Raila Odinga, ehemaliger Premierminister und Anführer des Oppositionsbündnisses „Cord“, ein Dorn im Auge – er kann sich der Unterstützung aus den USA sicher sein. Wie Gregor Jaecke von der Konrad-Adenauer-Stiftung schon am 31. August voraussagte, werden die kommenden Wahlen „Schlüsselwahlen“ werden.