Der Rockpoet Tino Eisbrenner setzt sich unermüdlich für Frieden und Freundschaft mit Russland ein, ab Juni ist er wieder mit seinem Puschkin-Programm auf Tour, gerade hat er in Moskau an einem internationalen Musikfestival teilgenommen. UZ sprach mit ihm über Russophobie, Radiotauglichkeit und die Aufgaben der Kunst.
UZ: Du stehst seit deinem 18. Lebensjahr auf der Bühne, das macht 40 Jahre Erfahrung. Jetzt traust du dich trotz des russophoben Klimas gemeinsam mit Tobias Morgenstern an ein Puschkin-Programm. Wie kam es dazu und wie ist die Publikumsresonanz auf Puschkin?
Tino Eisbrenner: Zunächst mache ich es ja nicht trotz, sondern wegen der wuchernden Russophobie. Wo man meint, Tolstoi, Dostojewski oder eben Puschkin aus Lehrplänen, Bibliotheken oder Fernsehprogrammen verschwinden lassen zu müssen, um die russische Kultur zu tilgen, und wo man mit Regierungen Hand in Hand läuft, die aus demselben Grund Puschkin-Denkmäler niederreißen lassen, dort müssen denkende Menschen dafür sorgen, dass diese Künstler selbst zu Wort kommen. Nur was man kennt, kann man lieben lernen, und was man liebt, wird man schützen. Besonders gegen politisch motivierten Irrsinn. Und niemand soll mir erklären, dass der Versuch, die russische Kultur zu diskreditieren, eine Folge der russischen Intervention in der Ukraine ist. Die Amerikaner und auch wir Deutschen haben ungleich mehr und ungleich größere Kriege geführt und nie kam die Welt auf den Gedanken, dafür Hemingway oder Goethe tilgen zu wollen.
Und nach der Resonanz auf Puschkin gefragt kann ich nur sagen, dass die Leute sich während unserer ersten Touretappe nach Karten gedrängelt haben. Alle Abende waren rammelvoll, Zusatzkonzerte wurden verabredet. Und das heißt etwas Gutes.
UZ: Die Bundesregierung lässt, geschichtsvergessen, deutsche Panzer über die Gräber des Zweiten Weltkriegs gegen Russland rollen. Was kann das „Lied vom Frieden“ erreichen, wo es um Zivilisation oder Barbarei geht?
Tino Eisbrenner: Das Lied selbst vielleicht erst mal gar nichts aber die Menschen, für die es gesungen wird, können alles erreichen. Lieder sind nicht die Erweckung, aber sie sind oft Soundtrack und sogar Symbol der Erweckten. Friedrich Schillers „Ode an die Freude“ hätte es nicht gegeben, wenn der Gedanke von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht schon geboren gewesen wäre. Schillers Umsetzung dieses Gedankens und natürlich Beethovens Melodie dazu hat dem Gedanken poetische Flügel gegeben und das trägt ihn seitdem durch die Jahrhunderte. Das ist es, was jedes „Lied vom Frieden“ erreichen kann. Es geht um den Weg vom Kopf ins Herz und um etwas Verbindendes zwischen den Menschen. Die Aufgabe von Liedern und Kunst im Allgemeinen.
UZ: Schiller schreibt in „Die Künstler“: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, bewahret sie! Sie fällt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!“ Wo ist heute die Stimme der Künstler, braucht es nicht dringend eine Aktion wie 2003 das internationale Konzert gegen den Irakkrieg? Roger Waters wäre gewiss ein Partner?
Tino Eisbrenner: Nicht alle Arbeit, die Künstler leisten, findet auf großen Open Airs statt. Wir sind in allen Bereichen des Lebens präsent und manchmal erreicht ein Musikschullehrer mit einem Satz mehr als manch Geläut an großen Glocken. Aber es stimmt, wo die politische Dummheit so groß ist, muss die Kultur einschreiten. War es ein unglücklicher Zufall, dass man uns kürzlich in Deutschland als „Nicht systemrelevant“ abwertete und in die nasse Ecke setzte? Ist es wieder nur Zufall, dass man in der aktuellen Kriegskrise zuerst auf die Kultur und ihre Künstler losgegangen ist? Warum möchte man denn Anna Netrebko von deutschen Bühnen verbannen? Weil sie sich nicht gegen ihre Heimat positioniert? Nein, weil man um die Kraft der Kunst weiß – und wenn eine russische Stimme dieser Qualität die Herzen der Menschen erreicht und ihre Sympathien weckt, dann ist es Asche mit der Diskreditierung russischer Kunst, Kultur und Lebensart. Dann glauben die Menschen das Narrativ vom russischen Monster nicht, das uns alle vernichten möchte. Und die gleiche Angst haben die Kriegstreiber vor dem klugen Tolstoi und dem poetischen Puschkin. Und sie hatten sie schon vor dem empathischen Neruda, dem dialektischen Brecht oder dem rebellischen Lennon. Sie alle hat man versucht zu diskreditieren, kaltzustellen und zu vertreiben. Und das waren die Vettern der gleichen Vasallen, die uns heute an den Rand der Katastrophe lenken. Die Kunst wird sich immer gegen diese Mächte stemmen, denn Kunst strebt nach Harmonie und Poesie, während sich Kriegstreiber nach Profit und der Macht des Geldes strecken.
UZ: Du hast gerade in Moskau am Festival „Doroga na Jalty“ (Weg nach Jalta) teilgenommen und dort den zweiten Platz belegt. Herzlichen Glückwunsch! Worum geht es bei diesem Sängerwettstreit?
Tino Eisbrenner: Der Contest steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem 9. Mai, dem dort „Tag des Sieges“ genannten Feiertag, der seit 78 Jahren jährlich begangen wird. Es ist bis heute der wichtigste Feiertag Russlands. Erinnerung, Mahnung, Zusammenhalt, Ehrung der sowjetischen (nicht nur russischen) Helden, die das eigene Land und die Welt vom Hitlerfaschismus befreiten, und zwar unter enormen Opfern, wie wir alle immer noch wissen sollten. Auf Grund eines Vorfalls, den ich in meinem gerade entstehenden Buch „Kraniche“ erzählen werde, entstand 2019 die Idee, einen internationalen Contest zu veranstalten, bei dem die Künstler russische/sowjetische „Lieder des Krieges“, die natürlich allesamt kämpferische oder sehnsüchtige Friedenslieder sind, in ihrer Sprache nachdichten und sich bewerben, sie in Russland zu singen. Im Finale dann singt man es gemeinsam mit einem russischen Star zweisprachig – was mir die Bekanntschaft mit Zara einbrachte. Im vergangenen Jahr wurde das Festival von Jalta nach Moskau verlegt, was logistische, aber auch sicherheitstechnische Gründe hatte.
UZ: Warum war es für dich so wichtig daran teilzunehmen?
Tino Eisbrenner: Ich bin der festen Überzeugung, dass es – gerade von deutscher Seite – Friedenssignale gegenüber Russland braucht. Aber was unsere Politik sendet, ist nichts als Kriegstanz. Zwei Argumente:
1. Wenn es uns wirklich darum ginge, Frieden für die Bevölkerung der Ukraine und auch des Donbass zu erreichen, warum haben wir dann nicht auf die Einhaltung des von uns selbst vermittelten Minsker Abkommen bestanden, in welchem das Ende der Bombardierungen durch Kiew und die Autonomie der Donbass-Republiken vereinbart waren? Frau Merkel hat die Antwort bereits gegeben. Der zu provozierende Krieg gehörte von Anfang an auch zu unserem Plan, bis er endlich eintrat. Nach den ersten gezielten Angriffen Russlands auf militärische Ziele der Ukraine signalisierte Selenski Verhandlungsbereitschaft. Russlands Forderung lautete: Zurück zum – von uns vermittelten – Minsker Abkommen, Absetzung der für den Bruch des Abkommens verantwortlichen politischen Elite Kiews. Warum war das gegen unsere Interessen? Wir waren doch Bürgen dieses Abkommens! Warum beantworteten wir diese russische Forderung mit einem Milliarden-Rüstungspaket für die Vertragsbrecher? Aus den von Frau Merkel eingestandenen Gründen.
2. Wenn unsere Friedenswünsche nun wenigstens heute endlich ehrlich gemeint wären, wem wird Russland wohl zuhören? Einem Deutschland, das den Kriegstanz tanzt, Waffen und Fremdenlegionen entsendet und durch seine Außenministerin Vernichtungsphantasien ausposaunen lässt? Oder einem Deutschland der Dichter und Denker, das keine kulturelle Vernichtung in den eigenen Köpfen anstrebt, sondern gerade über die Kultur nach Wegen zur Verständigung sucht und anbietet? Der Freund wird auf die Kritik des Freundes immer nachdenklich reagieren – auf die Kritik des Feindes nie. Das hat etwas mit Vertrauen zu tun. Was also wollen wir wirklich? Was wollen und können wir erreichen? Ich fand, dass die deutsche Teilnahme an einem Lieder-Contest anlässlich des Feiertages des sowjetischen Sieges über den deutschen Faschismus ein großes Signal für die Völker unserer Länder sein könnte und auch von der Politik beider Länder wahrgenommen werden müsste. Solcher Signale bedarf es zur Stunde, um genau das zu erreichen, was unsere Politik erreichen zu wollen vorgibt. Natürlich kann es auch einfach zur Entlarvung der politischen Lüge führen, was auch nicht ganz wertlos wäre. Solche Überlegungen brachten mich nach Moskau in diesen Zeiten.
UZ: Unlängst hat das Online-Magazin „Deutsche Mugge“ dich für die CD „Kalumet“ und das Buch „Hinterland“ gewürdigt. Was gilt den hiesigen Massenmedien der Prophet im eigenen Land?
Tino Eisbrenner: Nicht das DM-Magazin hat mich geehrt, sondern bei seiner Umfrage, an der etwa 2.000 Leser teilgenommen haben, wurde die „Hitparade der Veröffentlichungen des Jahres 2022 gewählt. Mein CD-Album „Kalumet“ landete auf Platz 1 und das Interviewbuch „Hinterland“ kam ebenfalls in die Top 20. Das hat mich sehr gefreut, weil es bestätigt, dass der Künstler bei seiner Arbeit den Draht zum Publikum hat. Gerade bei zwei solch politisch-rebellischen Produkten ist das ein Rückhalt, den man nicht in Gold aufwiegen kann. Ich denke, das beantwortet auch die Frage nach dem Propheten im eigenen Land. Ich weiß, wie Radio-Hits gehen. Das habe ich in der DDR bewiesen und nach 1990 auch in der BRD. Besonders aus der Zusammenarbeit mit Heiner Lürig sind eine stattliche Anzahl Radionummern hervorgegangen, die in den öffentlich-rechtlichen Sendern laufen. Aber die inhaltlichen Kompromisse, die man dafür machen muss, werden seit einigen Jahren für mich zur Last. Wie hat Brecht formuliert? „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es das Schweigen über so viele Untaten einschließt?“
Tourdaten von Tino Eisbrenner inklusive der Puschkin-Termine unter eisbrenner.de