Genossenschaftlicher Wohnungsbau in der DDR

Wo das Bauland keinen Pfennig kostete

Nach 1954 vollzog sich der Wohnungsbau in der DDR auf zwei Ebenen: der rein staatlichen und einer genossenschaftlichen. Arbeiter-Wohnungsbau-Genossenschaften (AWG) konnten ausschließlich – so das Gesetz – in sozialistischen Großbetrieben, Handelseinrichtungen, Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften oder gemeinsam von mehreren Betrieben gegründet werden. Die Betriebe übernahmen damit gleichzeitig eine Art Patenschaft über die Genossenschaften in Sachen zusätzlicher materieller und finanzieller Unterstützung. Ausschließlich die Belegschaftsangehörigen dieser Gründerbetriebe konnten auch Mitglieder und damit Bauherren wie genossenschaftliche Eigentümer ihrer Wohnungen werden. Die Arbeiter-Wohnungsbau-Genossenschaften bauten also auf volkseigenem Grund und Boden und zahlten dafür keinen Pfifferling. Das Bauland wurde ihnen vom zuständigen Kommunalorgan, dem Gemeinde- oder Stadtrat, entsprechend der vorgesehenen Perspektivenentwicklung des Territoriums und in Übereinstimmung mit den Räten der Kreise und Bezirke zur Verfügung gestellt. Die Staatsorgane trugen die Verantwortung für den gesellschaftlichen Bodenfonds. Sie befanden nach volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten wie nach Bevölkerungsbedürfnissen, also im Interesse wachsenden Wohlstandes darüber. Das AWG-Bauland blieb dabei selbstverständlich Volkseigentum.

Staat gab Kredite

85 Prozent aller Baukosten stellte der Staat in zinslosen, unbefristeten Krediten zur Verfügung, sobald die AWG von dem zuständigen Kommunalorgan wie vom Rat des Bezirkes – vergleichbar etwa mit einer Landesregierung in der Bundesrepublik – zugelassen und registriert war. Das heißt: bis zu 24.000 Mark pro Wohnungseinheit zahlte zunächst der Staat.

Die Preise waren in der DDR stabil. Folglich auch die für Baumaterialien. Es handelte sich um vom Staat beschlossene, verbindliche Festpreise. Staat und Gewerkschaften – die Arbeiter selbst – wachten darüber. Die Relation „bis zu 24.000 Mark pro Wohneinheit“ ergab sich logischerweise aus Faktoren wie: verwendetes Baumaterial, angewandte Technologie, notwendige Vorarbeiten aufgrund der Bodenbeschaffenheit, entsprechende Lohnkosten und ähnlichem, die restlichen 15 Prozent der Baukosten – da ausschließlich Typenbauten errichtet wurden, ließ sich der Baupreis von vornherein genau berechnen – brachten die Genossenschafter auf.

Ein AWG-Anteil kostet 300 Mark

Jedes Mitglied der AWG war verpflichtet, sogenannte Genossenschaftsanteile zu erwerben. Mindestens einen dieser Anteile (generell im Wert von 300 Mark) musste jedes Mitglied erwerben. Es war auch möglich, einen Teil der Zahlung mit Arbeitsleistungen zu verrechnen, die beispielsweise in der eigenen oder auch einer fremden AWG abgeleistet werden konnten. Erhob das Mitglied Anspruch auf eine Wohnung, musste es – je nach Größe der Wohnung – mehrere Anteile kaufen.

  • Für eine 1-Zimmer-Wohnung mit Kochnische und Dusche drei Anteile = 900 Mark.
  • Für eine 1-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad vier Anteile = 1.200 Mark.
  • Für eine 1 ½-Zimmer-Wohnung mit Komfort fünf Anteile = 1.500 Mark.
  • Für eine 2-Zimmer-Wohnung mit Komfort sechs Anteile = 1.800 Mark.
  • Für eine 2 ½-Zimmer-Wohnung mit Komfort sieben Anteile = 2.100 Mark.
  • Für jedes weitere Zimmer zwei Anteile.

55 bis 65 Pfennig pro Quadratmeter

Nicht jeder aber hatte auf Anhieb die volle Summe für den Kauf dieser Genossenschaftsanteile zur Verfügung. Brauchte er auch nicht. Auch hier schoss der Staat das Geld bei Baubeginn vor und ermöglichte so dem Genossenschafter Ratenzahlungen, die sich nach der Höhe des Einkommens richeten und auch dann noch beglichen werden konnten, wenn die neue Wohnung bereits bezogen war. Monatliche Mindestraten in Höhe von 30 Mark bei einem Einkommen bis zu 500 Mark oder von 60 Mark bei einem 800-Mark-Verdienst waren erschwinglich und belasteten das Familienbudget nicht über die Maßen. Lediglich bei Einkommen über 900 Mark waren Mindestraten von 100 Mark vorgesehen. Sollte der AWG-Wohnungsbezieher verziehen oder, aus welchen Gründen auch immer, den Wunsch hegen, aus der AWG wieder auszutreten, wurden ihm die erworbenen Genossenschaftsanteile selbstverständlich in voller Höhe zurückgezahlt.

Und noch einmal Geld: die Miete, die Nutzungsgebühr, wie es im Musterstatut der AWG hieß. Der Quadratmeterpreis lag konstant zwischen 55 und 65 Pfennigen je nach Komfort (eingebaute Kücheneinrichtung, Badezimmerausstattung, Fernheizung und so weiter). Dazu kamen Aufschläge für die Nutzung genossenschaftseigener, selbstgebauter Gemeinschaftseinrichtungen und Nebenleistungen. Die Höhe der Miete insgesamt wurde von einem nicht zur Genossenschaft gehörenden Gremium, dem staatlichen Prüfungsverband der AWG, errechnet und festgelegt.

Sie durfte lediglich die Kosten der AWG decken. Nämlich die Kosten für Wassergeld, Straßenreinigung, Müllabfuhr, Versicherungen, die Bildung des Amortisationsfonds zur Tilgung der Kredite und zur Finanzierung von Generalreparaturen, die Bildung des Fonds für laufende Reparaturen und die Verwaltungskosten der AWG.

Demokratische Selbstverwaltung

Für jede AWG wählte die Mitgliederversammlung – das höchste allein entscheidende Organ der AWG – einen Vorstand, der die laufenden Geschäfte regelte, und eine Revisionskommission, die über die Finanzen wachte. Beide Organe waren der Versammlung der Mitglieder rechenschaftspflichtig. Darüber nämlich, wie die Beschlüsse der Versammlung über den Wohnungsbau zum Beispiel, über die Verteilung der fertiggestellten Wohnungen – hier entschied die Dringlichkeit –, über die Verwendung verfügbarer Finanzen aus den materiellen und finanziellen Hilfsangeboten der Gründerbetriebe beispielsweise oder aus persönlichen Arbeitsleistungen der Mitglieder verwirklicht worden sind. Durch dieses Prinzip konnte niemand bevorzugt, niemand benachteiligt werden und keiner etwa in die eigene Tasche wirtschaften.

Aber: zum Bauen braucht man Land. Zitat aus dem Gesetzblatt, Paragraf 7, Abs. 1: „Den AWG ist nur Nutzung geeignetes, aufgeschlossenes, volkseigenes Bauland für die Errichtung der Wohngebäude und der erforderlichen Gemeinschaftseinrichtungen unentgeltlich und unbefristet zur Verfügung zu stellen.“ Absatz 4: „… Die Wohngebäude sowie das sonstige genossenschaftliche Eigentum sind dinglich nicht belastbar.“

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Das Bauland kostete die AWG nicht einen Pfennig. Die Ursache dafür ist schon Geschichte. Sie reichte bis in die ersten Jahre nach 1945 zurück. Die Möglichkeit, den AWG kostenlos Bauland zur Verfügung zu stellen, ergab sich daraus, dass nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Territorium der damaligen Sowjetischen Besatzungszone die Großkapitalisten, Kriegsverbrecher und Großgrundbesitzer entschädigungslos enteignet wurden. Um Irrtümer auszuschließen: der kleine Privatbesitz – auch an Grund und Boden – blieb unbehelligt, sofern sich seine Eigentümer nicht faschistischer Verbrechen schuldig gemacht hatten. Und das eigene Grundstück hatte im Übrigen auch in der DDR viele Liebhaber.

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"Wo das Bauland keinen Pfennig kostete", UZ vom 17. März 2023



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