Obwohl Willis Gesundheit bereits seit Längerem angegriffen war, erreichte uns, seine Bremer Genossinnen und Genossen, die Nachricht seines plötzlichen Todes doch unerwartet. Wir alle hatten uns darauf gefreut, uns im neuen Jahr wiederzusehen, als Parteigruppe zusammenkommen und unsere politische Arbeit wieder aufnehmen zu können. Nun wird, wenn wir wieder beisammen sind, der Stuhl neben seiner Frau und Genossin Annegret, auf dem Willi stets saß, leer bleiben. Die Lücke, die in unsere Reihen gerissen ist, lässt sich nicht schließen. Es gibt diese seltenen, unersetzbaren Menschen – und Willi Gerns war einer von ihnen.
In einem Bezirk und in einer Parteigruppe gemeinsam mit ihm tätig sein zu dürfen war ein Privileg, das mir jetzt, nachdem Willi gestorben ist, noch deutlicher wird, als es zu seinen Lebzeiten bereits war. Als wir darangingen, in Bremen einen neuen Bezirksvorstand aufzubauen, hatten wir in Willi einen immens klugen und erfahrenen Ratgeber, der uns in diesem Vorhaben unterstützte; eine sichere Bank, auf die wir uns verlassen konnten. Wir, die wir den neuen Vorstand bildeten und zum Großteil erheblich jünger und unerfahrener waren als Willi, waren dabei voller Enthusiasmus und revolutionärem Tatendrang, voller Vorhaben und Pläne. Willi erwies sich in dieser Situation einmal mehr als der große Realist, der wusste, dass es nicht nur darauf ankommt, das Wünschenswerte aufzuschreiben und zu versuchen, es zu verwirklichen, sondern es mit dem Machbaren zu verbinden. Er warnte uns davor, uns in den mannigfaltigen Notwendigkeiten zu verzetteln – und wir mussten einsehen, dass er recht hatte. Durch seine Hilfe zieht unser Schiff nun zwar langsamer, aber unbeirrt, mit festem Kurs zu unserem Ziel, das zunächst Festigung und Aufbau unserer Parteistrukturen, Bildungsarbeit und solidarische Zusammenarbeit in demokratischen Bündnissen bedeutet.
Willi wusste, dass Avantgarde zu sein nicht meint, anderen die eigene Meinung aufzudrängen oder sich, wenn dies zwangsläufig fehlschlägt, selbst zu isolieren, sondern vorbildlich und kameradschaftlich zusammenzuarbeiten, die eigenen Positionen einzubringen und die Positionen der anderen zu respektieren, gemeinsam zu kämpfen und dabei Erfahrungen zu sammeln, Vertrauen in uns Kommunistinnen und Kommunisten zu erwerben. Dass die Aktionseinheits- und Bündnispolitik der DKP zugunsten ultralinker Vorstellungen aufgegeben werden könnte, dass es seiner Generation nicht gelungen sei, ihre Notwendigkeit den nachfolgenden Parteiaktiven ausreichend vermittelt zu haben, war eine große Sorge Willis, die er mir in unserem letzten Telefonat mitteilte. Ich hoffe, dass Willi an dieser Stelle nicht recht behalten wird.
Willi wird fehlen, nicht nur uns Bremer Kommunistinnen und Kommunisten, sondern seiner ganzen Partei, uns allen. Wenn es einen Trost in dieser bitteren Stunde gibt, dann den, dass neben den Erinnerungen aller, die Gelegenheit hatten, Willi persönlich kennenzulernen, auch seine vielen Schriften bleiben werden, von deren Tiefgründigkeit und Aktualität wir noch lange werden zehren können.
Die Mühen der Tageskämpfe nicht zu scheuen und sich nicht auf das bloße Propagieren des Sozialismus zu beschränken, sondern das revolutionäre Ziel im Sinne Rosa Luxemburgs mit dem Kampf um demokratische und soziale Reformen zu verbinden und Übergänge zum Sozialismus zu finden, das ist eine der aktuellen und bleibenden Botschaften des Marxisten und Kommunisten Willi Gerns.
Ohne die Bücher und Artikel, die Willi, oftmals zusammen mit Robert Steigerwald, geschrieben hat, hätte ich als junger Intellektueller nicht den Weg in die Partei gefunden. Dafür bin ich unseren „ideologischen Zwillingen“ dankbar. Und ich bin mir sicher, dass es vielen anderen Genossinnen und Genossen ebenso ergangen ist oder noch ergehen wird.
Danke, Willi, du wirst uns fehlen!