Was die Klinikstreiks über die Arbeiterklasse gezeigt haben

Wissen, was nötig ist

Von Olaf Matthes

„Wer gefährdet hier die Patienten?“, fragt einer der Streikenden im vergangenen Juli im Gespräch mit UZ. Das werfen die Vorstände der Unikliniken Düsseldorf und Essen ihren streikenden Belegschaften vor. Der Intensivpfleger an der Uniklinik Essen berichtet von seiner Station: Drei oder vier Pflegekräfte auf zwölf Patienten – auf der Intensivstation ist das zu wenig. Er streikt für eine Entlastung – damit seine Patienten ausreichend versorgt sind und damit er selbst seinen Beruf bis zur Rente ertragen kann.

Nur: Was heißt Entlastung? Für die Intensivpflege fordern die Streikenden einen Pflegekraft auf zwei Patienten. Was brauchen diejenigen, die Dialysepatienten pflegen, für eine Entlastung? Was die Serviceassistenten, die die Betten machen und das Essen vorbereiten? Wie sieht es bei denen aus, die die Instrumente sterilisieren oder die Klinik putzen, die Wäsche waschen oder den Einkauf planen? Schon dieser Ausgangspunkt unterscheidet den Streik an den Unikliniken von einem normalen Tarifkampf, in dem es um mehr Geld oder weniger Arbeitszeit geht. Denn hier geht es nicht nur darum, den gesellschaftlichen Reichtum ein wenig anders zu verteilen.

Als die Streikenden im Streikzelt neben dem Haupteingang der Essener Uniklinik darüber diskutieren, welche Forderungen sie aufstellen, sprechen sie über die alltägliche Überlastung, die Kollegen krank macht und Krankenhauskeime sich vermehren lässt. Aber vor allem sprechen sie darüber, wie die Arbeit auf ihrer Station, in ihrem Bereich gut gemacht werden könnte: Wie voll können die Siebe mit OP-Instrumenten sein, damit man sie schnell sterilisieren kann? Welche Betreuung braucht ein Patient, der am Beatmungsgerät hängt? Wie viel Zeit sollte sich eine Pflegekraft nehmen, um mit Angehörigen zu sprechen, die zu Besuch auf die Intensivstation kommen? Wie können die Patienten am besten zu Untersuchungen transportiert werden? Nur auf dieser Grundlage können die Streikenden genau festlegen, was sie in den anstehenden Verhandlungen vom Klinikvorstand fordern werden. Die Frage „Was heißt Entlastung?“ zieht die Frage nach sich, wie die gesamte Arbeit im Krankenhaus organisiert ist.

Wer kann das beurteilen? Klinikvorstände und Gesundheitspolitiker sprechen von wissenschaftlichen Verfahren, in denen der Personalbedarf ermittelt werden soll. Der Essener Intensivpfleger sagt: „Wir stehen am Bett. Wir wissen, was nötig ist.“ Der Klinikvorstand muss dafür sorgen, dass die Klinik Umsatz macht – denn die Regierung hat dafür gesorgt, dass die Kliniken wie Unternehmen organisiert worden sind. Damit gilt in der Klinik, was in jedem kapitalistischen Betrieb gilt: Das Management kümmert sich um den Profit, dazu zwingt es die Konkurrenz des Marktes. Die Beschäftigten kümmern sich um die Arbeit, sie tun das, was nötig ist, um gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen – so weit es die Vorgaben von oben zulassen.

Die Beschäftigten machen die Arbeit, sie sind die Experten für diese Arbeit – und haben damit die Fähigkeit, den Betrieb selbst zu lenken. Das haben die Beschäftigten an den Unikliniken Düsseldorf und Essen gerade in dem Moment gezeigt, in dem sie nicht gearbeitet, sondern gestreikt haben. Wer ihnen dabei zugehört hat, konnte ein kleines bisschen erkennen, was Theoretiker wie Karl Marx meinten, wenn sie von der Arbeiterklasse gesprochen haben: Eine Kraft, die die gesamte Gesellschaft neu gestalten kann – wenn sie gemeinsam handelt und den Blick über den eigenen Arbeitsplatz hinaus richtet.

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"Wissen, was nötig ist", UZ vom 26. April 2019



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