Der ANC schneidet bei den Wahlen in Südafrikas befriedigend ab

Wirklich ein „Sieg des Volkes“?

Von Manfred Idler

Offizielle Arbeitslosenrate: 27 Prozent, unter jungen Menschen liegt die Quote sogar bei 50 Prozent. Ein jährliches Wirtschaftswachstum von gerade einmal 0,8 Prozent. Immer noch wird die Kluft zwischen Arm und Reich breiter. Der frühere Präsident hat einen Korruptionssumpf hinterlassen, der bisher allenfalls an den Rändern ausgetrocknet wurde. Eine Regierungspartei, die für solche Missstände die Verantwortung trägt, würde bei freien und gleichen Wahlen in den meisten Ländern weggefegt.

Nicht so in Südafrika. Der Afrikanische Nationalkongress (ANC) hat auch die Parlamentswahlen, die sechsten seit der Befreiung von der Apartheid, mit 57 Prozent der Stimmen überzeugend gewonnen. Das bedeutet, der Vertrauensvorschuss für den ANC seit den Jahrzehnten des Kampfes und Nelson Mandelas ist noch nicht aufgebraucht. Aber damit kann die ANC-Führung nicht zufrieden sein. Denn 57 Prozent, das bedeutet einen Verlust von fast 8 Prozent Wählerzustimmung. Und die Wahlbeteiligung sank auf rund 66 Prozent der registrierten Wähler, vor fünf Jahren lag sie noch acht Prozent höher – gar nicht zu vergleichen mit den 90 Prozent vor 20 Jahren. Glaubt man den Statistikern, so sind es vor allem junge Menschen, die sich von Wahlen keine Verbesserung ihrer teilweise elenden Lebensverhältnisse mehr erwarten.

Der ANC wertet das Wahlergebnis trotz der Verluste als „Sieg des Volkes“. Die Partei war wie schon traditionell in einer Koalition mit dem Gewerkschaftsverband COSATU, der Dachorganisation der Bürgerinitiativen SANCO und der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) angetreten. Innerhalb der SACP ist diese Koalition nicht unumstritten, wird aber immer noch als einzige politische Formation gewertet, die in der Lage ist, den Kampf gegen Chaos und Ruin des Landes zu führen. Sie warnt aber vor korrupten Elementen in der Regierung und der Bewegung. Immerhin seien diese zurückgedrängt worden, seit Cyril Ramaphosa den ANC-Vorsitz übernommen und Jacob Zuma aus dem Präsidentenamt gedrängt sowie mehrere korrupte Minister entlassen habe. Es müsse aber noch mehr getan werden: „Die Gauner und Verräter müssen ins Gefängnis kommen. Die Milliarden Rand, die gestohlen wurden, die Milliarden, die illegal nach Dubai und anderswo transferiert wurden, müssen zurückgegeben werden“, heißt in einem Wahlaufruf der SACP mit dem Titel „Roter Alarm“.

Es ist wohl vor allem die Altlast aus den fast zehn katastrophalen Jahren der Regierung von Zuma, die den linken Rand gestärkt hat. Den „Kämpfern für Ökonomische Freiheit“ (EFF) des ehemaligen Zuma-Kronprinzen Julius Malema bescherten die Wähler einen Sprung von 6,35 auf 10,8 Prozent. Das liegt weit unter dem von der EFF selbst vorhergesagten Ergebnis und enttäuscht deren Anhängerschaft. Vor allem enttäuschte ANC-Wähler und zornige Jugendliche aus den Townships der Provinzen Gauteng, KwaZulu-Natal und Mpumalanga fühlten sich von den linksradikalen Parolen des Maulhelden Malema angezogen.

Die größte Oppositionspartei, die von Weißen dominierte neoliberale „Demokratische Allianz“ (DA), konnte aus dem Zuma-Desaster keinen Honig saugen. Landesweit kam sie auf etwa 21 Prozent der Stimmen, das bedeutet einen Verlust von um die 1,2 Prozent. Die Westkap-Provinz, ihre Hochburg, in der sie seit zehn Jahren die Regierung stellt, konnte die DA aber mit 55 Prozent der Stimmen halten.

Die Verluste der DA entsprechen ungefähr den Zugewinnen der völkisch-faschistischen Vrijheidspartei Plus (burisch VF+, englisch FF+). Ihr Stimmenanteil stieg von 0,9 auf 2,38 Prozent.

In den Vorhersagen hatte es sehr viel düsterer ausgesehen für die alte und neue Regierungskoalition, die Wirkungen des wirtschaftlichen Niedergangs, der zugespitzten Debatte über die Bodenreform und der Ungleichheit sowie hohen Arbeitslosigkeit wurden überschätzt. Es besteht die Gefahr, dass die im ANC überrepräsentierten und lautstarken Vertreter der jungen schwarzen Bourgeoisie das Ergebnis in ihrem Sinn als „Weiter-so“ interpretieren und sich jetzt beruhigt zurücklehnen. Es ist die Aufgabe der Koalitionspartner, die Entwicklung weiter zu treiben im Sinn einer zweiten, radikalen Phase der nationalen Revolution. Dazu bedarf es eines Strukturwandels, in dessen Zug wirtschaftliche Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Unsicherheit systematisch beseitigt werden, wie die SACP in ihrer Erklärung zum Wahlausgang feststellt. Gelingt dies nicht, so wird die Debatte innerhalb der Kommunistischen Partei um ein eigenständiges Auftreten bei Wahlen erneut und noch heftiger als in den letzten Jahren geführt werden.

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"Wirklich ein „Sieg des Volkes“?", UZ vom 17. Mai 2019



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