„Wird der Entwurf der politischen Lage gerecht?“

Von Fritz Sendebeck, Erlangen

Der Leitantrag zum 22. Parteitag muss sich der Frage stellen: „Wird der Entwurf der politischen Lage gerecht?“ Nur wenn das der Fall wäre, lohnte das Feilen an Begriffen und Absätzen. Ich nehme als Beispiel zur Überprüfung den Absatz „Der Charakter der Krise 2007“: Diese Krise wird beschrieben als „typische Überproduktions- und chronische Überakkumulationskrise“, als „weltweite Krise“ und als „Umbruchkrise der Weltwirtschaft“.

Abgesehen davon, dass hier drei völlig verschiedene Krisenbegriffe aneinander gereiht werden: Was ist damit zur Analyse der konkreten Situation ausgesagt, in der diese Krise entstand? Nichts!

Analysieren wir dagegen die reale Wirtschaft im Jahr 2007/2008, so sehen wir drei Dinge:

H eine seit mehreren Jahren zurückgehende Bruttolohnquote am deutschen BIP (im Jahr 1993 lag sie bei 72,9 Prozent, 2008 bei 64,5 Prozent),

H einen seit der Jahrhundertwende kontinuierlich ansteigenden Exportüberschuss vor allem in die europäischen Nachbarländer,

H einen ebenfalls seit Jahrzehnten anhaltenden Rückgang des Arbeitszeitvolumens der deutschen Gesellschaft.

Diese Erscheinungen gilt es im Zusammenhang zu begreifen und deren Ursachen aufzudecken!

Wenn die Bruttolohnquote so stark abgesunken ist, dass dies 2008 allein einen Bruttolohnverlust von etwa 200 Mrd. Euro ausmachte (kumuliert über die Vorjahre waren es mehr als 1 Billion Euro), bedeutet das auch riesige Einnahmeverluste in den Sozialversicherungen.

Es wäre jetzt genau zu analysieren, wie es zu diesem Absinken der Bruttolohnquote kommen konnte! Davon findet sich kein Wort im Entwurf!

Gleiches gilt für das Entstehen des seit Jahren zweistelligen Milliarden-Exportüberschusses der deutschen Volkswirtschaft und für die Folgen daraus für die Importländer.

Auch hier schweigt der Entwurf. Die Arbeitszeitfrage, die in den Zusammenhang der Krise von 2007/2008 zu stellen gewesen wäre, wird stattdessen an anderer Stelle zusammenhanglos aufgegriffen.

Wenn der Entwurf also den Anspruch erheben sollte, der politischen Lage gerecht zu werden, kann ich nur feststellen, dass dies nicht der Fall ist. Was soll aber an einem Entwurf voller Allgemeinplätze und Phrasen und ohne konkreten Bezug zur Wirklichkeit und ohne eine Analyse dieser konkreten Tatsachen punktuell verbessert werden?

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"„Wird der Entwurf der politischen Lage gerecht?“", UZ vom 1. Dezember 2017



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