Statement des Münchner Anti-Krisen-Bündnis

Wir zahlen nicht für eure Krise!

Ob für Arbeitsplätze, öffentlichen Wohnungsbau, Schulen und Kitas, bedarfsgerechte Sozialleistungen und Infrastruktur oder den Ausbau des Gesundheitssystems – seit Jahrzehnten behaupten Politiker:innen der Regierungsparteien, dass dafür kein Geld da sei… Doch plötzlich greift Finanzminister Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD und einer der Chefideologen einer rigiden Spar- und Kürzungspolitik, wegen der sogenannten „Corona-Krise“ historisch tief in die Staatskasse. Aber wer profitiert davon eigentlich?

Der Lockdown reduziert zwar Bewegungen in privaten, persönlichen und sozialen Bereichen auf ein Minimum – der Großteil des gesellschaftlichen Lebens, nämlich die Arbeitswelt (insbesondere Produktion und Industrie) sind davon jedoch weitestgehend ausgenommen. Wir, die wir täglich am Arbeitsplatz und auf dem Weg dorthin in vollen S- und U-Bahnen unsere Gesundheit gefährden, nebenbei die Kinderbetreuung (inkl. Home-Schooling) stemmen und womöglich auf Grund von Jobverlust oder Kurzarbeitergeld irgendwie über die Runden kommen müssen, haben bislang sehr wenig von den aktuellen Maßnahmen außer: der Beschränkung unserer sozialen Kontakte und Freizeitmöglichkeiten und der Einschränkung demokratischer Grundrechte. Wir haben weder ein Recht auf Home-Office, noch gibt es ausreichend arbeitsrechtliche Schutz- und Mitbestimmungsrechte. Auch fehlt es hinten und vorne an risikoarmen Betreuungsangeboten für unsere Kinder und insbesondere an einer ausreichenden finanziellen Unterstützung während der Krise.

Wer rettet hier eigentlich wen?

Von den milliardenschweren Rettungspaketen ist bei uns kaum etwas angekommen. In deren Fokus stehen weniger unsere individuelle Sicherheit oder unsere Gesundheit während der Pandemie.

Sonst müsste ein stattlicher Teil des Geldes in den schnellen Ausbau unseres kaputtgesparten Gesundheitssystems fließen und die dort Beschäftigten mehr Lohn erhalten. Stattdessen wurden allein 2020 21 Krankenhäuser geschlossen, 30 weitere Schließungen stehen bevor.

Ein Volksbegehren, das eine Personaluntergrenze bei der Betreuung einfordern wollte, wurde von der bayerischen Staatsregierung nicht zugelassen.

Statt Kulturschaffende angemessen zu unterstützen, einen Mietenstopp zu verhängen, Sozialleistungen adäquat anzupassen oder die Millionen sogenannter Soloselbständigen und Kleingewerbetreibenden vor der Insolvenz zu schützen, wird das Geld in die Aufrechterhaltung einer überkommenen Wirtschaft gepumpt, deren Maxime nach wie vor das grenzenlose Wachstum ihrer Profite ist. Einer Wirtschaft, der Natur und Mensch egal sind (siehe Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie oder bei den Erntehelfer:innen). Einer Wirtschaft, die Frauen für gleiche Arbeitsleistung immer noch schlechter bezahlt als Männer, Migration nur für die Aufstockung ihrer Kontingente an Billiglohnkräften unterstützt und die die Digitalisierung nur zum Zwecke der Profitmaximierung vorantreibt. Deswegen sind die Debatten um mögliche Verlagerungen in Richtung Home-Office-Tätigkeiten überhaupt nicht daran ausgerichtet, wie wir alle besser und selbstbestimmter leben können.

Die staatlichen Rettungspakete retten also vorrangig ein menschenfeindliches, nicht an unseren Bedürfnissen ausgerichtetes Wirtschaftssystem und sorgen für einen exponentiellen Anstieg des Vermögens der Superreichen.

Wo sind die Milliarden hin?

Denn weltweit sind Milliardär:innen, darunter auch Deutsche, während dieser Pandemie um 2-4 Billionen US-Dollar reicher geworden – das belegen Studien von UBS und Oxfam, Tendenz: steigend. Dagegen wäre eine Auszahlung von einmalig 100 Euro an HartzIV-Empfänger:innen in den Augen der herrschenden Politik „unverantwortlich“. Nach aktuellem Regelsatz stehen HartzIVEmpfänger:innen 17 Euro pro Monat für Hygieneartikel zur Verfügung, was jetzt auch noch für teure FFP2-Masken reichen soll.

Viele prekär Beschäft igte, Soloselbständige und kleine Gewerbetreibende, vor allem aber auch Jugendliche und junge Erwachsene leiden enorm unter den Folgen der Pandemie. Besonders in Kultur und Gastronomie fehlen auf Grund der Schließungen die Einnahmen. Die meisten Minijobs, die bislang einer großen Anzahl Jugendlicher und Student:innen gerade so ermöglicht haben, die viel zu teuren Mieten in den Großstädten bezahlen zu können, sind weggebrochen. Von Rettungspaketen fehlt hier jede Spur. Anstatt jedoch die am stärksten von der Krise Betroff enen fi nanziell zu unterstützen, mehr Lohn für Pfl ege und Krankenhauspersonal zu zahlen – das Tag für Tag sprichwörtlich um unser Leben kämpft – und anstatt den Personalmangel im Gesundheitssystem zu beheben, werden die Rettungspakete und damit unser aller Geld an die Chef:innen und Eigentümer:innen von Großkonzernen verpulvert, denen nicht einmal höhere Steuern zur Gegenfi nanzierung angekündigt werden.

Entlassungen trotz Staatshilfe?

Die bisher 1,35 Billionen Euro schweren „Rettungspakete“ (Fonds zur Wirtschaft sstabilisierung, Kurzarbeitergeld usw.) stellen einen Angriff der Großkonzerne auf alle anderen Klassen und Schichten der Gesellschaft dar; insbesondere auf die lohnabhängige Klasse, welche die ökonomischen Werte in der Gesellschaft erzeugt.

So war zum Beispiel der mit 4,8 Milliarden Euro gerettete TUI-Konzern schon vor der Krise massiv angeschlagen, ist nun aber durch Staatshilfen in der Lage, weiter Extraprofite in Form von Dividenden an seine Gesellschafter:innen auszuzahlen. Ähnlich BMW, Daimler und VW, die trotz Kurzarbeit Milliarden an ihre Aktionär:innen ausgeschüttet haben.

Auch bei der Luft hansa lässt sich der Staat nicht lumpen: Trotz Hilfe in Höhe von 9 Milliarden Euro wird der Staatsanteil (und damit die ohnehin schon minimale öffentliche Kontrolle) so klein wie möglich gehalten. Nicht einmal ein Entlassungsverbot wurde an diese staatliche Unterstützung gekoppelt! Im kommenden Jahr plant der Konzern, mindestens 2.400 weitere Stellen zu streichen, nebenbei musste die Belegschaft bereits auf Aufstockungen beim Kurzarbeitergeld, Zuschüsse zu Betriebsrenten sowie eine Tarifsteigerung verzichten. Bei der Volkswagen-Tochter MAN werden nach den jüngsten Verhandlungen mit der IG Metall 3.500 Stellen gekürzt.

Dem schon vor der Pandemie angeschlagenen Karstadt/Kaufhof-Konzern wurde mit einem Rettungspaket von knapp einer halben Milliarde Euro unter die Arme gegriffen. Nicht dass René Benko, Immobilien-Hai und Besitzer von Karstadt/Kaufh of, nicht selbst in der Lage wäre, seinem Unternehmen durch die Krise zu helfen, wird doch sein Vermögen auf 6 Milliarden Euro geschätzt. Die staatliche Finanzspritze ermöglicht ihm also, noch mehr Luxus-Immobilien in den Innenstädten aufzukaufen, um dort unbezahlbaren Wohnraum und Bürofl ächen entstehen zu lassen, während immer mehr von Benkos Kaufhaus-Filialen geschlossen werden.

Verteilungskämpfe statt internationaler Solidarität

Obwohl arme Länder wie Kuba mit Beginn der Pandemie Brigaden von Ärzt:innen in andere Länder geschickt haben, verweigert die Bundesregierung weiterhin, sich gegen die US-Sanktionen gegen Kuba einzusetzen oder grundsätzlich mit der Sanktionspolitik zu brechen. Auch andere Staaten wie Venezuela, Syrien, China und Iran sind von diesen Zwangsmaßnahmen betroff en. Dabei hatte die Weltgesundheitsorganisation dazu aufgerufen, diese Sanktionen „unter Quarantäne zu stellen“, da sie den Umgang mit der Pandemie erschweren und „Tausende von Leben auf dem Spiel“ stehen.

Die Bundesregierung hat Millionen Euro zur Forschungsförderung an die Mainzer Firma BioNTech und die Tübinger Firma CureVac bezahlt. Diese lassen sich das mit öff entlichen Geldern finanzierte Wissen, das auch auf zahlreichen Forschungen staatlicher (und damit staatlich finanzierter) Hochschulen basiert, patentieren, um im weltweiten Verteilungskampf vorne mitspielen zu können. Arme Länder kommen bisher kaum an die Impfstoff e, weil sich die Industriestaaten den Großteil davon gekrallt haben.

Statt Gesundheitsversorgung und Lebensbedingungen zu verbessern, hat die Bundesregierung angekündigt in diesem Jahr 1,16 Milliarden Euro zusätzlich für Aufrüstung auszugeben, so viel wie nie zuvor. Davon gekauft werden sollen u.a. 130 Kampfb omber, von denen 30 auch US-Atombomben transportieren können. Dazu passend soll die außenpolitische Orientierung wieder enger mit den USA abgestimmt werden, heißt es aus dem Außenministerium.

Ein Jahr Pandemie – können wir so weitermachen?

Weiterhin ist die Pandemie in Europa nicht unter Kontrolle. Während die EU, die das Herunterkürzen vieler Gesundheitssysteme vorangetrieben hat, sich in Sachen Gesundheitsschutz zurückzieht, wird an den EU-Außengrenzen gezeigt, wie handlungsfähig diese „Werteunion“ ist: Gefl üchtete aus genau den Ländern, die von unseren Regierungen auf vielfältige Art zerstört wurden, werden gewaltsam aufgehalten und in Lebensgefahr gebracht. Sie müssen zurück in ökonomisch, ökologisch oder durch Krieg zerstörte Regionen, die obendrein häufig Hoch-Inzidenz-Gebiete sind.

Das aggressive Vorgehen der kapitalistischen Regierungen richtet sich nicht nur gegen andere Länder, es zeigt sich auch im Inneren: Während Hotelzimmer leer stehen, werden Gefl üchtete unter unwürdigen Bedingungen in Lagern zusammengepfercht und Obdachlose in der Kälte sich selbst überlassen – nicht alle schaff en es durch den Winter.

Ein Blick auf die Strategien zur Pandemiebekämpfung in vielen Teilen der Welt zeigt uns: Es geht auch anders. Wir müssen die Infektionskurve nicht nur drücken, sondern kontrollierbar machen. Das funktioniert aber nur mit einem zeitweisen Aussetzen jeglicher nicht-notwendigen Produktion. Statt Lockdown im Privaten braucht es einen Shutdown in der Arbeitswelt. #Zero-Covid funktioniert nur solidarisch: Mit Lohnfortzahlung und Kündigungsverbot, mit Mietenstopp und Home-Offi ce-Regelungen, fi nanziert durch eine Abgabe auf hohe Vermögen.

So nehmen wir das nicht länger hin!

Diese Krise ist keineswegs vom Himmel gefallen: Das Virus ist ein Brandbeschleuniger in einem auf immer tönernen Füßen stehenden kapitalistischen System, das sich einerseits darauf beschränkt, die Ausbreitung der verschiedenen Corona-Varianten samt Mutationen in den Fokus politischer Maßnahmen zu rücken und sich andererseits selbst neu aufzustellen beginnt: mit dem Begriff „systemrelevant“ wird eine Spaltung der Werktätigen in „nützlich“ und „nicht nützlich“ betrieben, Bildung, Kultur und echte Sozialleistungen werden damit als nicht wirklich wichtig für unser gesellschaft liches Zusammenleben kategorisiert.

Dieses System hat auch die Klimakrise zu verantworten, weil der nicht enden wollende Raubbau unserer Rohstoffe und die massiven Eingriff e in die Natur sämtliche ökologischen Gleichgewichte ausgehebelt haben. Immer mehr Wissenschaft ler:innen warnen davor, dass wir kurz davor stehen, die sogenannten Kipppunkte zu erreichen. Das hätte zur Folge, dass uns gewaltige Natur- und Umweltkatastrophen bevorstehen, wenn wir nicht schnellstens handeln.

Deswegen müssen wir aktiv werden und gemeinsam auf die Straße! Als Anti-Krisen-Bündnis stehen wir zusammen gegen die Krisen des Kapitalismus für eine solidarische und sozialistische Zukunft . Für eine Gesellschaft, in der nicht Profi tinteressen, Konkurrenz und Kriegstreiberei im Vordergrund stehen, sondern die Bedürfnisse der Menschen: eine demokratisch organisierte Wirtschaft , Frieden und internationale Solidarität.

Wir müssen uns organisieren

und den Kampf aus der Vereinzelung und den Betrieben auf die Straße bringen, gemeinsam mit den Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Aktivist:innen.

Wir kämpfen dafür, dass die Lasten der Krise nicht auf unseren Rücken abgewälzt werden und fordern:

  • Schluss mit der Umverteilung von unten nach oben! Reiche zur Kasse: Abgaben auf große Vermögen, Vermögensteuer und höhere Unternehmensteuer! Schuldenbremse abschaffen, kommunale Schulden streichen.
  • Daseinsvorsorge statt Profitzwang! Mehr Personal im Gesundheitsbereich! Schluss mit Privatisierungen! Privatisierte Bereiche des Gesundheitsbereichs und des ÖPNV zurück in die öffentliche Hand! Demokratische Kontrolle durch Belegschaften, Patient:innen, Bewohner:innen bzw. Nutzer:innen.
  • Bessere Bezahlung und mehr Personal! Kein Abbau von Arbeitsplätzen bei Schließung von Betrieben! Arbeitszeitverkürzung für alle, bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Aufteilung der vorhandenen Arbeit auf alle!
  • Ausbau statt Abbau sozialer Leistungen! Kein weiterer Abbau demokratischer Rechte unter dem Deckmantel der Pandemiebekämpfung!
  • Mehr Geld für Bildung, soziale Gerechtigkeit und Kultur – kein Geld für Militär, Konzerne oder Milliardär:innen!
  • Kein Geld aus öffentlichen Kassen für Unternehmen, die entlassen wollen – sondern Enteignung und Verstaatlichung unter demokratischer Kontrolle!

Das Anti-Krisen-Bündnis besteht aus folgenden Münchner Gruppen (März 2021):

Deutsche Kommunistische Partei (DKP), Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM), Internationale Sozialistische Organisation (ISO), Münchner Gewerkschaftslinke (MGL) – Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), Zukunft erkämpfen

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