In Berlin droht sich die Spaltung der Friedensbewegung zu verfestigen. Die Berliner Linkspartei, die VVN-BdA der Hauptstadt und Teile von attac hatten sich bereits vom Berliner Ostermarsch distanziert. Sie hatten der Friedenskoordination Berlin (Friko), die den Ostermarsch seit Jahrzehnten mit all denen vorbereitet, die ein Interesse daran haben, zuvor „Rechtsoffenheit“ vorgeworfen. Nach Ostern gründete sich in Berlin ohne jede Diskussion mit der Friko eine „Antikriegskoordination“, unter anderem organisiert von den Naturfreunden Berlin. Neben der traditionellen Kundgebung der Friko zum Antikriegstag am 1. September rief diese „neue Friedensbewegung“ (Neues Deutschland) zu einer Demonstration am 2. September auf. Sie fand Unterstützung durch die Informationsstelle Militarisierung aus Tübingen und die bundesweiten Initiative „Rheinmetall entwaffnen“. Angeführt wurde die Demonstration mit 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeitweise von Janine Wissler, Vorsitzende der Partei „Die Linke“.
UZ dokumentiert Auszüge aus der Rede der Publizistin Wiebke Diehl, die am 1. September auf der Kundgebung der Friko an der neuen Wache vor mehr als 800 Teilnehmern sprach. Weitere Reden, unter anderem der ver.di-Kollegin aus dem Gesundheitsbereich Charlotte Rutz-Sperling, gibt es im UZ-Blog und unter frikoberlin.de.
„Und die, die hier mit Friedenstauben rumlaufen, sind deshalb vielleicht gefallene Engel, die aus der Hölle kommen, weil sie letztlich einem Kriegstreiber das Wort reden“ – so Bundeskanzler Olaf Scholz am 19. August auf einer Wahlkampfrede in München.
Nein, Herr Bundeskanzler! Nicht wir reden einem Kriegstreiber das Wort.
Ja, dieser Krieg ist furchtbar. Er kostet Leben und beraubt unzählige Menschen ihrer Heimat und ihrer Existenz. Sie werden gnadenlos geopfert auf dem Altar eines Stellvertreterkriegs, den die Ukraine nicht gewinnen kann. Dafür verantwortlich sind auch all diejenigen, die einem Siegfrieden weiter das Wort reden.
Die unsägliche Diffamierung des Bundeskanzlers tut lange nicht so weh wie die Angriffe, die von Teilen der Friedensbewegung und der Partei „Die Linke“ auf uns gefahren werden. Wir sind daran gewöhnt, dass sich die Verfechter von Aufrüstung und Militarisierung in der Bundesregierung von uns gestört fühlen. Denn wir sind der Stachel im Fleisch ihrer verantwortungslosen Politik. Wir wenden uns laut dagegen, dass die Bundesregierung mit ihrem Rüstungsetat, den sie nächste Woche in den Bundestag einbringen wird, zum ersten Mal das 2-Prozent-Ziel der NATO erreicht. Wir sagen nein zu ihrem Ansinnen, die Mittel für die – wie es im Jargon der Bundesregierung heißt – Nachwuchswerbung für die Bundeswehr um fast 65 Prozent zu erhöhen.
Die Vorwürfe lauten, wir seien „rechtsoffen“, weil wir uns weigern, Menschen vorzuverurteilen, weil sie schon mal auf einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung waren. Weil wir den geheimdienstartigen Methoden, aufzulisten, wer mal mit wem auf der gleichen Veranstaltung war oder gar mit jemandem gesprochen hat, der jemanden kennt (…) nicht folgen wollen. Diese Vorwürfe spalten und schwächen die Friedensbewegung. Und das nutzt einzig den kriegerischen Kräften, allen voran der Ampel-Koalition, die dazu noch mit ihren Sanktionen, die Deutschland weit härter treffen als Russland, einen sozialen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt.
Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass wir jede Zusammenarbeit mit Faschisten und Rechten ablehnen. Für uns ist – ganz besonders am heutigen Tag – die Maxime „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ zentral und leitend. Aber wir wollen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die gegen Waffenlieferungen und für eine diplomatische Offensive ist, auch nicht der AfD überlassen.
27 Millionen Sowjetbürger haben im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren. Ihnen haben wir unser aller Befreiung vom Faschismus zu verdanken. Und was tut diese geschichtsvergessene Bundesregierung? Nicht nur lässt sie wieder deutsche Panzer in Richtung Osten rollen. Sie befördert auch in guter alter deutscher Manier die Darstellung der Russen als zivilisationsferne Barbaren – sekundiert von den sogenannten Qualitätsmedien.
Besonders gerne spricht die wertebasierte Bundesaußenministerin vom „Hungerkrieg“, wahlweise auch vom „Kornkrieg“ Moskaus. Weil „Putin“ den Export ukrainischen Getreides für die Hungernden dieser Welt verhindere. Aber schaut man sich die offiziellen Zahlen zu ukrainischen Getreideexporten an, wird offensichtlich, dass ausgerechnet im Globalen Süden ein viel zu geringer Teil ankommt. Zugleich verhindern die Sanktionen den Export russischer Nahrungsmittel und russischen Düngers. Ja, auf dem Papier sind diese von den Sanktionen ausgenommen. Faktisch aber verkommen die Ausnahmen wegen der Sanktionen gegen den russischen Finanz- und Transportsektor zur Farce. Um 25 Prozent ist die Verfügbarkeit von Kunstdünger im subsaharischen Afrika seit Februar 2022 eingebrochen. Das sagt nicht „Putin“, sondern das Internationale Zentrum für Düngemittelentwicklung im US-Bundesstaat Alabama. Die Auswirkungen sind fatal. Wer also führt nun einen „Kornkrieg“?
Wie man Hunger als Waffe einsetzt, hat die Bundesregierung übrigens gerade in Niger gezeigt. Weil der Uran-Bedarf der EU natürlich oberste Priorität hat, unterstützt Annalena Baerbock die ECOWAS-Sanktionen, die aber faktisch ein Komplett-Embargo mit schlimmsten humanitären Folgen darstellen. Dabei hat Frau Baerbock doch gerade erst zugegeben, dass Sanktionen nicht wirken. Wahrscheinlich ist ihr das genauso rausgerutscht wie ihre Kriegserklärung an Russland zu Beginn des Jahres.
Man kann es nicht anders sagen: wir haben eben die dümmste Regierung Europas. Wie, zum Teufel, Herr Bundeskanzler, kann man einem solchen gefallenen Engel das Bundesaußenministerium anvertrauen?