UZ sprach mit Jonas Schwabedissen und Jurek Macher über den Arbeitskampf im öffentlichen Dienst. Jonas Schwabedissen ist Krankenpfleger an der Essener Uniklinik. Im Streik für Entlastung 2018 war er zeitweise Mitglied des Streikkomitees. Jurek Macher macht eine Ausbildung zum Krankenpfleger an der Essener Uniklinik.
UZ: Am Wochenende treffen sich die Vertreter von ver.di und Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) zur dritten Verhandlungsrunde über den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L). Denkt ihr, die TdL wird ihre Blockadehaltung aufgeben und versuchen, euch mit einem schlechten Angebot abzuspeisen?
Jonas Schwabedissen: Zumindest hatte ich bisher nicht den Eindruck, dass es bei den Arbeitgebern „klick“ gemacht hat und sie verstanden haben, dass die Beschäftigten auf ihre Kampfansage reagiert haben. Ich kann mir aber vorstellen, dass sie nach den letzten Warnstreiks gerne einen Deckel auf die Tarifrunde machen möchten und ein Angebot vorlegen.
UZ: Kann es sein, dass die Pandemie weitere Streiks an den Unikliniken verhindert?
Jurek Macher: Die Arbeitgeber versuchen jetzt schon, die Pandemie gegen den Streik auszunutzen und behaupten, der Streik gefährde Patienten.
UZ: Was erwartet ihr von den ver.di-Verhandlungsführern?
Jonas Schwabedissen: Ein schlechter Abschluss würde uns massiv schaden und Kollegen resignieren lassen. Aber die Beschäftigten im Bereich des TV-L sind kaum organisiert, dazu die Pandemie – es ist schwierig.
UZ: Ich hatte den Eindruck, dass viele Kollegen sich auf einen längeren Streik einstellen. Ihr auch?
Jurek Macher: Ich glaube, die meisten haben doch eher eine Warnstreikhaltung: Heute gehe ich mal raus, das war es dann. Wir haben zwar mehr Warnstreiktage als sonst, aber es ist nicht bei allen angekommen, dass diese Tarifrunde keine Routine ist.
Jonas Schwabedissen: Ich glaube, mental hat jeder, der sich mit der Organisation dieses Streiks befasst, angefangen zu überlegen: Was passiert denn, wenn die dritte Verhandlungsrunde platzt? Aber solche relativ groß angelegten Warnstreiks zu organisieren läuft ja nicht von selbst – da ist es wie im Fußball: Man denkt von Spieltag zu Spieltag.
UZ: Wir sprechen unmittelbar vor dem nächsten Spieltag miteinander. Was wird diese Woche passieren?
Jurek Macher: Am Donnerstag wird es den Streikhöhepunkt in Düsseldorf geben: Alle streikenden Landesbeschäftigten treffen sich dort und demonstrieren. Wir haben für die vier Streiktage ein Programm geplant, mit dem wir den Streik inhaltlich unterfüttern und mit Gästen aus anderen Betrieben die Solidarität von außen zeigen wollen.
Jonas Schwabedissen: Und wir streiken wirksam – die neue Notdienstvereinbarung sieht weitere Stationsschließungen vor. Wir weiten den Streik aus.
UZ: Heißt das, dass die Beteiligung größer sein wird?
Jonas Schwabedissen: Das wird man sehen. Wir hoffen es natürlich.
UZ: An den bisherigen Warnstreiks haben sich relativ viele Azubis beteiligt. Was hat diese Kolleginnen und Kollegen dazu gebracht?
Jurek Macher: Ja, zumindest am letzten Streiktag haben wir es geschafft, einige Azubis rauszubekommen. Das war schön, ist aber noch ausbaufähig. Manche sagen aber: Ich war wegen Corona anderthalb Jahre nicht in der Schule, ich habe ultra viel Stoff nachzuholen und bald Examen – da kann ich nicht streiken. Die Ausbildungsqualität hat unter Corona gelitten und die Azubis müssen das individuell nachholen.
UZ: Könnt ihr den Streik dazu nutzen, mehr Kollegen in die Gewerkschaftsarbeit einzubinden?
Jurek Macher: Auf jeden Fall. Wir haben es geschafft, mit unserer ver.di-Jugend-Betriebsgruppe an der Pflegeschule präsent zu sein, und wir schaffen es, bei der Jugend zumindest einzelne Leute mehr einzubinden, die vorher nicht so aktiv waren.
Jonas Schwabedissen: Neue Mitglieder kommen natürlich am ehesten im Streik zur Gewerkschaft, das funktioniert. Durch die Arbeitsstreiks vor den Warnstreiks konnten wir neue Leute einbinden und neue Kollegen übernehmen im Streik Aufgaben in der Gewerkschaft. Das sind schon Ansätze für eine Verbreiterung unserer gewerkschaftlichen Arbeit an der Uniklinik.
UZ: Auch wenn ihr es schafft, mehr Lohn zu erkämpfen, werden eure Arbeitsbedingungen schwer erträglich bleiben. Lohnt es sich, so viel Energie in diesen Kampf zu stecken?
Jurek Macher: Natürlich lohnt sich das. Wir diskutieren: Die Arbeitsbedingungen sind scheiße, also bezahlt uns wenigstens vernünftig. Der nächste Schritt ist, wieder für Entlastung zu kämpfen – dafür wollen wir uns in dieser Tarifrunde vorbereiten und organisieren.
Jonas Schwabedissen: Die Arbeitgeber behaupten gerne, dass es nur um die Arbeitsbedingungen und nicht ums Geld gehe. Das stimmt für die Pflege nicht und es stimmt erst recht nicht für andere Berufe, die teilweise deutlich weniger verdienen. Abgesehen davon lohnt es sich immer, sich gegen die Angriffe der Arbeitgeber zu wehren – schon wegen des organisierenden Effekts.
UZ: Ihr stellt euch darauf ein, dass ihr bald wieder für Entlastung kämpfen werdet?
Jonas Schwabedissen: Wir wollen das Thema Entlastung bei uns im Haus wieder angehen und wir wollen es mit möglichst vielen Gleichgesinnten an anderen Häusern angehen.
UZ: 2018 habt ihr lange für Entlastung gestreikt und eine Vereinbarung mit dem Vorstand erkämpft. Warum sind trotzdem viele Kollegen von dem Streik damals enttäuscht?
Jurek Macher: Ich höre oft: Es hat nichts gebracht. Tatsächlich hält sich der Arbeitgeber an vieles nicht, was vereinbart worden ist. Teilweise nehmen es die Kollegen auch nicht wahr – zum Beispiel, dass mit diesem Streik erreicht wurde, dass es nicht mehr normal ist, in der Nachtschicht alleine auf einer Station zu sein.
Jonas Schwabedissen: In einigen Bereichen hat sich die Personalausstattung durch die Vereinbarung schon verbessert. Aber die Durchsetzung der Vereinbarung ist extrem schwierig, das würde erfordern, dass die Teams sich jeden Tag aufs Neue gegen jede Unterbesetzung aktiv wehren. Aber man darf auch nicht vergessen: Es gibt durchaus Leute, die den Streik von 2018 in guter Erinnerung haben.
UZ: Heißt das, dass die große Energie von 2018 einfach verpufft ist?
Jonas Schwabedissen: Ja, das muss man sicherlich so sagen. Die Fluktuation ist in der Pflege extrem hoch – das hat mit der Arbeitsbelastung zu tun, die Leute kündigen ja nicht nach einem Jahr, weil es ihnen so gut gefällt. Diese Berufsflucht bedeutet auch, dass es nur wenige tradierte Erfahrungen aus der Auseinandersetzung von 2018 gibt. Und das Ergebnis, das wir damals hatten, ist in einigen Bereichen ganz gut, aber es ist auch nicht toll. Es hat sich nicht so angefühlt, als würden wir für jede Minute aus elf anstrengenden Wochen Streik belohnt. Das hat viel Kraft gekostet – und Motivation.
UZ: Das klingt ziemlich pessimistisch.
Jurek Macher: Na ja, ein Arbeitskampf ist eben ein Kampf. Wir versuchen, uns in dieser Tarifrunde vorzubereiten, um weiter für Entlastung kämpfen zu können.
Jonas Schwabedissen: Ich glaube, diese Bewertung ist nicht unbedingt pessimistisch. Man darf nur nicht glauben, dass in den Krankenhäusern eine geschlossene Belegschaft aus jungen, wütenden, politischen Pflegekräften auf die Pflegerevolution wartet. Eine so große Auseinandersetzung erfolgreich zu führen bedeutet viel kleinteilige, kleinschrittige Arbeit, man braucht dafür eine Organisation, die in die Tiefe des Betriebs geht. Diese Organisation aufzubauen und zu erhalten ist immer wieder viel Arbeit, und wenn man die macht, dann bin ich sehr optimistisch.