Wir sind viele und eins

Anne Rieger zum 1. Mai des DGB

Unser 1. Mai ist untrennbar mit dem Kampf um Arbeitszeitverkürzung, Lohnerhöhung und Frieden verbunden. Dass die DGB-Spitze nun ausgerechnet Andrea Nahles eingeladen hat, auf der Hauptkundgebung des DGB in Gelsenkirchen ein „Grußwort“ zu sprechen, ist Verhöhnung unseres jahrzehntelangen Kampfes. Die Arbeitsministerin, Mitglied der neoliberalen Koalition, hat im November ihre Pläne zur Lockerung bei den Arbeitszeitschutzvorschriften vorgelegt. In einer zweijährigen Probephase will sie Arbeitgebern und Gewerkschaften mehr Flexibilität gestatten, als es das Arbeitszeitgesetz vorsieht. Über die Arbeitszeit solle in Betrieben verhandelt werden.

Wir sind viele. Wir sind verschieden, aber wir kämpfen gemeinsam für unsere Interessen. Wir kämpfen für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, denn wir sind gegen Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und ungewollte Teilzeitarbeit, gegen Leiharbeit, Befristungen und Hartz IV. Wir kämpfen für einen höheren gesetzlichen Mindestlohn, höhere Löhne, eine gesetzliche Mietobergrenze, gegen jegliche Privatisierung, auch bei Rente und Autobahnen. Wir kämpfen für soziale Rechte und bessere Lebensbedingungen für alle Menschen. Damit können wir den Einfluss rechtsextremer Parteien zurückdrängen. Die reichsten zehn Prozent besitzen die Hälfte der Vermögen, deswegen fordern wir einen höheren Spitzensteuersatz und Vermögenssteuern.

Wir kämpfen gegen Aufrüstung und für Rüstungskonversion, sowie gegen Bundeswehreinsätze. Gemeinsam mit 100 Bundesverdienstkreuzträgern fordern wir den Stopp der Rüstungsexporte und der Verhandlungen über Freihandelsabkommen. So sind Fluchtursachen zu bekämpfen. Und wir wollen ein Verbot von Bundeswehroffizieren an den Schulen.

Wir kämpfen für die Interessen der abhängig Beschäftigten, der Solo-Selbs­tständigen, der Arbeitslosen, Rentner und Rentnerinnen, der zu uns Geflüchteten, aller Marginalisierten der Welt, man könnte auch sagen der Arbeiterklasse und ihrer Bündnispartner. Wir kämpfen gegen die Konzernherren, die Regierung, die EU-Kommission, die Ausbeuter dieser Welt, man könnte auch sagen die Kapitalistenklasse und ihre Helfershelfer.

Wir wollen am 1. Mai über unseren Begriff von sozialer Gerechtigkeit sprechen. Das sind die alten Forderungen der Arbeiterbewegung: grundsätzlich gleiche soziale Bedingungen und Möglichkeiten für die freie und allseitige Entwicklung des Menschen, es geht um gerechte Verteilung materieller Güter der Gesellschaft, um Gleichbehandlung, Gleichberechtigung, Verbot jeglicher Diskriminierung, gleiche Bildungschancen und Frieden für alle Menschen auf der Welt. Deswegen müssen Parteien verboten werden, die Rassenhass, Antisemitismus und Intoleranz verbreiten.

Deswegen gehen wir gemeinsam am 1. Mai auf die Straße. Aber wir lassen aus dem Kampftag der Arbeiterklasse keine Wahlveranstaltung für die neoliberale Sozialabbau-Spitze der SPD machen. Wir sind nicht eins mit Nahles und Hannelore Kraft. Sie haben als Vertreterinnen der Sozialabbau-Regierung zwei Wochen vor der Wahl in NRW auf unseren Abschlusskundgebungen als Rednerinnen nichts zu suchen. Ihre Meinung erfahren wir tagtäglich aus den Medien. Ja, wir rufen alle auf, wählen zu gehen: wählt Parteien, die unsere Interessen konkret vertreten – schon heute, und nicht irgendwann.

Wir haben die zum Tode verurteilten Arbeiter nach den Demonstrationen am 1. Mai 1886 in Chicago für einen Acht-Stunden-Arbeitstag – für eine Verkürzung der Arbeitszeit nicht vergessen. Auch heute steht die Forderung wieder auf der Tagesordnung. Arbeitszeitverkürzung kam nie durch Wahlen, sondern durch unser gemeinsames entschlossenes Auftreten zustande.

Wir sind viele. Kämpfen wir gemeinsam für unsere Interessen.

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"Wir sind viele und eins", UZ vom 14. April 2017



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