„Am 8. März waren wir gemeinsam auf der Straße, jetzt gehen wir gemeinsam vor Gericht!“ Unter diesem Motto rief das Stuttgarter „Aktionsbündnis 8. März“ zur ersten Prozessbegleitung am 15. August gegen eine angeklagte Feministin auf. Sie wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu 50 Tagessätzen a 40 Euro verurteilt.
Diesem ersten Prozess werden weitere folgen. Sie sind Teil der Repression, die sich sowohl bei Aktionen im Vorfeld des Internationalen Frauentags zeigte, wie auch bei der Demo am 8. März selbst und dem Abschluss des Frauentags im Gewerkschaftshaus.
Bereits im Vorfeld des Frauentags gab es Einschüchterungsversuche von Ordnungsamt und Polizei. So am Valentinstag bei einer Aktion zur ungleichen Verteilung von Haus- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern und einer Blockade des Eingangs zum Rathaus mit „einem Berg der Überlastung“ – in Solidarität mit den Streikenden im Sozial- und Erziehungsdienst.
Am 8. März war das Aufgebot der Polizei so hoch wie an keinem Frauentag zuvor: Im Einsatz waren Polizeipferde, Drohnen sowie unzählige Polizistinnen und Polizisten. Sie sollten das Rathaus vor Stickern (Post-it) schützen. Es folgten Personalien-Feststellungen, die Androhung, den angemeldeten Lautsprecherwagen zu beschlagnahmen, Festnahmen, stundenlange Verhöre auf dem Revier und mindestens 10 Anzeigen.
Die ehemalige SPD-Stadträtin und jetzige Vorsitzende des Paritätischen Kreisverbands Stuttgart, Judith Vowinkel, schilderte in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 10. März ihre Eindrücke: „„Außer an dem Schwarzen Donnerstag bei S21 habe ich niemals ein solches Polizeiaufgebot erlebt.“
Eskaliert ist die Polizeigewalt dann am Abend vor dem Gewerkschaftshaus. Dort hatten sich noch ca. 30 DemonstrantInnen, Streikende und GewerkschafterInnen versammelt, um den Frauentag gemeinsam ausklingen zu lassen. „Einige Frauen von uns standen auf dem Platz vor dem Gewerkschaftshaus, andere räumten noch die letzten Sachen auf, als die Polizei plötzlich mit unzähligen Einsatzkräften den Platz stürmte und uns angriff“, beschreibt Lena Kuhle vom „Aktionsbündnis 8. März“ die Geschehnisse.
Im späteren Verlauf des Abends begründete die Polizei ihren brutalen Einsatz mit einer feministischen Abschlussaktion, bei der, wie in den vergangenen Jahren am 8. März auch, der Gustav-Heinemann-Platz vor dem Gewerkschaftshaus in Clara-Zetkin-Platz umbenannt werden sollte. Damit sollte an die Sozialistin und Begründerin des Internationalen Frauenkampftags erinnert und der Beitrag von Frauen in der Geschichte im öffentlichen Raum sichtbar gemacht werden. Die Polizei versuchte dies mit einem völlig unerwarteten Angriff zu verhindern. Sie prügelte auf die Anwesenden ein und nahm im Laufe des Abends vier Personen fest. Mehr als 20 Mannschaftswagen kamen zum Einsatz.
Der Angeklagten wurde vorgeworfen, der Aufforderung zur Personalien-Feststellung nicht Folge geleistet zu haben. Bei dem Versuch, sich aus dem Griff eines Polizeibeamten zu lösen, habe dieser sich den Nacken gezerrt. Ein völlig absurder Vorwurf, der sich alleine auf die Zeugenaussagen von zwei Polizisten stützte. Einer der Zeugen will die Angeklagte zweifelsfrei an ihren lila Socken wiedererkannt haben. „Wir sind alle lila Socken“, so die Antwort des Aktionsbündnisses.
Der Prozess hat einmal mehr gezeigt, dass das Prinzip „im Zweifel für die Angeklagte“ nicht gilt, wenn Polizisten als Opfer und Zeugen auftreten.
Wieso diese Repressionen? Seit 2020 organisiert das Aktionsbündnis in Stuttgart den Internationalen Frauentag. Aber das ganze Jahr über gibt es Aktionen gegen Gewalt gegen Frauen, gegen Femizide, für Selbstbestimmung und Gleichberechtigung, für bessere Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen – und zwar mit wachsender Beteiligung und erfolgreichen Aktionen. Dieses Jahr wurde die Demo gemeinsam mit den Streikenden des Sozial- und Erziehungsdienstes durchgeführt. Insgesamt konnten 4.000 Demonstrierende und Streikende mobilisiert werden – die größte Demo, die es je in Stuttgart am Frauentag gab und der erste Frauentag, an dem ein Frauenstreik durchgeführt wurde. Der Erfolg ist den Herrschenden ein Dorn im Auge. Sie versuchen jetzt mit Repression, die Frauenbewegung einzuschüchtern, zu schwächen, zu spalten und zu kriminalisieren.
Doch die gute Beteiligung bei der Aktion zum Prozessauftakt hat gezeigt, dass ihnen dies nicht gelingen wird. Petra, pädagogische Fachkraft und Streikende im Sozial- und Erziehungsdienst, ist in ihrem Redebeitrag auf den völlig unverhältnismäßigen Polizeieinsatz während der Streikdemo eingegangen. Sie hat deutlich gemacht, dass sie sich nicht einschüchtern lässt und auch im kommenden Jahr wieder für ihre Rechte auf die Straße gehen wird.
Eine Vertreterin des DGB-Frauenausschusses Stuttgart erklärte: „Die klare Botschaft an die Justiz und die Behörden ist: Ihr werdet uns nicht zum Schweigen bringen. Wir lassen uns nicht spalten. Der Frauenstreik und der Streik der Beschäftigten gehören zusammen und wir werden ihn gemeinsam und solidarisch führen. Denn nur so kann sich in dieser Gesellschaft, etwas ändern. Nur so können wir bessere Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen, gleiche Rechte und ein besseres Leben durchsetzen. Wir zeigen heute als DGB-Frauenausschuss Stuttgart unsere Solidarität und wünschen den angeklagten Frauen viel Erfolg.“