„Die Internationale“ im Chorsatz zum Einstimmen für das Neuköllner Publikum, damit endeten die beiden Konzerte des Berliner Hans Beimler Chors vom Wochenende in der „Werkstatt der Kulturen“. Im beachtlich erweiterten proletarischen Repertoire stieg auch der Anteil an mehrstimmigen Musical-, Kabarettchanson- oder Schlagerhit-Bearbeitungen: Ganz im Sinn der gemeinsam verabredeten Wirkungsstrategie, heute wieder eingreifendes Denken im Sinne von Brecht und Eisler vergnüglich anzustoßen. Die Freude an gemeinsam glückender Raffinesse ist dem 30-köpfigen Ensemble anzumerken, manch rhythmisch vertrackter Einsatz mag sich noch routiniert einschleifen. Bleibende Anliegen aus überlieferten Chorsätzen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Jahre in vier thematischen Kapiteln treten schlaglichtartig von Bildern einer Projektionsleinwand hervor. Dazu kommt eine Auswahl gesprochener Texte von Marx bis Becher, Brecht und Nazim Hikmet. Mit ihrem Leiter Johannes C. Gall beteiligten sich mehrere Chormitglieder an den entstehungsgeschichtlichen Einordnungen fürs Programmheft.
Im vierteiligen Programm bekennt sich der Chor zu „Lektionen“ des Klassenkampfs. Er thematisiert Ausbeutung, Profit-Logik, das „Lob der Dialektik“ im Kampf um „Das was wir brauchen“, was ganz praktisch voraussetzt „Wir rühren an den Schlaf der Welt“. Was Tracy Chapman 1988 in praktischer Solidarität für Nelson Mandela vor Tausenden im Londoner Wembley-Stadion sang – „Talkin’ bout a revolution“ –, hat Johannes C. Gall hier für den Chor passend gesetzt.
Der Einstieg ins Programm vollzieht sich beschwingt und kritisch mit „Money, Money“ aus John Kanders Musical „Cabaret“ – reizvoll im wechselndem Foxtrott- und Ragtime-Rhythmus. Hanns Eislers Song „Über die belebende Wirkung des Geldes“ gewinnt in Hartmut Fladts Chorsatz neue Schärfe. Den Chortenor Matthias Preuß und Johannes Gall in musikalisch textgetreuer Virtuosität erlebt man vergnüglich mit Kurt Weills „Dreigroschenoper-Ballade vom angenehmen Leben“. „Ich wär so gerne Millionär“, ihrem ’91er-Hit, verpasste ein Mitglied der „Prinzen“ selbst einen raffiniert-ironischen A-cappella-Chorsatz.
Nur in Aufzählung hervorzuheben sind Lieder in weiteren Programmblöcken. Der titelgebende um Georg Kreislers „Meine Freiheit, deine Freiheit“ enthält auch sein „Kapitalistenlied“ und den rhythmisch reizvollen „Konjunktur-Cha-Cha-Cha“ aus Hazy Osterwalds 60er Jahren (witzig in Niels Frederic Hoffmanns Chorsatz). Die Zeitreise geht zurück zu Hermann Scherchens Vertonung zur Nachdichtung „Wir sind so gemein“ – über die sich zu Marx’ Zeiten entwickelnde Arbeiterklasse in England, Autor Ernest Jones – und zu Erich Weinerts/Karl Rankls Weltwirtschaftskrisen-„Lied vom Abbau“. Nazim Hikmets/Hartmut Fladts Elendsschilderung „Die Meisten“ korrespondiert mit dem Auftrag, von den Ursachen nicht wegzusehen, in Brecht/Eislers „Falladah, die du hangest“ mit Christiane Möbius als Solistin. Die durch Ernst Busch mit der Weltwirtschaftskrise 1929 bekanntgewordene Eisler-„Ballade von den Säckeschmeißern“ und Eislers ironisch gefärbte Zeitkritik am gar nicht klassenkämpferischen Deutschen Allgemeinen Chorverband in „Liturgie vom Hauch“ führt gedanklich übergreifend zum Beginn seiner Zusammenarbeit mit Brecht, in den die beiden letzten Blöcke einmünden.
Das Eisler-Kapitel „Wir rühren an den Schlaf der Welt“ enthält „Resolution (der Kommunarden)“, „Vorwärts die Zeit!“ nach Majakowski, das für die Überschrift abgewandelte Lenin-Lied nach Becher und ergänzend aus Alexander Davidenkos Oktober-Oratorium von 1927 „Die Straße dröhnt“.
„Das ist, was wir brauchen!“ heißt der Einstieg ins Finale mit dem schon erwähnten Chapman-Aufruf im eigenen Chor-Satz. Bei Zeugnissen aus Eislers unmittelbar bevorstehenden Übergang in die Kampfmusikphase um die 30er Jahre ist der mitgestaltende Anteil begleitender Instrumentalisten stärker gefragt (Anastasia Sadomski, Patrick Wildermuth, Klavier, Albrecht Riermeier, Schlagzeug): „Kohlen für Mike“, eine frühe Solidaritätsballade Brechts, das vor über 120 Jahren in Frankreich gedichtete „Bankenlied“ und „Auf den Straßen zu singen“ von David Weber. „Der zerrissene Rock“ und „Lob der Dialektik“ aus der „Mutter“-Kantate verfehlen ihre aufrüttelnde Wirkung nicht.
Nicht zuletzt: Bildlich gewissermaßen an den Grabstein des Spanienkämpfers Hans Beimler gerückt, sang der Chor seinem Namensgeber zu Ehren David Webers „An Stelle einer Grabrede“. Aus der allseitigen Formung durch und mit dem Eisler-Experten Johannes C. Gall ergibt sich eine schöne zehnjährige Zwischenbilanz.