Die Bewegung für mehr Personal und Entlastung in Nordrhein-Westfalens Krankenhäusern nimmt Fahrt auf. Am 29. April trafen sich rund 150 Beschäftigte aus mehr als 50 Kliniken zu einer landesweiten Auftaktveranstaltung in Oberhausen. Der Tenor: Jetzt geht es richtig los – mit Aktionen auf betrieblicher, tariflicher und politischer Ebene.
„Wir fahren auf drei Schienen“, erklärte Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand. Politisch sei es ein wichtiger Teilerfolg, dass die Bundesregierung Personaluntergrenzen in „pflegesensitiven“ Bereichen einführen will. „Das haben wir durch unsere vielen großartigen Aktionen erreicht.“ Es reiche aber nicht, ver.di wolle „die große Lösung“: personelle Mindestbesetzungen in allen pflegerischen Bereichen, die den individuellen Pflegebedarf der Patientinnen und Patienten berücksichtigen. Zugleich forderte sie ein Sofortprogramm, das durch die Einstellung von 20 000 zusätzlichen Pflegekräften dafür sorgt, dass niemand mehr allein auf Station arbeiten muss und genug Zeit für die praktische Anleitung der Auszubildenden bleibt.
Auch die Arbeitgeber will ver.di nicht aus der Verantwortung entlassen. In einem Teil der bundesweit rund 2 000 Krankenhäuser sollen sie zu Verhandlungen über einen Tarifvertrag Entlastung aufgefordert werden – auch in mehreren NRW-Klinken. Falls sich die Arbeitgeber nicht bewegen, könnten diese Belegschaften auch zum Streik aufgerufen werden. In weiteren Krankenhäusern sollen auf betrieblicher Ebene Grenzen gesetzt werden – zum Beispiel durch die kollektive Verweigerung freiwilliger Leistungen oder ungeplanter Einsätze.
Wie das alles konkret umgesetzt werden soll, diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Oberhausener Konferenz in zehn Workshops. Die Themen reichten von Ansprache- und Medientrainings bis zum Aufbau von Bündnissen und der Vernetzung kirchlicher Häuser. Eine wichtige Rolle spielten die Erfahrungen der Berliner Charité, deren Belegschaft als erste einen Tarifvertrag für mehr Personal durchgesetzt hat, sowie des Saarlands, wo ver.di 21 Kliniken zu Tarifverhandlungen über Entlastung aufgefordert hat.
„Wir haben tatsächlich eine Bewegung geschaffen, die mitten in der Gesellschaft angekommen ist“, berichtete der ver.di-Sekretär Michael Quetting aus der Region Saar-Trier. Seit Oktober 2015 sind dort über 900 Krankenhausbeschäftigte bei ver.di eingetreten. Mit zwei Warnstreiks und etlichen Aktionen haben die Belegschaften dafür gesorgt, dass die Landesregierung einige Initiativen zur Verbesserung der Lage ergriffen hat. „Aber wir können das Problem nicht im Saarland lösen“, gab Quetting zu bedenken. „Wir brauchen die Bewegung in ganz Deutschland.“
In Nordrhein-Westfalen soll diese in den kommenden Wochen weiter aufgebaut werden. „Wir haben konkrete Pläne und einen starken Willen“, sagte Achim Teusch vom Helios Klinikum Siegburg über die Betriebe, die sich auf Tarifauseinandersetzungen um Entlastung vorbereiten. „Es gibt keine Sicherheit, dass es klappt, aber wir machen uns auf den Weg.“ Martin Körbel-Landwehr, Personalrat am Düsseldorfer Uniklinikum und Vorsitzender des ver.di-Fachbereichs in NRW, machte klar, dass die Auseinandersetzung um gute Arbeitsbedingungen im Krankenhaus eine zutiefst politische ist. „Wir müssen gegenüber der Politik deutlich machen, dass nicht die Ökonomie über die Gesundheitsversorgung entscheiden darf.“ Die vor gut zehn Jahren eingeführte Krankenhausfinanzierung über Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups – DRG) sei der falsche Weg.
Wolfgang Cremer, der den ver.di-Landesfachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen in NRW leitet, betonte die Verantwortung der Landespolitik für die Zustände in den Kliniken. Nordrhein-Westfalen stelle den Krankenhäusern nur etwa ein Drittel der benötigten Investitionen von jährlich rund 1,5 Milliarden Euro für zur Verfügung. „Damit verschärft das Land die Misere, weil Arbeitsstellen zu Baustellen werden: Geld, das für die Patientenversorgung gedacht ist, wird für Investitionen zweckentfremdet.“ Mit der Landtagswahl müsse ein Kurswechsel eingeläutet werden. Die nächste Regierung müsse alle notwendigen Baukosten finanzieren und verbindliche Personalvorgaben in den Landeskrankenhausplan aufnehmen.
Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, wollen die ver.di-Aktiven am 12. Mai – dem internationalen Tag der Pflege – die Abschlussveranstaltungen der Parteien im Landtagswahlkampf besuchen. Zudem sollen weitere Unterschriften für den NRW-Appell für mehr Krankenhauspersonal gesammelt und bei der Konferenz der Gesundheitsminister am 21./22. Juni in Bremen übergeben werden. Vor allem aber geht es in den kommenden Wochen darum, in den Betrieben zu mobilisieren und durchsetzungsfähiger zu werden. „Wir organisieren jetzt den Widerstand“, brachte es Wolfgang Cremer auf den Punkt. „Wir fragen nicht, was alles nicht geht, sondern: Wie können wir es schaffen, endlich Entlastung in die Krankenhäuser zu bringen?“