Unter dem Titel „Das Selbst der Gerechten“ sind soeben politische Texte von Hartmut König erschienen, die unserer Aufmerksamkeit wert sein sollten. In der sozialistischen DDR bekannter Liedermacher und Sänger, suchte er bereits sehr früh nach den wahrhaftigen Werten der arbeitenden Menschen. Die im gesellschaftlichen Gedächtnis noch lebendigen Erinnerungen an Krieg, Faschismus, Rassismus, Verfolgung und Mord, Ausbeutung und Unterdrückung ließen Frieden, soziale Gerechtigkeit, Völkerfreundschaft und internationale Solidarität auf brutalstmögliche Weise zu solchen erstrebenswerten Idealen des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen werden. HK schreibt anschaulich, wie „Chile tanzte“, über den „Amoklauf des Weltgendarmen“ in My Lai und die Befreiung Saigons, über „Guernica und kein Ende“ sowie „Linkssein mit Fidel“ – alles Zeugnisse unserer emotionalen und solidarischen Teilnahme am antiimperialistischen Kampf.
Dabei war er wie wohl jeder, der zu den Aktivisten der ersten Stunde und den folgenden Generationen engagierter Mitgestalter des sozialistischen Aufbaus gehörte, in gehörigem Maß auch Idealist. Im Unterschied zu manchen anderen allerdings, die frühzeitig vor den Mühen der Ebene resignierten und von dem eingeschlagenen Weg enttäuscht waren, verstand er frühzeitig, die Verwirklichung der Ideale und Werte in der Veränderung der materiellen und sozialen Realität zu suchen. Ob der Weg richtig war, konnte man nur erfahren, wenn man ihn ging. Vielleicht sollte man den Ausdruck „materialistischer Idealist“ erfinden. In politischen Funktionen im Jugendverband und der Partei sowie später der Regierung war er stets mit der Verbreitung der sozialistischen Ideale befasst und wusste zugleich um die Mühen ihrer Verwirklichung im eigenen Land.
Diese Mühen wurden von Anfang an verschärft durch den erbitterten Kampf des Gegners gegen unsere Ideale und Werte, ein Kampf, der materiell und ideologisch geführt wurde. Dem stellten wir uns, mussten aber auch nicht wenige Blessuren hinnehmen. Die wichtigste war wohl die ideologisch-propagandistische Vereinfachung der Werte, die sie manchmal zur Unkenntlichkeit entstellten. Das war umso schwerwiegender, als dass sich die gesellschaftliche Basis entwicklungsbedingt noch lange den angestrebten Zielen erst annähern musste. Doch strebt der Mensch in keiner gesellschaftlichen Ordnung per se nach einem „Ismus“ oder einer Ideologie. Und wenn der „Ismus“ beginnt, die Werte in der Wahrnehmung zu überdecken, werden Selbige nicht mehr als erstrebenswerte Ziele erkannt, ja werden nicht einmal wirtschaftliche Erfolge in größerer sozialer Gerechtigkeit als solche geschätzt. Das hat letztlich die Verbreitung der Überzeugung vom sozialistischen Entwicklungsweg zunehmend erschwert und mit zu seiner letztendlichen Ablehnung bei vielen geführt.
Doch mit dem Niedergang des Sozialismus auf deutschem Boden sind seine Grundwerte keineswegs zu den Akten der Geschichte gelegt. „Erfolg und Fehl unseres östlichen Aufbruchs bestärken die Überzeugung: Ein erfülltes Leben in einer anderen, friedlichen, von Ausbeutung befreiten Gesellschaft ist keine Utopie mehr.“ Die Grundwerte, mit denen die DDR angetreten war, treten nach dem Scheitern des realen Sozialismus und der zunehmend aggressiven imperialistischen Politik der „regelbasierten Wertegemeinschaft“ erst recht in den Vordergrund.
Der Autor sieht sich im „Transit dahin“ und braucht diese „Ahnung als Lebenselixier“. Als Journalist, nunmehr auch wieder als politischer Liedermacher und Sänger, hat er sich erneut und weiterhin den sozialistischen Grundwerten verschrieben. „Die untote DDR“, „Ankunft im Transit“, „Giftgrüner Alarm“ legen Zeugnis davon ab. Sie deutlicher herauszuarbeiten, versucht er in der treffenden Auseinandersetzung mit den Pseudowerten der Goebbels-inspirierten Mission des Weißen Hauses und seiner begrünten, „links-liberalen“ willfährigen Follower in der Bundesrepublik und Westeuropa. Die Aufsätze über „Mandelas Erbe“, „Russlands Helden“, aber auch die „Regime-Change-Factory CIA“, den „Verklärten John McCain“ und „Bidens Scherben“ machen dies plastisch und stellen zugleich den geschichtlichen Bogen des Kampfes um menschenwürdige Werte in die aktuelle Gegenwart her.
Und doch müssen wir wieder aufpassen, uns von den neuen (alten) Missionaren nicht von den wirklichen Idealen und Grundwerten der arbeitenden Menschen ablenken zu lassen. Ist es doch allzu leicht, über Demokratie, Freiheit und Neoliberalismus, Autokratie und „Abhängigkeiten“ zu diskutieren, eine neue „unerschütterliche“ Selbstgerechtigkeit zu entwickeln und damit wirtschaftliche und militärische Kriegsführung, Regime-Changes, Faschismus, Ausbeutung und Neokolonialismus aus dem Blick zu verlieren. So kann der Wenderuf der SED-Nachfolger nach dem „Ankommen“ doch nicht gemeint gewesen sein.
Dem entschieden entgegenzuwirken scheint dem Autor ein besonderes Anliegen zu sein angesichts einer unter dem Cover der Mission kriegführenden deutschen Ampel sowie einer über weite Strecken irrlichternden deutschen Linken und wiedererstarkenden deutschen Rechten. Werte, Ideale und Ziele müssen wieder deutlich benannt, aber auch gedacht werden.
Wer gegen Ausbeutung und Unterdrückung eintritt, muss deren Verursacher deutlich benennen (können), um wirksam und zielgerichtet für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen!
Wer für Frieden in Europa und der Welt eintritt, muss klar erkennen, dass es die USA sind, die einen langjährigen wirtschaftlichen soeben in einen militärischen Krieg gegen Russland überführt sowie einen globalen Wirtschaftskrieg gegen China begonnen haben!
Sollten die Gerechten ihr Selbst wieder oder gar neu erfinden wollen und nicht als Kretins der Geschichte vergehen, so empfehle ich ihnen HKs aufrüttelnde, mobilisierende Kernbotschaft: „Wir müssen wieder über Werte nachdenken und reden!“, um kämpfen zu können.
Hartmut König
„Das Selbst der Gerechten“
edition ost, 2022, 18 Euro
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