Die VVN-BdA Frankfurt unterstützt den Berliner Appell

Wir müssen die Raketen verhindern

An die 38.000 Menschen haben den Berliner Appell gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Deutschland unterschrieben. Zu den Unterstützern gehören auch viele Gliederungen der VVN-BdA. UZ sprach mit Norbert Birkwald über die geplante Raketenstationierung und den Zusammenhang von antifaschistischer und Friedensarbeit. Norbert Birkwald ist seit 1972 Mitglied der VVN-BdA. Er ist Kassierer der Kreisvereinigung Frankfurt und Landeskassierer der hessischen VVN-BdA.

UZ: Auf der Homepage der VVN-BdA Kreisvereinigung Frankfurt begrüßt einen als erstes der Schriftzug „Nie wieder Krieg“ – darunter wird für die Unterzeichnung des Berliner Appells gegen die Stationierung neuer US-Raketen geworben. Der Appell scheint euch sehr wichtig zu sein.

Norbert Birkwald: Ja, das ist so. Und nicht nur wir in Frankfurt werben für den Appell. Landauf, landab wird die Unterschriftsammlung unter den Berliner Appell organisiert, in Kreis- und Landesvereinigungen der VVN-BdA. Selbstverständlich engagieren sich Mitglieder der ältesten antifaschistische Organisation in unserem Land in dieser Frage. Das Thema ist existenziell für unser Land: in der Bundesrepublik Deutschland droht die Stationierung von „modernen“ Mittelstreckenraketen.

UZ: „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“, diese Losung gehört zum Gründungskonsens der VVN-BdA. Die VVN war immer wichtiger Bestandteil der Friedensbewegung, denkt man zum Beispiel an ihr Wirken für den Krefelder Appell. Warum denkst du, darf man die Friedensfrage nicht Ausblenden als antifaschistische Organisation?

Norbert Birkwald: Für die Gründerinnen und Gründer der VVN war die Friedensfrage ein Herzensanliegen. „Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“, schworen die befreiten Häftlinge am 19. April 1945 auf dem Appellplatz des Lagers Buchenwald. Im Gründungsdokument der VVN von 1946 heißt es, der Kampf gegen das Naziregime „und die gemeinsamen langjährigen Erlebnisse in den Konzentrationslagern vertieften in uns die Erkenntnis von der Notwendigkeit der friedlichen Verständigung und der Zusammenarbeit aller Völker.“ (1)

Das war für sie unabdingbar. Schließlich wurden sie während des deutschen Faschismus verfolgt, weil sie konsequente Kämpfer gegen Militarismus und Aufrüstung waren. „Wer Hitler wählt, wählt Krieg!“ So war es unübersehbar in den Wahlkämpfen vor 1933 zu lesen. Da waren sich Sozialdemokraten und Kommunisten, Mitglieder von SAP und SAJ einig, bei allen sonstigen Differenzen, die bedauerlich innerhalb der organisierten Arbeiterbewegung bestanden. Diese Differenzen waren es, die mit zur Machtübertragung an Hitler am 30. Januar 1933 beigetragen haben. Daran zu erinnern, an die Uneinigkeit der politischen Arbeiterbewegung, wurden unsere Gründer nie müde! (2) Zur Reichstagswahl im März 1933 war gut sichtbar auf einer Mössinger Gartenmauer eben diese Parole zu lesen. (3)

Es waren Gründer der VVN, die vom Nazi-Regime gezwungen wurden, im Straf-Bataillon 999 Kriegsdienst zu leisten, die versuchten, wo es ihnen möglich war, die Kriegsproduktion zu sabotieren oder die an bewaffneten Widerstandsbewegungen, als Partisanen oder Mitglieder der Resistance, die faschistische Wehrmacht und die Waffen-SS bekämpften. Also hieß ihre Losung: Nie wieder!

UZ: Diese Erfahrungen und Lehren aus dem Faschismus sind auch heute noch Bestandteil der Dokumente der VVN-BdA …

Norbert Birkwald: Ja, in unserer Satzung heißt es, die VVN-BdA „bewahrt die Erfahrungen der Antihitlerkoalition. Sie orientiert sich am antifaschistischen Auftrag des Grundgesetzes.“ Und weiter heißt es in der Satzung zu unseren Zielen: „Gesellschaftliche Ächtung und Überwindung von Nazismus, Rassismus, Antisemitismus und Militarismus; Überwindung von Krieg, Terror und sozialer Ungerechtigkeit durch Friedenspolitik, Völkerverständigung und internationale Solidarität, Ablehnung jeglicher Form von Großmachtstreben und Revanchismus“. (4)

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Norbert Birkwald

Im immer noch gültigen Leitantrag des Bundeskongresses von 2021 formulieren wir friedenspolitische Forderungen an die Bundesregierung. Wir fordern sie zum Beispiel auf, dem Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beizutreten und dazu beizutragen, dass Verträge zur Rüstungsbegrenzung eingehalten und erweitert werden. Wir fordern darin ein Ende von Auslandseinsätzen der Bundeswehr und von Rüstungsexporten halten fest, dass wir die Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ unterstützen. Wir äußern uns auch zur NATO und der NATO-Osterweiterung. Wörtlich heißt es in dem Leitantrag: „Wir fordern von der Bundesregierung sich an das 1990 gegebene Versprechen zu erinnern und die ständige Erweiterung der NATO nach Osten nicht weiter zu unterstützen und sich nicht daran zu beteiligen, die Nachbarländer Russlands zu NATO-Aufmarschgebieten zu machen.“ (5)

Diese friedenspolitischen Positionierungen der VVN-BdA fordern unsere Mitglieder zu entsprechender Haltung auf und verpflichten die gewählten Gremien auf die Einhaltung und die Umsetzung dieser Positionen.

UZ: Auf dem Bundeskongress der VVN-BdA im vergangenen Jahr wurde sehr kontrovers über den Stellenwert der Friedenspolitik in der Arbeit der Organisation diskutiert. Am Ende musste die Beschlussfassung des Leitantrages vertagt werden. Wann wird der Kongress fortgesetzt und welche Erwartungen hast du?

Norbert Birkwald: Oh ja, darüber wurde Anfang Juni in Halle so intensiv diskutiert, dass eine Beschlussfassung nicht möglich war. Am Wochenende 4. und 5. Oktober wird in Bad Cannstatt ein außerordentlicher Bundeskongress stattfinden, um sich schwerpunktmäßig mit den politischen und organisatorischen Fragen der VVN-BdA zu befassen. Ich erwarte ein klares friedenpolitisches Bekenntnis meiner Organisation. Ich erwarte, dass nach diesem Kongress die VVN-BdA ihren Platz in der Friedensbewegung mit Kraft und Stimme wahrnimmt.

UZ: In Hessen liegen eine Reihe von Militärstützpunkten. Im Falle ihrer Stationierung sollen die neuen US-Mittelstreckenraketen von Wiesbaden aus gesteuert werden. Welche Erfahrungen macht ihr mit dem Berliner Appell. Wissen die Menschen, was da auf sie zu kommt?

Norbert Birkwald: Hier ist die Kommandozentrale für die Raketen, die stationiert werden sollen. Das gibt uns notwendigerweise die Gelegenheit, vor den gut bewachten Toren dieser Kommandozentrale zu demonstrieren, so etwa am 29. März. Der Aufruf zu der bundesweiten Demo steht unter dem Motto „Keine neuen US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland, Befehlskommando in Wiesbaden auflösen, Friedensgebot der Hessischen Verfassung einhalten!“ (6) In unserer Landesverfassung bekennt sich Hessen „zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet. Jede Handlung, die vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.“ (7) Wenn sich schon die Landesregierung nicht an diesen Auftrag unserer Verfassung hält, müssen wir es tun, die vielen Friedensfreunde aus zahlreichen Organisationen, zu denen sich auch die hessische VVN-BdA zählt.

Die Sammlung von Unterschriften unter den Berliner Appell ist mühsam und kein Selbstläufer. Aber es lohnt sich, jede Unterschrift stärkt die Friedensbewegung. Jede Unterschrift hilft, diesen Verfassungsauftrag mehr in die Breite der Bevölkerung zu tragen. Wir müssen verhindern, dass die Raketen hier stationiert werden.

Wenn ich im Gespräch auf der Straße Leute anspreche, herrscht häufig Unkenntnis darüber, was mit der Stationierung der US-Raketen auf uns zukommt. Dann musst Du über die Gefährdung aufklären, die diese Waffen für unser Land bedeuten. Die Raketen-Stationierung würde bedeuten, dass Deutschland gleichzeitig Ausgangs- als auch Zielort für Angriffe, womöglich auch nukleare Angriffe, werden würde. Bisher hat die Strategie der „Abschreckung“ dadurch gewirkt, dass derjenige, der zuerst angreift, damit rechnen muss, dass die Antwort des Angegriffenen genauso vernichtend ausfällt wie der Angriff. Also lässt man es. Hat ja bisher geklappt. Zwischenzeitlich sind durch technische Entwicklungen der Raketen die Vorwarnzeiten so kurz, dass eine Abwehr nicht mehr möglich ist. Also, so die militärische Logik, greift der potenzielle Gegner im Eskalationsfall an, bevor er angegriffen wird. Und dieser Angriff zielt auf die Kommandozentrale in Wiesbaden, um weitere Raketenangriffe zu verhindern. Wenn ich es mit meiner Erklärung bis hierhin schaffe, kriege ich auch eine Unterschrift unter den Berliner Appell.

UZ: Hinter uns liegen die Bundestagswahlen. Dein Kommentar aus antifaschistischer und friedenspolitischer Sicht?

Norbert Birkwald: Spätestens ab dem 24. Februar gilt es zu benennen, wer das Erstarken der AfD zu verantworten hat. Es sind die Existenzängste vieler Menschen, die die AfD groß gemacht haben. An diesen Ängsten tragen Populismus und Demagogie ihren Anteil. Schuld an diesen Ängsten sind die, die nichts gegen Wohnungsnot und für bezahlbare Mieten tun, die wachsende Armut als Schicksal bezeichnen, denen Profite der großen Konzerne heilig und die materielle Sicherheit der Beschäftigten wenig wert sind. Kurzum: die bewusste Zusammenarbeit von CDU/CSU, FDP, Grünen und SPD gegen die Mehrheit der Bevölkerung ist es, die die erschreckenden Stimmengewinne der AfD herbeigeführt hat.

Beim Thema Frieden geht es ja nicht nur um immer massivere Aufrüstung. Staatlicherseits ist die Militarisierung aller Lebensbereiche geplant. Das beginnt mit dem Schleifen der Zivilklauseln an Universitäten oder Kriegspropaganda an allgemeinbildenden Schulen. Welche Vorhaben noch umgesetzt werden sollen, um unsere Gesellschaft kriegstüchtig zu machen, ist im Grünbuch „Zivil-Militärische Zusammenarbeit 4.0 im militärischen Krisenfall“ nachzulesen. (8) Zu befürchten ist doch, dass eine zukünftige Bundesregierung unter einem Kanzler Merz diese umfassende Militarisierung beschleunigen und verstärken wird.

Beim Thema soziale Gerechtigkeit dürfen wir die IG Metall bei ihrem Aktionstag am 15. März nicht allein lassen. Beim Thema Antifaschismus müssen wir für Mehrheiten werben, um dem Bundesverfassungsgericht das Verbot der AfD zu ermöglichen. Die Partei „Die Linke“ hat ein überraschend gutes Wahlergebnis eingefahren. Damit wird es weiterhin eine linke Opposition im Bundestag geben. Ich hoffe, die Linkspartei vergeigt es nicht. Antifaschisten und Friedenskräfte müssen sicherlich der Partei „Die Linke“ dabei helfen, Kurs zu halten.

UZ: Nach der bundesweiten Friedensdemonstration am 29. März in Wiesbaden folgen die Ostermärsche. Wie bereitet ihr sie in Hessen vor?

Norbert Birkwald: Die Ostermärsche werden in Hessen, wie überall in der Bundesrepublik, vor Ort vorbereitet. Es werden bundesweit an über hundert Orten zu Ostern Demos und Kundgebungen ihrer jeweils eigenen Art stattfinden. (9) Im Rhein-Main-Gebiet gibt es die Besonderheit, dass am Ostermontag eine Abschlusskundgebung auf dem Frankfurter Römerberg stattfindet. Wir würden uns freuen, wenn sich noch mehr Menschen als im vergangenen Jahr an den Ostermärschen beteiligen. Wir werben dafür.

Vor uns liegt auch noch die Kampagne Friedlicher Hessentag. (10) Die Bundeswehr nutzt dieses Volksfest, um insbesondere Kinder und Jugendliche für das Kriegshandwerk zu werben. An den Samstagen 14. und 21. Juni werden die Organisationen, die das Bündnis Friedlicher Hessentag tragen, in Bad Vilbel präsent sein, um gegen die weitere Militarisierung dieses Volksfestes zu protestieren.

Die Fragen stellte Wera Richter

Für den Frieden auf die Straße

Vom 17. bis 21. April finden im ganzen Land die traditionellen Ostermärsche für Frieden und Abrüstung statt. Eine Zusammenstellung der Aufrufe und Termine – samt dem Ausreißer Potsdam, wo der Ostermarsch bereits am 12. April stattfindet – gibt es hier.

Bereits am 29. März findet in Wiesbaden eine bundesweite Demonstration „Keine neuen US-Mittelstreckenwaffen in Wiesbaden – Für das Friedensgebot der Hessischen Verfassung“ statt. Die Auftaktkundgebung beginnt um 12 Uhr am Hauptbahnhof. Weitere Infos

Informationen zum Berliner Appell, Unterschriftenlisten und weitere Materialien zum Download und eine Möglichkeit, den Appell online zu unterschreiben gibt es an dieser Stelle.

Fußnoten

[1] https://hessen.vvn-bda.de/75-jahre-vvn/#tafel2 ; Begleitheft zur Ausstellung „Hessische GründerInnen der VVN, Seiten 9 und 10; zu beziehen über hessen@vvn-bda.de

[2] Peter Gingold schrieb in seinen Memoiren: „1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner in der Generation meiner Eltern nur eine Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir diese Erfahrung … Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.“ Peter Gingold, „Paris – Boulevard St. Martin No. 11“, Köln, 2009, Seite 28f. Zu beziehen über: uzshop.de

[3] Der Mössinger Generalstreik entsprang dem spontanen Protest des örtlichen Arbeitermilieus. Mit der Machtübernahme der Nazis sahen die Mössinger Linken ihre jahrelang erarbeiteten Errungenschaften, ihr Vereins- und Kulturleben, in Gefahr und befürchteten, Opfer der neuen Machthaber zu werden. Mit der Teilnahme am Generalstreik wollten sie ein Zeichen setzen. Erst im Laufe der Protestaktion wurde ihnen klar, dass es an dem Tag keineswegs zu einem flächendeckenden Generalstreik gekommen war. Dies dürfte den Streikenden spätestens am Nachmittag bewusst geworden sein, als ihnen die Reutlinger Schutzpolizisten auf der Bahnhofstraße entgegentraten. Die Streikteilnehmer in Mössingen waren davon ausgegangen, Teil einer reichs- oder landesweit organisierten Aktion zu sein. Dieses Selbstverständnis gibt ihrem Protest eine besondere Bedeutung. Hinzu kommt, dass sich in dem 4.000-Einwohner-Dorf am Fuße der Schwäbischen Alb vergleichsweise viele Personen beteiligten: Am Ende zählte man etwa 800, nach Zeitungsberichten sogar bis zu 1.000 Menschen, was in Relation zur Ortsgröße eine beträchtliche Zahl darstellt. Der Demonstrationszug am Tag nach der „Machtergreifung“ kann deshalb als einzige Aktion dieser Art reichsweit gelten. Die Generalstreikteilnehmerin Anna Renz brachte diesen Sachverhalt in einem Interview 1978 auf den Punkt, als sie sagte: „Do isch neane nonz gwä als wie do“ – „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“. (Quelle)

[4] Satzung der VVN-BdA, Paragraph 3, letzter Spiegelstrich, siehe hier.

[5] leicht missverständlich ist der Entwurf des Leitantrags zum 8. Bundeskongress im vergangenen Jahr auf der Homepage der VVN-BdA wiedergegeben: Beim flüchtigen Lesen entsteht der Eindruck, dieser sei vom Kongress verabschiedet worden. Der Leitantrag des 7. Bundeskongresses ist hier zu finden.

[6] siehe unter der URL.

[7] Hessische Verfassung, Artikel 69, siehe hier (PDF).

[8] Grünbuch „Zivil-Militärische Zusammenarbeit 4.0 im militärischen Krisenfall“, Quelle (PDF) hier.

[9] siehe auf dieser Seite

[10] siehe hier.

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