„Wir lassen uns nicht vereinnahmen“

Das Gespräch führte Olaf Matthes

Umstritten

Der Beobachterstatus der DKP bei der Europäischen Linkspartei (ELP) gehört zu den besonders umstrittenen Fragen in der Parteidiskussion. In der Begründung seines Antrages zu dieser Frage schätzt der Parteivorstand ein: „Die ELP ist keine Bündnisorganisation, sondern eine Partei.“ „Die ELP als Gesamtheit verkennt (den) Klassencharakter der Europäischen Union“, die ELP sei eine „von den EU-Institutionen finanziert(e) Struktur“. Sie habe „objektiv zur Spaltung unter den Kommunistischen und Arbeiterparteien Europas beigetragen.“ Deshalb beantragt der Parteivorstand, den Beobachterstatus zu beenden.

Dagegen richten sich mehrere Anträge von Bezirks- und Kreisorganisationen: Den Beobachterstatus zu beenden stehe im Widerspruch zur Bündnisorientierung des Parteiprogramms und sei deshalb ein „Akt der Selbstisolation“. Wenn die DKP sich aktiv in die Debatten der ELP einmische, könne sie damit die Zusammenarbeit der Linken vorantreiben.

Die DKP ist seit 2005 Beobachter bei der ELP. Bis 2013 hatte die Parteiführung den Anspruch, sich in die Diskussionen der ELP einzubringen, die Partei bezog sich auch in ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf die ELP – sowohl in den Inhalten als auch, indem sie das Logo der ELP verwendete. Auf dem 20. Parteitag 2013 drückten sich die veränderten Mehrheiten in der Partei auch in der Wahl einer neuen Führung aus. Diese richtete ihre Arbeit in der ELP an dem Anspruch aus, die Diskussionen dort zu beobachten und erstmals für die Mitglieder der DKP transparent zu machen. om

UZ: Die DKP diskutiert darüber, ob sie weiterhin beobachtende Partei bei der Europäischen Linkspartei (ELP) bleiben soll. In der Diskussion bekommt man den Eindruck, dass das eine der zentralen Richtungsentscheidungen ist, die die DKP zu treffen hat. Ist das so?

Günter Pohl

Günter Pohl

Günter Pohl: Nein, das ist nur eine unter mehreren. Man sollte diese Frage nicht so hoch hängen. Wie auch immer die Delegierten in Kassel entscheiden werden – diese Frage wird weder im Positiven noch im Negativen besonders weitreichende Auswirkungen haben. Wenn wir unsere beobachtende Mitgliedschaft beenden würden, hätten wir dadurch kaum Vorteile in unseren Beziehungen zu Parteien, die der ELP sowieso sehr kritisch gegenüberstehen. Mit denen haben wir vorher ein Verhältnis gehabt, und das werden wir auch danach haben. Auf der anderen Seite genauso: Unser Verhältnis zu Parteien, die Vollmitglied der ELP sind, würde nicht schlechter werden, nur weil wir nicht weiter beobachten.

UZ: Warum wird die Diskussion in der DKP trotzdem so zugespitzt und so grundsätzlich geführt?

Günter Pohl: Ich glaube, darin spiegelt sich wider, was in der Partei allgemein diskutiert wird. In den letzten Jahren ist ja jede Art von Meinungsverschiedenheit stark zugespitzt worden. Das ist das eine. Aber es gibt auch noch einen anderen Grund, und der ist, dass gerade die Frage der ELP bis zum 20. Parteitag 2013 sehr intransparent gehandhabt wurde. Seit wir 2005 beobachtendes Mitglied der ELP geworden sind, ist in unseren Medien nur sehr wenig über die ELP veröffentlicht worden. Das haben wir nach dem 20. Parteitag geändert. Wir haben angefangen, inhaltlich an die ELP heranzugehen. Wir haben angefangen, unsere Mitgliedschaft darüber zu informieren, welche Debatten in der ELP stattfinden – auf den Vorstandssitzungen, auch auf dem 4. Parteitag.

In der Zeit davor gab es bei uns eine recht große Unzufriedenheit darüber, wie wenig man über diese Debatten wusste. Und auf der anderen Seite hat die damalige Parteiführung unser Verhältnis zur ELP plötzlich sehr hoch gehängt. Als der Parteivorstand beschlossen hat, dass wir uns bei der ELP als Beobachterpartei bewerben, war das Abstimmungsergebnis einstimmig. Also: Auch die damalige Parteiopposition hat dafür gestimmt, weil gesagt wurde: „Wir beobachten, und beobachten schadet nicht.“ Aber was am Ende dabei herauskam, war ein bisschen mehr als eine reine Beobachtung.

Gleichzeitig gab es ja in diesen Jahren eine Entwicklung in der DKP, die darauf hinauslief, bestimmte Grundsätze der ELP zu übernehmen – Stichwort „Politische Thesen“, die das damalige Sekretariat des Parteivorstandes Anfang 2010 veröffentlicht hat. Wenn man sich anschaut, was die inhaltlichen Grundlagen der ELP sind, sozusagen der Kitt, der diese Organisation zusammenhält, dan sieht man, dass antileninistische Positionen der ELP auch in der DKP ein größeres Gewicht bekommen haben. In diesen Inhalten der ELP begründet sich ja auch, dass sie nur eine Handvoll Kommunistische Parteien als Vollmitglieder hat und noch ein paar als Beobachter, aber die Mehrheit der Kommunistischen Parteien ist kein Teil der ELP.

UZ: Die Diskussion in der DKP dreht sich auch darum, ob die DKP in ihrer Öffentlichkeitsarbeit offensiv als Teil der ELP auftreten soll – zum Beispiel, ob die DKP auf Demonstrationen Fahnen der ELP tragen sollte. Das ist doch schon eine ziemlich grundsätzliche Frage, oder?

Günter Pohl: Auf jeden Fall. Das war ein Ergebnis der Entwicklung in der Partei, die ich gerade benannt habe. Das ging so weit, dass das ELP-Logo auf Plakaten unserer Partei auftauchte, und zwar bei der EU-Wahl 2009. Die damalige Parteiführung hat sozusagen aus der Beobachtung der ELP Schritt für Schritt eine De-facto-Vollmitgliedschaft gemacht – auch, was die Übernahme von Positionen der ELP anging. Manche sind so weit gegangen, dass sie auch DKP-Fahnen mit ELP-Logo haben drucken lassen.

UZ: Welchen Beitrag leisten denn die Strukturen der ELP, um die Kämpfe für gesellschaftliche Veränderungen in Europa voranzutreiben?

Günter Pohl: Der Ansatz, über die ELP die parlamentarische Arbeit der Linken im EU-Parlament zu koordinieren, fällt weg. Denn die linke Fraktion im Europaparlament, die GUE/NGL, ist ja eben nicht deckungsgleich mit der ELP: Von den Abgeordneten, die bei der letzten EU-Wahl 2014 gewählt wurden und die sich dieser Fraktion angeschlossen haben, kommen nur gut die Hälfte aus ELP-Parteien.

Die ELP könnte dennoch versuchen, europaweite Kampagnen durchzuführen. Das hat sie sogar in manchen Bereichen versucht, aber es ist nicht über die Unterstützung von so genannten Bürgerbegehren hinausgegangen. Das ist gar kein Vorwurf an die ELP – ich halte das nämlich für sehr schwierig.

Aber hier geht es auch um Fragen der inhaltlichen Richtung: Ganz zentral ist ja die Frage „Krieg oder Frieden“. Und wir haben auch in Europa Krieg, in der Ukraine. Die ELP konnte sich bisher nicht zu einer klaren Haltung durchringen, auf welcher Seite sie dort steht, wer in diesem Konflikt der Aggressor ist und wer das Opfer der Aggression. Da muss man sagen: Damit ist eine große Chance vertan, in diesem zentralen Bereich etwas zu tun.

Ich glaube, das hängt auch mit der Struktur der ELP zusammen. Die ELP arbeitet nach dem Konsensprinzip. Das ist in bestimmten Fragen natürlich schwierig: In der ELP gibt es schließlich nicht nur Kommunistische Parteien, es gibt auch sozialdemokratische Parteien – in manchen wichtigen Fragen kann es da wohl kaum einen Konsens geben.

UZ: Als Argument für den Beobachterstatus der DKP wird in den Anträgen an den Parteitag unter anderem gesagt: Die DKP orientiert in ihrem Programm auf breite Bündnisse. Diese Orientierung komme auch darin zum Ausdruck, dass die DKP Beobachter bei der ELP ist. Wenn der Parteivorstand jetzt beantragt, diesen Beobachterstatus zu beenden, heißt das, dass er mit der bisherigen Orientierung auf breite Bündnisse bricht?

Günter Pohl: Nein, das ist doch nicht das Gleiche. Manche werfen hier gerne einmal Bündnis- und Parteipolitik durcheinander. Die Europäische Linkspartei ist eine Partei, das sagt ja schon der Name. Die ELP-Mitgliedsparteien sind also ihrerseits Mitglied einer Partei – die Mitgliedschaft in der ELP ist deshalb etwas anderes, als in einem Bündnis mitzuarbeiten. Zum Beispiel: Wenn ich mit der Linkspartei, oder auch mit der SPD, ein Bündnis in einer bestimmten Frage machen will – sagen wir: gegen Nazis –, dann muss ich ja auch nicht erst Mitglied in der Linkspartei oder der SPD werden.

Genauso ist es mit den Kräften in der ELP. Wir können mit ihnen Bündnisse schließen: Gegen Sozialabbau, gegen Krieg; wir können in vielen Fragen zusammenarbeiten. Aber für eine solche Zusammenarbeit kann nicht die Voraussetzung sein, dass wir Mitglied der ELP sein müssen.

UZ: Der Parteivorstand begründet seinen Antrag auch damit, dass er sagt, die ELP habe zu einer Spaltung zwischen den Kommunistischen und Arbeiterparteien beigetragen. Wie denn das? Die ELP sagt doch klar, dass sie ein vielfältiger Zusammenschluss von unabhängigen Parteien ist.

Günter Pohl: Wer waren 2004 die Gründungsparteien der ELP? Von kommunistischer Seite waren das: Die Französische Kommunistische Partei (PCF), die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) und aus Italien die Rifondazione Comunista. Diese drei Parteien haben einen eurokommunistischen Hintergrund. Das heißt auch: Sie haben grundsätzliche Probleme mit bestimmten Herangehensweisen anderer Schwesterparteien – zum Beispiel dem Herangehen an Fragen der Parteistruktur. Auch mit dem Umgang mit dem Leninismus – dessen Ablehnung spielt in allen diesen drei Parteien eine Rolle, auch wenn es bei der PCE da zuletzt eine erfreulichere Entwicklung gegeben hat.

Dass diese Parteien mit anderen Kräften eine Konstruktion wie die ELP aufgebaut haben, war natürlich auch ein Ausdruck ihrer inhaltlichen Orientierung. Aber mit der ELP-Gründung haben sich Unterschiede, die es auch vorher schon gab, noch weiter vergrößert. Die ELP ist also nicht alleine verantwortlich für die Spaltung unter den Kommunistischen Parteien, aber sie hat diese Spaltung vertieft. Die ELP war nicht als Organisation angelegt, die unterschiedlichen Haltungen der Kommunistischen Parteien zusammenzuführen, sondern die ELP war so angelegt, dass eine Mitarbeit von vornherein für viele Parteien nicht akzeptabel war.

Dafür nur ein Beispiel: Die tschechische KSCM, also die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens, wollte zunächst Mitglied in der ELP werden. Dann lag das Gründungsdokument vor, und darin gab es eine Passage, die Fehlentwicklungen in den europäischen sozialistischen Ländern schlicht auf den „Stalinismus“ zurückgeführt hat. Da hat die KSCM gesagt: Dieses Problem ist komplexer, das kann man nicht einfach mit solchen bürgerlichen Kampfbegriffen analysieren. Deshalb sind sie kein ELP-Mitglied geworden, sie sind heute Beobachter.

Ich glaube, dass die ELP auf diese Weise die Unterschiede verschärft hat, die es ohnehin zwischen den europäischen Kommunistischen Parteien gab – und das ist eine negative Entwicklung.

UZ: Du hast es bereits angesprochen: Für die DKP geht es darum, bestimmte Gegensätze unter den Kommunisten zu überwinden. Wie sieht das in der internationalen Arbeit der Partei aus?

Günter Pohl: Wir haben eine Reihe von Initiativen angestoßen. Zum Beispiel haben wir eine Erklärung zum Ersten Weltkrieg verfasst, und wir haben es geschafft, dazu so unterschiedliche Parteien als Unterzeichner zu gewinnen wie die griechische KKE und die französische PCF. Mir fällt aus den letzten 25 Jahren kein zweites Beispiel ein, bei dem das in Europa gelungen wäre. Unser Ansatz war, einen Text vorzuschlagen, mit dem die unterschiedlich ausgerichteten Parteien leben konnten – und wir haben auch hinter den Kulissen sehr dafür gearbeitet, dass diese Breite bei den Unterzeichnern zustande kam.

Ich denke, daran sieht man, dass es möglich ist, ein gemeinsames Herangehen der kommunistischen Bewegung zu fördern. Wir sind natürlich nur eine kleine Partei, aber ich habe den Eindruck, dass solche Initiativen von unseren Schwesterparteien geschätzt werden. Wir gehören innerhalb der internationalen kommunistischen Bewegung zu einer Gruppe von Parteien, die sich weder für die eine noch für die andere Seite vereinnahmen lassen – das halte ich für den richtigen Weg.

UZ: Wie würde sich die internationale Arbeit der DKP verändern, wenn die Partei ihren Beobachterstatus bei der ELP aufgeben würde?

Günter Pohl: Man darf nicht vergessen, dass es auch Vorteile hat, beobachtendes Mitglied der ELP zu sein. Das ist ganz pragmatisch: Bei den Tagungen der ELP haben wir die Möglichkeit, mit anderen Parteien in Kontakt zu treten, ohne dass wir dafür große Kosten hätten. Zum Beispiel hatten wir am Rande solcher Treffen einige Gespräche mit linken Parteien aus Osteuropa, aus dem Baltikum. Solche Kontakte zu pflegen würde schwieriger werden, wenn wir nicht an den Sitzungen teilnehmen würden. Da würde uns zwar nicht sehr viel wegbrechen, aber es wäre doch schade. Ich könnte verstehen, wenn Delegierte beim Parteitag sagen: Das ist für mich ein Grund, dafür zu stimmen, Beobachter bei der ELP zu bleiben. Dagegen sprechen auf der anderen Seite ideologische Gesichtspunkte.

Wir orientieren das, was wir international leisten können, schwerpunktmäßig auf die Zusammenarbeit mit den kommunistischen Schwesterparteien in Europa und der Welt. Insgesamt wird sich für diese Arbeit durch den Beschluss zur ELP nicht viel ändern. Ich selbst könnte mit beiden Varianten leben.

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"„Wir lassen uns nicht vereinnahmen“", UZ vom 19. Februar 2016



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