Solidaritätsbesuch bei den Streikenden am Uniklinikum Münster

Wir lassen uns nicht kleinkriegen!

Am 15. Juli stattete eine Delegation des Recklinghäuser Pflegebündnisses den streikenden Kolleginnen und Kollegen an der Universitätsklinik in Münster einen Solidaritätsbesuch ab. Seit dem 4. Mai waren sie in einem unbefristeten Streik, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen an den Klinikstandorten Köln, Bonn, Aachen, Düsseldorf und Essen. Nach 79 Streiktagen wurde eine Einigung erzielt, allerdings so kurz vor dem Redaktionsschluss der UZ, dass wir die Verhandlungsergebnisse in dieser Ausgabe noch nicht darstellen können.Ziel der Streikenden war, dass die Arbeitgeber in NRW mit der Gewerkschaft ver.di einen „Tarifvertrag Entlastung“ abschließen. Und wichtig war es den Beschäftigten, das wurde bei unserem Besuch sehr deutlich, dass die Entlastung für alle kommen muss, nicht nur für diejenigen, die direkt am Patienten arbeiten. Die Belegschaften wollen sich nicht auseinanderdividieren lassen und zeigten sich auch dafür kampfbereit.

Agnes Westerheide begrüßt uns in Münster am Streikzelt. Die ver.di-Gewerkschaftssekretärin war selbst lange in der Altenpflege tätig. Sie macht uns mit streikenden Kolleginnen und Kollegen des Klinikums bekannt, wir bekommen einen Kaffee am Streikbuffet und überbringen danach die solidarischen Grüße unseres Pflegebündnisses. Wir sind schließlich da, weil die Streikenden in Münster und an den anderen Universitätskliniken des Landes auch für unsere Interessen kämpfen, einerseits für eine Aufwertung aller in der Pflege Beschäftigten, andererseits auch für eine bessere Versorgung aller Pflegebedürftigen.
Die Mitglieder der ver.di-Tarifkommission sind nicht auf dem Platz, sie beraten zur Zeit. Zum Stand der Verhandlungen sind die Streikenden in einem Sammelbecken der Gefühle, von „Ganz furchtbar“, „Es geht in eine Schlichtung“ bis hin zu „Es könnte jetzt tatsächlich zu einer Einigung kommen“.

Die Streikfront steht und hält, berichtet uns Agnes. „Die Stimmung ist super. Ihr seid heute leider ein bisschen zu spät gekommen. Münster ist immer gut dafür, hier viel Spaß zu verbreiten. Heute Morgen haben wir ein kleines Fest gefeiert unter dem Motto ‚Was für ein Zirkus‘.“ Beschäftigte hatten sich kreativ kostümiert und ihren Streik künstlerisch aufgearbeitet, leider können wir uns diese Aktion nur als Handy-Video ansehen. In dieser elften Streikwoche gab es eine Poolparty am Dienstag, als es so sehr heiß war, sagte Agnes. „Da gab es hier diverse Wasserschlachten und es gab einen Kinoabend, ein Familienfest mit Hüpfburg. Also diese Woche war noch mal ganz unter dem Motto ‚Wir geben alles und wir lassen uns hier nicht kleinkriegen‘.“

Wir kommen mit einer Aussteigerin ins Gespräch. Carmen ist ver.di-Mitglied und stattet in Münster ebenfalls einen Solidaritätsbesuch ab. Sie hat in der Altenpflege in Dülmen gearbeitet und den Beruf geschmissen, nach Jahren Arbeit im Schichtdienst, mit Arbeit an jedem zweiten Wochenende und immer weniger Personal auf den Stationen. Nun arbeitet sie außerhalb der Pflege, aber mit geregelter Arbeitszeit und freiem Wochenende. Leicht ist ihr dieser Schritt nicht gefallen, aber sie konnte einfach nicht mehr. Und sie ist nicht die einzige aus ihrer Einrichtung, die in den letzten Monaten fluchtartig den Beruf verlassen haben.

Nicht nur die Pflegenden streiken. Das Streikbuffet wird professionell und liebevoll von Kolleginnen aus der Hauswirtschaft gestaltet. Auch sie streiken für eine Entlastung. Ein Kollege aus einem anderen nicht-pflegerischen Bereich hat die Sorge, dass eine Ausgliederung seines Bereichs droht. In den Gesprächen wird deutlich, wie wichtig die Einigkeit im Kampf um einen Tarifvertrag für alle Beschäftigten ist, die einzelnen Berufsgruppen haben das erkannt und lassen sich nicht auseinanderdividieren.

Ich drehe eine Runde über den Platz, treffe Karin, die im OP arbeitet, oute mich als UZ-Redakteur und frage sie, warum sie streikt. „Weil ich schon sehr lange in meinem Beruf tätig bin und wir einfach keinen Nachwuchs bekommen. Auch orientieren sich Kollegen anderweitig. Wir sind mittlerweile am Limit und können auch unseren Job nicht mehr gescheit ausfüllen, wir arbeiten nur noch unter Druck. Die Arbeitsbedingungen müssen einfach besser werden, dafür streike ich.“
Petra arbeitet ebenfalls im OP und ist seit elf Wochen beim Streik dabei. Ich frage sie nach ihrer Stimmung und was der Streik bisher bewegt hat. „Na ja, es bewegt sich ja Gott sei Dank etwas und wir hoffen auch alle, dass es hoffentlich diese Woche zum Abschluss kommt. Aber wir können es halt nicht wissen. Es ist ja doch alles immer sehr dynamisch, wie die sich entscheiden oder doch nicht entscheiden. Es wäre halt schön, weil – es ist ja auch eigentlich ein schöner Job und ich würde gerne wieder richtig normal arbeiten gehen. Und dann halt auch mit besseren Bedingungen, dass man sich auch wieder wirklich auf seinen Job und die Patienten konzentrieren kann. Und nicht einfach nur hopplahopp irgendwie macht.“

Evelyn arbeitet in der Augenambulanz. „Haltet ihr weiter durch, auch wenn es jetzt keinen Abschluss gibt?“, frage ich sie. Ihre Antwort charakterisiert diesen Streik: „Wir müssen durchhalten, weil uns das Wohl der Patienten halt einfach am Herzen liegt. Wir möchten, dass die gut versorgt sind. Wir möchten, dass die auch schnell versorgt sind und damit sie dann auch irgendwie gut und gesund nach Hause können. Dafür müssen die Bedingungen deutlich besser werden.“
Auch Nora arbeitet im OP und kritisiert ihre Arbeitsbedingungen: „Mittlerweile ist es halt schon ziemlich Stress, eine große Abfertigung immer wieder und wir sind immer weniger Personal. Es kommt kaum was nach an Nachwuchs. Es wird Zeit, dass sich daran was ändert und dass die Patienten dadurch auch besser versorgt werden können und auch die Wartezeiten für die Patienten vielleicht nicht ganz so lang sind.“

Wir diskutieren noch mit anderen Kolleginnen, die die Notwendigkeit des Streiks begründen: „Sonst sehen wir irgendwann alt aus, das ist das Problem. Wer macht dann irgendwann mal für uns?“ Eine andere Krankenschwester schiebt nach: „Wenn wir irgendwann mal im Krankenhaus liegen und dann gibt es keinen mehr …“

ver.di-NRW-Chefin Gabriele Schmidt machte in den vergangenen Wochen immer wieder deutlich, dass die Gewerkschaft bereit sei, Tag und Nacht zu verhandeln. „Der Streik könnte sofort beendet werden, sobald die Eckpunkte für einen Tarifvertrag stehen, der wirklich Entlastung bringt“, sagte die Gewerkschafterin. „Ich hoffe, dass sich die Arbeitgeber nun voll und ganz auf eine Verhandlungslösung konzentrieren. Durch die Finanzierungszusage im Landtag NRW vom 30. Juni 2022 gibt es nun kein Hindernis mehr für einen guten Tarifvertrag Entlastung an den Unikliniken.“

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"Wir lassen uns nicht kleinkriegen!", UZ vom 22. Juli 2022



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