Etwa 350 Beschäftigte arbeiten in Frankfurt am Main und Offenbach für den Essenslieferdienst Lieferando. Knapp die Hälfte von ihnen hat am 1. Mai gestreikt, von 9 bis 21 Uhr. Ihr Warnstreik war damit der bisher längste. Die „Rider“ genannten Fahrradkuriere kämpfen für einen Tarifvertrag. Lieferando stelle sich seit über einem Jahr taub gegenüber den berechtigten Forderungen der NGG, kritisierte Mark Baumeister. Er ist als Referatsleiter der Gewerkschaft für Lieferdienste zuständig.
Die Arbeitsbedingungen bei Lieferando, Wolt & Co. sind verrufen. Gorillas etwa war dafür bekannt, seine Rider nicht einmal mit verkehrstauglichen Fahrrädern und wetterfester Arbeitskleidung auszustatten. Die prekären Löhne zahlte das Unternehmen teils zu spät oder gar nicht. Die Arbeitsbedingungen waren dermaßen unterirdisch, dass Beschäftigte sich im Herbst 2021 zu einem viertägigen wilden Streik gezwungen sahen. Gorillas feuerte daraufhin rund 350 der Streikenden. Sie klagten vergeblich auf Wiedereinstellung.
Ende 2022 übernahm Konkurrent Getir das Geschäft von Gorillas. Die Beschäftigten profitierten davon nicht. Vor kurzem gab Getir bekannt, sich aus Deutschland zurückzuziehen. 1.300 Stellen gehen dadurch verloren.
Die Lieferdienste stellen bevorzugt Migranten ein, die ihre Rechte nicht kennen und auf einen Arbeitsvertrag angewiesen sind, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Die Rider bekommen ihre Aufträge via Apps zugewiesen und arbeiten verstreut. Das erschwert die gewerkschaftliche Organisation. Mittels Union Busting und einem System aus Subunternehmen wie etwa bei Wolt behindern die Lieferdienste die Gründung von Betriebsräten.
Die Lieferando-Beschäftigten haben sich mittlerweile Betriebsräte und unbefristete Arbeitsverträge erkämpft. „In Frankfurt und Offenbach sind die Betriebsräte gut organisiert“, sagte Mark Baumeister der „jungen Welt“. „Sie geben den Puls vor.“ Man komme jetzt in die heiße Phase. „Wir beginnen hier, wo unsere besonders aktiven, selbstbewussten Betriebsräte sind, und werden danach in anderen Städten der Republik weitermachen.“
NGG fordert einen Stundenlohn von mindestens 15 Euro plus angemessene Zuschläge für Spätschichten und Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie ein 13. Monatsgehalt. Die letzte Fahrt nach Hause müsse voll bezahlt werden. Für autofahrende Lieferanten besteht die Gewerkschaft auf einer Kilometerpauschale von 0,50 Euro netto.
Bislang bekommen Rider bei Lieferando nur den Mindestlohn, 12,50 Euro pro Stunde. Dazu gibt es „Boni“: In Frankfurt am Main bekommen die Kuriere ab der 26. Lieferung im Monat 0,25 Euro mehr je Lieferung. Ab der 101. gibt es 1 Euro zusätzlich, ab der 201. dann 2 Euro. Diese Bonuszahlungen stehen in der Kritik, weil sie Fahrer dazu treiben, unnötig schnell zu fahren und sich selbst und andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Eine sichere Einnahmequelle sind sie ohnehin nicht: Es ist Glücksache, wie viele Aufträge ein Rider schafft. Faktoren sind unter anderem die Länge der Lieferstrecken und die Wartezeit in Restaurants, bis eine Lieferung fertig ist. Und natürlich die Zahl der Bestellungen, die Kunden aufgeben. Im Sommer sind das generell weniger: Ist das Wetter gut, gehen Kunden lieber selbst essen.
Den Warnstreik jedenfalls bewertet die NGG als Erfolg. Gegenüber dpa hatte ein Sprecher von Lieferando im Vorfeld getönt, man rechne mit keinen Einschränkungen für Verbraucher und Restaurants. Gewerkschaftssekretärin Anna Langensiepen stellte zufrieden fest: Morgens und mittags sei kaum geliefert worden, auch abends habe es noch erhebliche Schwierigkeiten gegeben.