Große Wut über Verweigerungshaltung der Arbeitgeber und Rüstungsmilliarden – Ein Streiktag in Nürnberg

„Wir haben einfach mehr verdient!“

Endlich scheint die Sonne. Mehrere hundert Kolleginnen und Kollegen des Fachbereichs C stehen am Donnerstagmorgen bei Frühlingstemperaturen vor dem Nürnberger Gewerkschaftshaus. Kaffeebecher in der einen, Brezel in der anderen Hand, diskutieren sie über die aktuelle Situation. „Es ist einfach krass, dass es bis heute noch nicht einmal ein Angebot der Gegenseite gibt“, sagt Tina und schüttelt den Kopf. Für die JAVlerin am Kommunalen Klinikum Nürnberg ist es bereits die zweite Tarifrunde, die sie aktiv mitmacht. Auch 2023, kurz nach der Pandemie, war die Verbitterung vieler Kolleginnen und Kollegen darüber spürbar, außer Geklatsche nichts wert zu sein. „Wie vor zwei Jahren stehen wir wieder vor der Entscheidung: weiterstreiken, weiterkämpfen und ein Angebot erzwingen – oder uns mit nichts zufrieden geben.“ Damit nimmt Tina die zentrale Botschaft der Auftaktveranstaltung im Gewerkschaftshaus vorweg. Wenig später haben sich dazu mehr als 500 Beschäftigte aus dem Gesundheitsbereich versammelt.

Die Teilnehmenden der Streikkonferenz kommen aus den kommunalen Kliniken Nürnberg und Fürth, den städtischen Altenheimen und aus diversen kleineren Einrichtungen der Region. Sie wurden von ihrer Gewerkschaft ver.di für 48 Stunden zum Streik aufgerufen. Das ist für viele der Kolleginnen und Kollegen keine alltägliche Situation. Der Druck der Stationsleitungen und Vorgesetzten ist hoch, nicht zuletzt moralisch. „Es ist immer noch die Frage: Wer gefährdet die Patientinnen und Patienten? Wer verhält sich verantwortungsbewusst, wer unsolidarisch: Die Personen, die streiken, um auf unsere Situation aufmerksam zu machen und sie zu verbessern, oder diejenigen, die hoffen, die Dinge werden von alleine besser?“, fragt Tina. Dann eilt sie samt Snack und Getränk nach oben in den ersten Stock des Gewerkschaftshauses. Sie wird vor der Tür zum großen Saal gebraucht, zum Abscannen. Vor dem Einlass zur Auftaktveranstaltung hat sich eine lange Schlange gebildet. Es gilt, sich in Anwesenheitslisten einzutragen, Gewerkschaftsmitglied zu werden und zu hoffen, dass die digitale Streikgeld-erfassung per Handy funktioniert. Die Stimmung im Gedränge ist super. Kolleginnen anderer Kliniken, benachbarter Stationen oder des eigenen Wohnbereichs werden freudig begrüßt. „Es ist echt gut, dass so viele gekommen sind“, sagt Anita, eine Kollegin aus dem Klinikum Fürth, mit Blick auf die immer noch lange Schlange.

Kurz nach 9 Uhr ist der Saal bereits voll, trotzdem strömen weiter Streikende herein. Für alle ist wichtig, wie es nun weitergeht. Auch in der zweiten Verhandlungsrunde wurde nicht auf die Forderungen nach 8 Prozent mehr Geld und zusätzlichem Urlaub eingegangen, es gab wieder kein Angebot. Der Auftakt-Input macht klar: Wir müssen in dieser Situation vor allem weiter Druck aufbauen, mehr werden, uns organisieren. Der zuständige Gewerkschaftssekretär stellt für alle Anwesenden im Saal den Fahrplan für die nächsten Wochen und die weiteren Schritte vor: heute Beginn des 48-Stunden-Streiks an den Kliniken, morgen gemeinsam streiken mit den Kolleginnen und Kollegen der Care-Bereiche, also der Kitas, der Sozial-und Erziehungsdienste, der Jugendhilfe. Dann folgt in der kommenden Woche der „Mega-Streiktag“ in der Region. Immer wieder wird klar: Die Wut über die Verweigerungshaltung vor allem der kommunalen Arbeitgeber ist groß, der Frust der Beschäftigten, nur als Kostenfaktor behandelt zu werden, riesig.

Nach der Auftaktveranstaltung startet ein vielfältiges Workshop-Programm. Über das Gewerkschaftshaus verteilt, gibt es diverse einstündige Programmpunkte. Die Angebote reichen von „Einführung ins Arbeitsrecht“, „Krankenhausreform“ über „Sexismus und sexuelle Belästigung im Arbeitsalltag“ bis hin zur Frage, warum der Kampf gegen Rechts ein Thema der Gewerkschaften ist. Auch Jürgen Wagner von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung ist angereist und diskutiert in seinem Workshop zum Thema: „Die sozialpolitischen Folgen der ‚Zeitenwende‘: Aufrüstung durch Sozialabbau“.

111301 Streik Ruestung - „Wir haben einfach mehr verdient!“ - Nürnberg, Streik, TVöD 2025, ver.di - Wirtschaft & Soziales
(Foto: Tatjana Sambale)

Die Streikkonferenz wird gut angenommen, auch wenn es manchmal etwas dauert, bis alle die richtige Veranstaltung gefunden haben. Doch auch hier ist spürbar: Streik ist gelebte Solidarität, mit einer guten Portion Neugier und Mut zur Improvisation. Die Kollegin, die eigentlich die Filmvorführung zur Entlastungbewegung an den Unikliniken in NRW sucht, aber im falschen Raum landet, nimmt spontan am Vortrag des Poliklinik-Syndikats zu solidarischen Gesundheitszentren teil. Und wenn die Technik mal nicht funktioniert, wird sich eben ganz analog miteinander unterhalten. In der Mittagspause zieht es die Menschen zurück auf den sonnigen Platz vor dem Gewerkschaftshaus. Es wird gegessen und getrunken, aber vor allem viel diskutiert. Die unvorstellbar hohen Summen für Militär und Aufrüstung, die bereits Thema in den Nachrichten sind, machen für viele deutlich: Geld ist anscheinend da, es soll nur nicht für uns ausgegeben werden.

15 Milliarden Euro hat der Tarifabschluss des Öffentlichen Dienstes in der letzten Tarifrunde gekostet. Er wurde immer wieder als zu teuer, nicht finanzierbar, für die Kommunen extrem belastend kritisiert. Plötzlich stehen Summen von 500 Milliarden im Raum – und mit ihnen die Frage „Für Rüstung ist Geld da, aber für uns als Beschäftigte in der Öffentlichen Daseinsvorsorge nicht?“ Antje, Krankenpflegerin und Personalrätin am Klinikum Nürnberg, sagt im Gespräch: „Wir fordern 500 Milliarden Euro Sondervermögen in die Öffentliche Daseinsvorsorge statt in Aufrüstung. Waffen töten, wir schützen Menschenleben!“ Ihre Wut ist fast mit Händen greifbar. Ihre Kritik zieht sich durch viele Gespräche und findet bald auch den Weg auf Schilder und Transparente, die zum Abschluss des ersten Streiktages vor dem Gewerkschaftshaus gemeinsam gemalt und gebastelt werden. „500 Milliarden für uns!“, „Bei der Rüstung seid ihr fix, für die Pflege tut ihr nix“, steht bald auf Kartons und Pappe. Alles ist bereit für die Streikdemo am nächsten Tag. Auch Tina verabschiedet sich mit einem fröhlichen „Bis morgen!“

„Heute ist kein Arbeitstag – heute ist Streiktag!“, ertönt es knapp 20 Stunden später in der Nürnberger Innenstadt. Treffpunkt zur Streikdemo ist vor dem bayrischen Ministerium für Gesundheit und Pflege, mit Zwischenstopp am Rathaus. Auf der Kundgebung wird thematisiert, dass die Streiks in den Medien, gerade auch in der Region, immer wieder als unverhältnismäßig kritisiert werden. Das erntet viel Buhrufe und zum Teil auch bitteres Gelächter. „Kein Angebot vorlegen, aber uns Eskalation vorwerfen, das ist wirklich eine Frechheit!“, sagt der Kollege neben mir. Auch Fadime, ver.di-Kollegin aus einem Kindergarten der Stadt Nürnberg, bringt es auf den Punkt: „Ohne streiken können wir nichts verändern. Deshalb müssen wir auf jeden Fall weitermachen.“ Merle, die in einer Tagesstätte für Autisten arbeitet, sagt wenig später: „Ich streike, weil die wirtschaftlichen Bedingungen es nötig machen, dass wir mehr verdienen, um lebensfähig zu bleiben.“ Danach gefragt, ob sie daran glaubt, durch den Streik etwas verändern zu können, sagt sie: „Wenn wir lange genug streiken, dann ja.“

Nach einer Demonstration durch die Innenstadt endet der Streiktag vor dem Gewerkschaftshaus. Jan, Erzieher, sagt, nach den Gründen für seine heutige Streikteilnahme gefragt: „ver.di hat heute aufgerufen zum Streik, um die Arbeitsbedingungen für Erzieherinnen und Erzieher zu verbessern. Daher bin ich hier – zum Streiken. Unsere Arbeitsbedingungen, gerade in den Einrichtungen, sind zum Kotzen. Wir haben krassen Personalmangel, niemand will mehr Erzieher werden, und das muss geändert werden.“ Auch Caro arbeitet bei der Stadt Nürnberg im Sozialbereich und sagt: „Es ist einfach wichtig, dass wir gesehen werden, weil die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden. Die Kinder können nicht ordentlich betreut werden, weil der Stellenschlüssel einfach der Wahnsinn ist. Wir haben einfach mehr verdient!“

Der Streiktag endet mit dem Appell, weiterzukämpfen und stärker zu werden. Ganz besonders auch mit Blick auf die Aktionen zum 8. März am nächsten Tag versichern viele Kolleginnen und Kollegen, dass sie weiter streiken werden und wollen. Denn: „Eins, zwei, drei, vier – mehr Urlaubstage wollen wir! Fünf, sechs, sieben, acht – ganz Nürnberg wird heut dicht gemacht. Neun und zehn – die Warnstreiks werden weiter gehen!“

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"„Wir haben einfach mehr verdient!“", UZ vom 14. März 2025



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