UZ: Peter, du warst Mitglied im „Bundesausschuss zur Neukonstituierung einer Kommunistischen Partei“, der die DKP am 25. September 1968 offiziell ins Leben gerufen hat. Du warst zuvor Mitglied der 1956 verbotenen KPD. Wann bist du zur KPD gestoßen?
Peter Dürrbeck: Ich war seit 1956 Mitglied der KPD. Den KPD-Verbotsprozess, bei dem Nazi-Richter eine Rolle spielten, hatte ich intensiv verfolgt, schon weil meine Mutter als ehemalige Landtagsabgeordnete und Funktionärin der Partei das alles hautnah miterlebt hat. Dann kam das Verbot und ab dem Tag des KPD-Verbots habe ich begonnen, Beiträge zu bezahlen, aus Solidarität. Das war zunächst eher eine Art Spende.
Ich hatte mich schon vorher mit der Frage auseinandergesetzt, ob ich nicht KPD-Mitglied werden sollte, aber ich war mir nicht sicher.
UZ: Warum warst du unsicher, ob du KPD-Mitglied werden willst?
Peter Dürrbeck: An vielen Punkten habe ich erlebt, wie Genossinnen und Genossen sehr eingeengt waren. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass gerade die Genossen, die im KZ gesessen hatten, sehr diszipliniert arbeiteten – August Baumgarte aus Hannover zum Beispiel.
Aber ich fand manche Strukturen nicht gut, das Militärische an der KPD hat mich oft gestört. Und das Freund-Feind-Denken war ausgeprägt. Deshalb hatte ich so meine Bedenken.
Schon vor dem Verbot der KPD habe ich bei den Naturfreunden gearbeitet, war Stellvertretender Landesjugendleiter. Da gab es viele Menschen, die schwankten. Die bezeichneten sich als Linke, fühlten sich von der KPD aber oft nicht angesprochen.
UZ: Wie hast du die Arbeit der illegalen KPD erlebt?
Peter Dürrbeck: In der Illegalität bin ich nach und nach in die Parteiarbeit reingewachsen und habe Funktionen übernommen. Da war ich in der Kreisleitung in Hannover der illegalen KPD. Willi Gerns war Kreissekretär, ich war Verantwortlicher für Jugendpolitik. Im Kreis hatten wir zum Beispiel eine Sammelbetriebsgruppe Grafische Jugend, eine Gruppe aus dem Hochschulbereich und eine Gruppe aus dem Bereich Gewerkschaftsjugend. Dort haben wir über betriebliche und jugendpolitische Fragen diskutiert oder haben den Wahlkampf der DFU unterstützt.
Außerdem war ich, wie gesagt, in der Naturfreundejugend, war beim Ostermarsch aktiv und in der illegalen KPD. Da habe ich keine Aufträge der Partei gekriegt, die mir Vorgaben machten, wie ich mich verhalten soll. Aber ich habe den Genossen der Kreisleitung berichtet, was im Ostermarsch los war oder was in der Gewerkschaftsjugend oder bei den Naturfreunden diskutiert wurde.
UZ: Und du hast dann auch auf Bezirksebene Verantwortung in der KPD übernommen.
Peter Dürrbeck: Ja, Kurt Baumgarte war der Leiter des Bezirkssekretariats. Er hat mich dann in die Arbeit des Bezirkssekretariats mit eingebunden.
UZ: Wie hat die Kommunikation zwischen den Ebenen funktioniert?
Peter Dürrbeck: Es gab eine funktionierende Bezirksleitung, die die Leitungen vor Ort betreute. Die Kreisleitung Hannover hat sich alle vier Wochen in einer Privatwohnung getroffen und da haben wir Absprachen getroffen. Außerdem waren wir auch alle in der VVN, weil wir direkt Verfolgte oder Kinder von Verfolgten waren. Man ist sich also auch außerhalb dieser geheimen Treffen begegnet.
Aber wir waren sehr vorsichtig. Ich kann mich erinnern, dass ein Genosse, dem ich kurz zuvor bei der VVN begegnet war, mit mir einen Lauftreff vereinbarte. Das war manchmal etwas übertrieben. Der Genosse hätte auch sagen können, „Komm mal eben ins Nachbarzimmer, wir müssen mal kurz was besprechen“. Stattdessen haben wir uns extra getroffen und sind gemeinsam die Herrenhäuser Allee entlang spaziert.
UZ: Und wie habt ihr außerhalb der KPD gearbeitet, um welche Themen ging es damals?
Peter Dürrbeck: Um Frieden, gegen die Aufrüstung, aber auch um die Situation der Lehrlinge. „Braucht Du ‘nen billigen Arbeitsmann, schaff‘ dir einen Lehrling an“ – das war ja nicht erst nach Gründung der SDAJ ein Thema.
UZ: Hattest du auch eine Funktion in der Gewerkschaft?
Peter Dürrbeck: Ich war in der IG Metall und Jugendvertrauensmann bei Siemens.
UZ: Wie habt ihr damals in der IG Metall agiert? Gab es Vorbehalte gegenüber Kommunisten?
Peter Dürrbeck: Ja, die gab es, auch wegen unserer Haltung gegenüber der DDR und der Sowjetunion. Da gab es zum Beispiel die Verhaftung von Heinz Brandt, der aus der DDR in die BRD übergesiedelt war und damals als Redakteur der IG-Metall-Zeitung „Metall“ arbeitete.
Heinz Brandt nahm in West-Berlin als Berichterstatter an einem Gewerkschaftstag teil und nutzte dies zu einem Kurzbesuch in Berlin – später hat er dann behauptet, er sei nach Ost-Berlin verschleppt worden. Er besuchte also eine alte Freundin, die bei der Stasi arbeitete, und bei diesem Besuch ist er verhaftet worden. In der IG Metall war das ein großes Thema.
Bei einer IGM-Vertrauensleutekonferenz in Hannover mit vierhundert Metallern wurde das zum Thema gemacht. Willi Gerns wusste, dass dort ein Antrag, der die Freilassung von Heinz Brandt forderte, zur Abstimmung gebracht werden soll. Dieser Antrag enthielt Formulierungen, die gegen die DDR hetzten. Willi Gerns ist dann dort aufgetreten – sehr mutig – und hat begründet, warum er den Antrag ablehnt und dass die Forderung, Heinz Brandt freizulassen, genutzt wird, um gegen die DDR zu hetzen.
Bei der Abstimmung haben dann nur zwei oder drei Genossen gegen diesen Antrag gestimmt, und fünf oder sechs Genossen – zu denen ich auch gehörte – haben sich der Stimme enthalten. Alle anderen waren für den Antrag. Eine vorherige Absprache unter uns Genossen war nicht möglich. Anschließend habe ich dann bei Siemens auch ein paar Probleme bekommen, wegen der Enthaltung. Vor allem die Betriebsräte guckten dumm, als sie mein Abstimmungsverhalten sahen. Gegenüber Willi Gerns hat man danach versucht, seine marxistische Schulungsarbeit in Hannover als Arbeit der illegalen KPD auszulegen.
UZ: Du bist 1967 wegen deiner Tätigkeit in der KPD verhaftet worden. Wie kam es zu deiner Verhaftung?
Peter Dürrbeck: Vor der Verhaftung hatte ich Kurt Baumgarte aufgesucht. Kurt hatten sie bereits im Visier. Wir sind mit Hans Schnippering nach Hannover-Linden zu Karl Beerenwinkel in die Wohnung gefahren und haben dort eine Sitzung abgehalten.
Auf dem Weg zum Treffen wurden wir beobachtet. Nach dem Treffen wurden Hans Schnippering, Kurt Baumgarte und ich verhaftet. Hans und ich wurden ins Polizeigefängnis in Hannover gebracht und von da aus zur Landeskriminalpolizei. Der Vorwurf lautete, wir seien die illegale Leitung der KPD in Niedersachsen. Kurt Baumgarte sei der Spiritus rector gewesen.
Im Prozess kam dann der Vorwurf, dass Kurt Baumgarte im ZK der KPD war. Da vermute ich, dass jemand das ausgeplaudert hat. Aus dem, was Kurt und ich an Notizen dabei hatten, wurde außerdem eine Anklage gebastelt. Das waren Zettel mit Zahlen, die als Abrechnung der Bezirksleitung gegenüber dem ZK gewertet wurden – es hätten aber auch die Ergebnisse einer Skat-Runde sein können.
UZ: Was hast du dafür gekriegt, dass du einen Zettel mit Zahlen in der Tasche hattest?
Peter Dürrbeck: Ein Jahr, davon habe ich zehn Monate abgesessen. Von März bis Dezember 1967. Durch die Solidaritätsaktionen und umfassende Berichterstattung in der DDR bin ich dann vorzeitig entlassen worden. Bei Kurt war es noch mehr, der hat wäschekörbeweise Solidaritäts-Briefe bekommen, die ihm zu einem großen Teil nicht ausgehändigt wurde, solange er noch im Gefängnis saß.
UZ: Hattet ihr im Gefängnis Kontakt zu anderen Genossen?
Peter Dürrbeck: In Oldenburg saßen zu der Zeit nur Kurt und ich. Es gab immer einen zentralen Ort, wo die Genossen gesammelt inhaftiert waren. Bei Willi Gerns war das Wolfenbüttel – da saßen etwa zwölf Genossen, darunter August Baumgarte, die auch Schulungsarbeit gemacht haben. Die haben auch gemeinsam den Kirchgang mitgemacht, um Kontakt zu anderen Häftlingen zu bekommen und zu diskutieren. Ansonsten wurden KPDler getrennt von anderen Häftlingen verwahrt.
Auch Kurt und ich waren eine Art Sonderhäftlinge. Wir mussten getrennt von den „normalen“ Häftlingen im Hof spazieren gehen.
UZ: Welche Aufgaben hast du nach deiner Entlassung in der KPD übernommen?
Peter Dürrbeck: Nachdem ich aus dem Gefängnis kam, stand ich unter Beobachtung und konnte nicht mehr in den Strukturen der illegalen KPD arbeiten. Ich nahm nach meiner Entlassung an einer Beratung der KPD in Magdeburg teil und bin dann zu einer privaten Silvesterfeier in Ost-Berlin gefahren. Da habe ich von Willi Mohn, der damals 2. Sekretär der KPD war, erfahren, dass es für das Jahr 1968 Pläne gab, wieder legal öffentlich aktiv zu werden. Das war dann zunächst der Versuch, mit dem KPD-Programmentwurf an die Öffentlichkeit zu gehen. Dann wurde am 5. Mai die SDAJ offiziell gegründet.
UZ: War von der DKP da schon die Rede?
Peter Dürrbeck: Nein, jedenfalls wusste ich noch nichts davon. Aber es lag sozusagen in der Luft, dass etwas passieren musste. Wir wollten nicht, was Wehner vorschlug – die Gründung einer neuen kommunistischen Partei. Wir forderten eine Wiederzulassung der KPD, deshalb die „Neukonstituierung“.
Noch bei den Weltfestspielen 1968 in Sofia habe ich mit jungen Leuten aus Berlin über die kommende Wiederzulassung der KPD gesprochen – das war damals in der Diskussion. Aber wir mussten dann feststellen, dass bei der Vorstellung des Programmentwurfs der KPD Herbert Mies und andere festgenommen wurden. In der Region Braunschweig zum Beispiel hat man Exemplare des KPD-Programmentwurfs beschlagnahmt. Das war Anfang 1968. Es war bereits zu spüren, dass jetzt etwas passieren muss.
UZ: Und wann hast du von den Plänen erfahren, die DKP als Neukonstituierung der kommunistischen Partei zu gründen?
Peter Dürrbeck: Von dem Vorhaben habe ich im August 1968 nach den Ereignissen in der CSSR erfahren. Da ist Kurt Erlebach auf mich zugekommen und hat mir gesagt, ich müsse sofort zu Otto Hans nach Hildesheim fahren, um dann in Frankfurt am Main an der Gründung des „Bundesausschusses zur Neukonstituierung einer Kommunistischen Partei“ teilzunehmen.
UZ: Hattet ihr nicht die Sorge, dass die DKP gleich wieder verboten wird?
Peter Dürrbeck: Otto Hans und ich haben gescherzt, dass wir entweder in Frankfurt verhaftet werden oder wir können die DKP gründen und kriegen später den Vorwurf, dass wir zu einer kleinen Gruppe von Renegaten gehören, die eine neue kommunistische Partei gegründet haben.
Dieser Vorwurf kam dann allerdings erst später – vom Arbeiterbund oder den Maoisten zum Beispiel.
Als wir zurück in Niedersachsen waren, haben wir dann einen Landesausschuss zur Gründung der DKP gebildet. Wir haben ja die Partei nicht von unten nach oben aufgebaut, sondern von oben nach unten. Dafür haben wir auf die Kader der KPD zurückgegriffen.
UZ: Wann war euch klar, dass die DKP Bestand haben wird?
Peter Dürrbeck: Mit der Vorbereitung des 1. Parteitages in Essen. Da war eine richtige Aufbruchstimmung zu spüren. Wir hatten zuvor eine bundesweite Versammlung in Offenbach, die der direkten Parteitagsvorbereitung diente. Und da hatte sich durchgesetzt, dass das jetzt die neue Partei ist.
Das haben aber nicht alle sofort eingesehen. Es gab Genossen, wenn auch nicht viele, die abwarteten und sagten, dass sie erst eintreten, wenn Max Reimann in der DKP auch eine Rolle spielt. Aber bei denen, die durchgängig Kontakt zur illegalen KPD hatten, war das keine Frage mehr.
UZ: Aber die KPD bestand weiter.
Peter Dürrbeck: Ja, die KPD wurde eine Zeit lang aufrecht erhalten. Einige Genossen waren erst einmal noch in der KPD – neben anderen Kurt Fritsch. Wenn man so will, dann war das eine Art Reserve, falls es mit der DKP doch schief geht. Es gab ja auch weiter Angriffe auf uns. Noch beim 1. Parteitag sollte Jupp Angefort in den Parteivorstand gewählt werden und ist bei der Einreise in die BRD verhaftet worden, saß zwei oder drei Wochen im Gefängnis. Er war ein weiterer wichtiger KPD-Funktionär, der dann Verantwortung in der DKP übernahm.
Aber spätestens als Max Reimann Ehrenvorsitzender der DKP wurde, also nach dem 2. Parteitag, war allen klar: die DKP ist die kommunistische Partei.