Auf dem Parteitag der Partei „Die Linke“ gab es eine sehr kurze, aber intensive Debatte zur Lage im Nahen Osten. Anlass war ein als Kompromiss vorgestellter Antrag des Parteivorstandes mit dem Titel: „Stoppt den Krieg – Waffenstillstand sofort! Geiseln freilassen! Antisemitismus und Rassismus ächten!“. Nick Papak Amoozegar, Schatzmeister im Landesvorstand der hessischen Linkspartei, wies in seiner Rede auf den Völkermord in Gaza hin und erhielt heftigen Gegenwind. UZ sprach mit ihm über die Diskussion, das Verhältnis der Partei zum Antikolonialismus und den Neustart der „Linken“.
UZ: Du hast in Augsburg das Verhalten deiner Partei zum Krieg gegen Gaza kritisiert und den Mut aufgebracht, von einem Völkermord zu sprechen. Dafür hast du wütende Pfiffe und Zwischenrufe geerntet. Was waren deine Hauptkritikpunkte und hattest du mit so starkem Gegenwind gerechnet?
Nick Papak Amoozegar: Zunächst einmal finde ich, dass wir uns bei dem Thema zu weit wegducken. Ich kann die Angst verstehen, wenn man sieht, wie die Debatte in Deutschland momentan geführt wird. Aber ich halte es nicht für richtig. Bei allem, was in Gaza passiert, muss man als linke Partei den Mund aufmachen und mit klaren Worten sprechen. Schon beim Wort „Kompromissantrag“ hört man raus, dass versucht wurde, möglichst alle mitzunehmen. Blickt man auf das Abstimmungsergebnis, hat das auch funktioniert. Es stehen viele richtige Dinge da drin. Ich finde aber, dass es einen Unterschied in der Sprache gibt, wenn von den beiden Parteien dieses Konfliktes gesprochen wird. Und es fehlt mir auch einiges. Mir fehlen zum Beispiel die vielen Palästinenser in den israelischen Gefängnissen, die dort ohne Prozess einsitzen. Mit Gegenwind habe ich gerechnet, aber nicht unbedingt in dieser Schärfe. Natürlich hätte ich meine Rede auch anders formulieren können und sagen, dass ich mich auf den israelischen Historiker und Holocaust-Forscher Raz Segal berufe, der mit Blick auf die israelischen Angriffe von einem „textbook case of genozide“ spricht. Viele internationale Organisationen, auch Unterorganisationen der UN, sprechen von einem Genozid oder warnen zumindest davor. Das zu vermitteln ist in Deutschland schwierig. Das gilt auch für die Partei „Die Linke“.
UZ: Auch im Nachgang musstest du dich mit Angriffen auseinandersetzen. Der hessische Landesvorsitzende Jakob Migenda schrieb auf „X“, es sei „völlig klar, dass in Gaza gerade kein Genozid stattfindet“. Das sei auch so beschlossen worden. Stimmt das?
Nick Papak Amoozegar: Der Antrag, der in Augsburg beschlossen wurde, stellt keineswegs ausdrücklich fest, dass in Gaza kein Genozid stattfindet. Wir können das auch nicht einfach beschließen. Er führt auf, was in Gaza passiert. Und wenn man das mit den Punkten vergleicht, die einen Genozid ausmachen, sollte das zu denken geben. Der Beschluss sagt explizit nichts dazu. Man darf gerne anderer Meinung sein als ich, aber dann muss es inhaltlich diskutiert werden. Das hat meine Partei bislang nicht getan.
UZ: In deiner Rede hast du darauf hingewiesen, dass neben der Hamas auch andere Widerstandsgruppen am 7. Oktober beteiligt waren. Das ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt und spielte auch auf dem Parteitag sonst keine Rolle …
Nick Papak Amoozegar: Für die Menschen in Deutschland, aber auch für die Mitglieder der „Linken“, ist die Medienlandschaft nicht unendlich weit. Man hört wenig von den Quellen, die direkt vor Ort sind. Und wenn etwas von der palästinensischen Seite kommt, dann wird es meist angezweifelt. Dass da auch andere Gruppen wie die DFLP oder die PFLP beteiligt sind, ist im Höchstfall eine Randnotiz. Aber natürlich ist es so, dass die Hamas wahrscheinlich die größte Organisation ist. Zudem bietet sie Angriffsflächen, mit denen sich der palästinensische Widerstand insgesamt diskreditieren lässt. Viele Medien beziehen sich ausschließlich auf die Hamas, weil die mit den Worten „islamistisch“ oder „terroristisch“ betitelt werden kann. Andere Gruppen des Widerstands, die man als links verorten würde, lässt man lieber weg. Das könnte man nicht, wenn man die Vorgeschichte mit einbeziehen würde. Dann würde man sehen, dass es keine Religionsfrage ist, sondern dass es für dieses Volk um die Existenz geht. Würde man jetzt zugeben, dass noch ganz andere Gruppen dabei sind, dann müsste man halt auch darüber sprechen, warum.
UZ: Diese Diffamierung findet auch hier in der Debatte statt. Du wurdest nach deiner Rede von rechten Accounts im Internet auch schon als „Islamist“ beschimpft. Hast du auch andere Reaktionen erhalten?
Nick Papak Amoozegar: Ja, ich habe auch Unterstützung erfahren. Zum einen gab es viel Zuspruch von Genossinnen und Genossen, die sich selbst aber nicht öffentlich äußern wollen. Zum anderen aber auch von Palästinenserinnen und Palästinensern, die dankbar dafür sind, dass mal jemand sagt, was mit ihnen passiert. Denn wenn sie das selbst sagen, werden sie schnell als „Hamas-Leute“ betitelt oder ihnen wird der Entzug der Staatsbürgerschaft angedroht. Auch das Gerede vom eingewanderten Antisemitismus macht ihnen Angst. Daher sind sie sehr dankbar, wenn jemand andere Worte nutzt und sie in ihrem Kampf für die Freiheit unterstützt.
UZ: In Reden positioniert sich „Die Linke“ als antikolonialistische Kraft. Die realen Auseinandersetzungen in der Welt betrachtet sie aber mit einer gewissen Skepsis. Will die Mehrheit der Partei möglichst wenig mit dem Antikolonialismus zu tun haben, wenn er konkret wird?
Nick Papak Amoozegar: In den letzten Jahren gab es viele Austritte aus der Partei, aber auch Eintritte. Dabei handelt es sich besonders um junge Menschen aus dem städtischen Milieu. Das ist erst mal nicht negativ. Aber diese Menschen kommen in die Partei und haben eine andere Geschichte als die ältere Generation, die „Die Linke“ aufgebaut hat. Und sie erhalten nicht die politische Bildung, die die Partei Neumitgliedern eigentlich mitgeben müsste. Sie sind aufgewachsen in diesem kapitalistischen Deutschland, wo Regierung und Medien ein gewisses Bild von der Welt vermitteln. In dieses Bild passt es nicht rein, solidarisch zu sein mit den Kämpfen des globalen Südens. Ich glaube, dass viele, wenn sie sich damit auseinandersetzen würden, eine andere Haltung hätten. Aber diese Auseinandersetzung findet nicht statt.
UZ: In Augsburg schwebte über allem das Diktum der „Geschlossenheit“. Wie kommt man da raus, wenn die Auseinandersetzung gebraucht wird, sie aber nicht gewollt ist?
Nick Papak Amoozegar: Auf dem Parteitag ging es dem Parteivorstand um einen Neustart. Aber ich finde, ein Parteitag kann kein Neustart sein, wenn man sich nicht vorher auf Regionalkonferenzen oder anderen parteiinternen Veranstaltungen mit den Themen auseinandersetzt. Wenn man das gemacht hat – und dabei geht es um einen längeren Prozess –, dann könnte man vielleicht von einem Neustart sprechen und Konflikte entschärfen. Aber das geht natürlich nur, wenn man miteinander spricht und um Positionen ringt. Einen Parteitag zu machen in der Hoffnung, dass mit Sahra Wagenknecht und anderen auch ihre Positionen verschwinden, reicht nicht aus. Das ist ein total falscher Gedanke. Man muss sich zusammensetzen und Differenzen diskutieren. Solange das nicht passiert, kann es keine große Einigkeit und keinen Neustart geben.
UZ: Glaubst du, dass das passiert?
Nick Papak Amoozegar: Ich glaube, dass man „Die Linke“ noch nicht abschreiben kann. Die Partei hat noch die Chance, gesellschaftlich etwas zu bewegen. Aber dafür müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt werden. Es braucht mehr Diskussionen um Inhalte, mehr politische Bildung. Man kann diese Fragen nicht einfach über die Wahl von irgendwelchen Listen oder Vorständen lösen. Die Partei könnte sich noch berappeln, wenn es den Willen dazu gibt.