Die Dozierenden der Universitäten haben das erste Mal seit Langem landesweit gestreikt. Mit dem Ausstand sind sie nicht alleine: Den ganzen Dezember über kämpfen die Beschäftigten verschiedener Branchen für ihre Rechte. In dieser Woche zum Beispiel erneut die Bahner, die Post und – zum ersten Mal in der Geschichte – die Pflegenden des NHS. Die Regierung will infolgedessen die Gesetze verschärfen. UZ sprach darüber mit Stuart Moir, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität von Edinburgh. Er ist dort in der Gewerkschaft UCU aktiv und Mitglied der Kommunistischen Partei Britanniens (CPB).
UZ: Im November haben die Dozierenden der Universitäten drei Tage lang gestreikt. Die Gewerkschaft UCU hat dies als den „größten Universitätsstreik überhaupt“ bezeichnet. Warum fand dieser Arbeitskampf statt?
Stuart Moir: Es geht um vier Punkte: Renten, Löhne, Arbeitsbelastung und prekäre Verträge. Die effektiv stattfindende Rentenkürzung betrifft nur einige Universitäten aus dem älteren Versicherungssystem von vor 1992. Die anderen Punkte gelten überall: Seit 2009 sind die Löhne immer weiter gesunken, insgesamt um etwa 25 Prozent. Bezüglich der Arbeitsbelastung ist es so, dass für jede Aufgabe vertraglich eine Zeitspanne festgelegt wird, in der diese zu erledigen ist. Diese sind jedoch viel zu gering – für die Bewertung eines 1.500-Wort-Essays etwa nur 15 Minuten. Alle arbeiten also mehr und da die Arbeitszeit auf dieser Grundlage bemessen wird, macht man gezwungenermaßen Überstunden. Die Zahl prekärer Arbeitsverträge nimmt zu, de facto gibt es immer mehr Nullstundenverträge und solche, die nur über ein Semester gehen. Viele Beschäftigte arbeiten jahrelang unter diesen Bedingungen, ohne zu wissen, ob sie weiter beschäftigt werden.
UZ: Du hast dich selbst als Beschäftigter der Universität am Streik beteiligt und warst auch für einen Streikposten verantwortlich. Wie hast du die Stimmung unter den Kollegen wahrgenommen?
Stuart Moir: Es ist das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass wir eine Urabstimmung für einen landesweiten Streik hatten, davor wurde jeweils institutsweit abgestimmt und gestreikt. Ich glaube, es war auch die bisher höchste Zustimmung. Dieses Mal hat es einfach mehr Wut und Frust gegeben. Unter den Kollegen gab es stillschweigend den Beschluss, sich zu beteiligen. Auch die Studierendenvertretung steht hinter uns. Mehr als früher haben uns die Studierenden unterstützt. Viele haben sich an den Streikposten beteiligt, auch wenn es eher die politisch Aktiven sind, etwa aus der Young Communist League (YCL) oder der Communist Society an der Universität. An den Streikposten selbst war die Atmosphäre großartig, es gab ein sehr motivierendes Gemeinschaftsgefühl, das ich als Verantwortlicher auch befeuern wollte. Ich habe dort Kollegen gesehen, die keine aktiven Gewerkschafter waren und oft bis vor kurzem nicht einmal Mitglied. Aber sie sind in den letzten Wochen beigetreten und haben sich gleich beteiligt.
UZ: Ist schon klar, wann ein neues Angebot auf dem Tisch liegen wird?
Stuart Moir: Die Verhandlungen haben gleich nach dem Streik begonnen, dauern aber über Weihnachten bis in den Januar hinein an. Ende Januar wissen wir also wahrscheinlich mehr. Das ist interessant, denn von den Kollegen hört man während der Mobilisierungsphase oft, das bringe doch nichts, weil die andere Seite nicht an den Verhandlungstisch komme. In den letzten Jahren ist das tatsächlich nicht passiert. Letztes Jahr waren wir 20 Tage im Streik, das Jahr davor ungefähr genauso viele.Und uns wurde nicht mal zugehört. Das war aber auch kein landesweiter Streik. Dieses Mal hat die Generalsekretärin Jo Grady direkt nach dem letzten Streiktag verkündet, dass die Gegenseite zu Verhandlungen bereit sei, auch mit den anderen Gewerkschaften Unison und Unite.
UZ: Den Dezember hindurch gibt es bis Weihnachten praktisch jeden Tag einen Streik – in sehr unterschiedlichen Branchen. Fühlen sich die Streikenden als Teil einer Bewegung?
Stuart Moir: In den letzten Jahren waren wir während unserer Streiks die einzige Branche im Arbeitskampf, wir haben uns sehr isoliert gefühlt. Dieses Mal ist das völlig anders. Einige haben das den „Winter der Solidarität“ genannt. Vielleicht geht es zu weit zu sagen, dass die Streikenden sich als Teil einer Bewegung sehen, aber sicherlich haben sie das Gefühl, dass es nicht nur um ihre eigenen Interessen geht und sie Teil von etwas sind. Dass diesmal viele beteiligt sind, habe ich auch persönlich erfahren. Am ersten Tag streikten auch meine Söhne – einer ist Akademiker an einer anderen Universität, der andere Grundschulleiter. Wir werden von verschiedenen Gewerkschaften vertreten, aber wir alle waren an diesem Tag im Streik.
UZ: Die Medien diskreditieren die Streikenden, indem sie etwa die Ausstände als störend während der Weihnachtszeit darstellen. Glauben die Menschen diese Vorwürfe?
Stuart Moir: Einige leider ja, aber weniger als in der Vergangenheit. Angesichts der Krise merken die Leute, dass diese Diskreditierung Unsinn ist und der einzige Weg zum Erfolg über die Streiks führt. Kompetente Funktionäre, etwa Mike Lynch von der Transportgewerkschaft RMT oder Dave Ward von der Kommunikationsgewerkschaft CWU, treten außerdem öffentlich auf und widerlegen die Vorwürfe. Das wirkt sich auch positiv auf die Universitätsangestellten aus.
UZ: Premierminister Sunak will neue „harte“ Anti-Streik-Gesetze vorlegen. Inwiefern könnten sich die Bedingungen für Arbeitskämpfe verschlechtern?
Stuart Moir: Ich glaube nicht, dass diese Maßnahmen wirklich funktionieren werden. Sie richten sich vor allem gegen Streiks in den öffentlichen Versorgungseinrichtungen und bei der Eisenbahn. In solchen Bereichen soll es eine Minimalversorgung geben. Die Frage ist aber, wie das durchgesetzt werden soll, wenn die Leute streikbereit sind. Ich glaube, es wird den gegenteiligen Effekt haben, die Leute verärgern und davon überzeugen, den Kampf weiterzuführen. Und das macht es auch für uns leichter, Leute zu gewinnen.
UZ: Andererseits richten sich viele Arbeiter nach den Gesetzen und wenige sind bereit, in einen illegalen Streik zu treten. Beeinflussen solche Gesetze dann nicht die Bereitschaft negativ?
Stuart Moir: Ich denke, sie sind zu drakonisch und nicht umsetzbar. Von den gegenwärtigen Gesetzen, den striktesten in Europa, sagen einige aufgrund ihres Demokratieverständnisses, dass wir sie eben hinnehmen müssen. Aber es gibt nichts, um die kommenden Gesetze zu rechtfertigen.
UZ: Die Kommunistische Partei, der du auch angehörst, solidarisiert sich mit den Arbeitskämpfen. Ist die Unterstützung an den Streikposten willkommen?
Stuart Moir: Erstmal ist jede Art der Solidarität willkommen. Das gilt natürlich vor allem unter den Arbeitern. Bei uns sind etwa Post- und Bahnbeschäftigte bei den Streikposten vorbeigekommen und wir umgekehrt bei ihren. Über die Beteiligung der YCL haben sich einige Kollegen gefreut, andere waren nicht einverstanden. Einer hat sich über eine Ecke sogar beschwert, dass das Leute abschrecken könnte. An der Uni identifizieren sich eben wenige als Marxisten, selbst die, die in der Gewerkschaft für soziale Gerechtigkeit einstehen. Postmoderne Ideen sind sehr präsent, angesichts dessen sehen viele Kommunismus als überholt an. Wir als Ortsgruppe der KP besuchen aber auch die Streikposten der Bahner und der Postangestellten, dort waren wir willkommen. Es gibt aber auch starken Antikommunismus in der britischen Politik.