Das Prinzip ist schnell erklärt: Ein Mann oder eine Frau, ein Boot, keine Hilfe, einmal um die ganze Welt, kein Zwischenstopp. Dazwischen liegen Höhen und Tiefen, Lachen und Weinen, traumhafte Sonnenuntergänge und bedrohliche Eisberge, kleine Abenteuer und große Katastrophen. Lange nicht jeder Teilnehmer erreicht das Ziel, manch einer bleibt für immer verschollen auf See.
Die Einhand-Regatta Vendée Globe gilt als härteste Sportveranstaltung der Welt. Am 26. November 1989 fand sie erstmals statt. 13 Männer starteten in Les Sables d’Olonne an der französischen Atlantikküste, im Département Vendée, daher hat die Regatta ihren Namen. Einhand und nonstop um die Welt, die Kaps der Guten Hoffnung, Leeuwin und Hoorn bleiben backbord. Sieben von ihnen kamen ins Ziel. Titouan Lamazou, der damalige Sieger, benötigte dafür 109 Tage, 8 Stunden, 48 Minuten und 50 Sekunden. Er und seine Kollegen erzählten wilde Geschichten von Einsamkeit, die einen verrückt zu machen droht, von der ständigen Notwendigkeit, sich zum Weitermachen zu motivieren, und von Improvisationen auf hoher See, um einem ermüdeten Boot noch etwas zusätzliche Geschwindigkeit zu entlocken. Vor allem für solche Abenteuergeschichten waren Lamazou und Konsorten gestartet. Die Teilnehmer der ersten Vendée Globes waren Blauwassersegler mit einem Faible für extreme Erlebnisse.
Ihre Geschichten sind geblieben. Legendär etwa die von Bertrand de Broc, der sich während der Regatta 1992/1993 die Zungenspitze abbiss – und sie sich selbst annähte, geleitet durch den Rennarzt, der seine Anleitung per Telex schickte. Was sich geändert hat, ist die Art und Weise, wie diese Geschichten erzählt werden. Die IMOCA-Yachten sind heute via Satelliten ans Internet angebunden. Ihre Skipper können nicht nur jederzeit mit den Fans zuhause in Kontakt treten, sie müssen das sogar in regelmäßigen Abständen. Die Zuhausegebliebenen können praktisch in Echtzeit verfolgen, welches Rennen sich ihre Favoriten gerade im Südpolarmeer liefern. In Frankreich ist die Vendée Globe so zu einem der wichtigsten Sportereignisse überhaupt geworden. Nur die Fußball-Weltmeisterschaft bekommt dort vergleichbare Aufmerksamkeit wie der „Everest der Meere“.
Mit den Blauwasserseglern von einst haben die Teilnehmer der Vendée Globe 2024/2025 nicht mehr viel gemein. Kleine Videos von der Äquatorüberquerung oder der Passage eines Kaps erinnern noch an die Rituale von früher. Rotwein oder Whisky für diese besonderen Anlässe hat kaum noch jemand an Bord. Die Teilnehmer von heute bereiten sich akribisch vor, arbeiten mit Fitnesstrainern, Ernährungsberatern, Schlafforschern und Psychologen. Wer vorne mitsegeln möchte, darf sich keine Pausen gönnen. Die etwa 45.000 Kilometer um die Welt werden gesegelt, als ginge es um den America’s Cup: Man schenkt sich keinen Millimeter.
Der aktuelle Rekord für die Vendée Globe liegt bei 74 Tagen, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden. Armel Le Cléac’h hat ihn 2016/2017 aufgestellt. Der Rekord könnte bei der 10. Ausgabe der Regatta fallen, wenn das Wetter mitspielt und die Carbonjachten dem mörderischen Tempo standhalten.
In diesem Jahr starten 40 Skipper, so viele wie nie zuvor. Sechs von ihnen sind Frauen. Als Favoriten gelten Charlie Dalin, der 2020/2021 den zweiten Platz holte und nicht einmal drei Stunden langsamer war als der Sieger Yannick Bestaven, die Vendée-Veteranen Jérémie Beyou und Thomas Ruyant sowie der Neuling Yoann Richomme. Mit Boris Herrmann segelt zum zweiten Mal ein Deutscher mit, dem Chancen auf einen Platz auf dem Podium eingeräumt werden. Erstmals startet mit Jingkun Xu ein chinesischer Staatsbürger bei der Vendée Globe. Auf ihn wartet eine besondere Herausforderung: Xu hat nur eine Hand. Nur vom Prinzip her: ganz einfach.
Die 10. Vendée Globe kann auf Englisch oder Französisch auf der Website des Veranstalters verfolgt werden.
Die App des Veranstalters „Vendée Globe 2024“ gibt es für Android und iOS.
Via Virtual Regatta Offshore kann man die Vendée Globe 2024 virtuell auf dem Smartphone mitsegeln.