Die deutsche Bundesregierung und das sogenannte Bundesamt für Verfassungsschutz haben kürzlich Revision gegen das Berufungsurteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen eingelegt, das im März dieses Jahres ergangen war. Mit diesem Urteil war die über 38-jährige geheimdienstliche Überwachung und Ausforschung des Rechtsanwalts, Publizisten und Bürgerrechtlers Dr. Rolf Gössner auch in zweiter Instanz für unverhältnismäßig und grundrechtswidrig erklärt worden. Das „Bundesamt für Verfassungsschutz“ überwachte den Bürgerrechtler zwischen 1970 und 2008. Die Spitzelbehörde hatte dies damit begründet, dass während des gesamten Beobachtungszeitraums Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des Klägers beziehungsweise für die Unterstützung solcher Bestrebungen durch ihn vorgelegen hätten. Diese habe sich angeblich aus Gössners Tätigkeit für den Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB, später: Sozialistischer Hochschulbund) Anfang der 1970er Jahre sowie seiner Redaktionsmitgliedschaft in der geheimdienst- und polizeikritischen Zeitschrift „Geheim“ von 1986 bis 1999 ergeben. Zudem hatten die Schlapphüte eine Unterstützung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) „und weiterer DKP-naher Organisationen, insbesondere durch journalistisches Eintreten für deren (Teil-)Ziele und die Tätigkeit als Referent auf entsprechenden Veranstaltungen“ ausgemacht (UZ berichtete).
„Auch die neue Bundesregierung mit ihrem zuständigen Innen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) sieht sich offenbar nicht verpflichtet, diesen skandalösen Überwachungsfall endlich abzuschließen und die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen“, kritisierte Gössners Rechtsanwalt Udo Kauß in einer letzte Woche Dienstag veröffentlichten Stellungnahme. Trotz eindeutiger Urteile in erster und zweiter Instanz zugunsten des Klägers, mit denen dem „Verfassungsschutz“ gehörig die Leviten gelesen worden seien, lege der Inlandsgeheimdienst Revision gegen das Berufungsurteil ein. Dabei hatte selbst die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nach der Berufung in einem Interview zu diesem Fall gesagt: „Ich habe dafür null Verständnis. Die Behörde sollte die Gerichtsentscheidung endlich akzeptieren“, erinnerte Gössners Rechtsanwalt.
Dieser Fall rufe geradezu nach politischen Konsequenzen, stellte Kauß klar. Offensichtlich wollten Bundesregierung und Bundesamt auch dieses Urteil nicht auf sich sitzen lassen, mit dem ihnen ein fast vier Jahrzehnte langer Grundrechtsbruch zur Last gelegt werde.
Rolf Gössner selbst sieht im Urteil des OVG, dessen Begründung mittlerweile vorliegt, einen „gerichtlichen Sieg über geheimdienstliche Verleumdungen und Willkür sowie über antidemokratische Denk-, Interpretations- und Handlungsmuster eines staatlichen Sicherheitsorgans“. Der Richterspruch sei „eine erfreulich klare Entscheidung zugunsten der Meinungs-, Presse- und Berufsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung“. „Tatsächlich liest sich die Urteilsbegründung wie Nachhilfe-Unterricht für das Bundesamt für Verfassungsschutz: gerichtliche Nachhilfe in Sachen Demokratie, Bürgerrechte, Verfassung und Rechtsstaat“, erklärte Gössner.
Mit seiner Entscheidung hatte das OVG, wie schon das Verwaltungsgericht in erster Instanz, dem beklagten „Verfassungsschutz“ einen dauerhaften, schweren Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit und gegen essentielle Grundrechte des Klägers bescheinigt. Aufgrund der „jahrzehntelangen, gezielt auf seine Person bezogenen Informationssammlung, -auswertung und -speicherung in Form einer Personenakte und der damit verbundenen Grundrechtseingriffe“, so das OVG, stehe dem Kläger ein „Rehabilitationsinteresse“ zu.
Dass der Geheimdienst dies nicht akzeptiert, mag nicht sonderlich verwundern, zeigt jedoch, wie er mit demokratischen Urteilssprüchen umzugehen gedenkt.