Kapital will Flüchtlinge schnell sortieren – Gewerkschaften müssen organisieren

Willkommenskultur des Kapitals

Von Philipp Kissel

Der Deutschland-Chef von McKinsey, Cornelius Baur, freut sich über sportliche Flüchtlinge: „Wer unter Lebensgefahr die Flucht wagt, ist energiegeladen, zielgerichtet und motiviert. Dies ist eine große Chance für uns“. Die Lenker der großen Konzerne frohlocken angesichts der Flucht vieler Menschen. Daimler-Chef Zetsche sieht in der Zuwanderung die „Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder.“ Damit das auch klappt, müssen zwei Dinge organisiert werden: Die Flüchtlinge müssen schnell nach Arbeitsfähigkeit sortiert und den Unternehmen zugeführt werden und sie müssen zu Niedrigstlöhnen und schlechten Bedingungen jeden Job annehmen. Damit das ohne größere Reibung funktioniert, muss die Arbeiterklasse gespalten und passiv gehalten werden.

An der Spitze dieser Aufgabe steht der ehemalige Dozent der Bundeswehruniversität und Dezernent im NATO-Stab, Unternehmer und erfolgreiche Herrscher über die Jobcenter: Frank-Jürgen Weise, der nun auch Chef des Bundesamts für Migration (BAMF) geworden ist. Die Aufgabe des Super-Beamten ist das Durchleuchten des gesamten Prozesses vom ersten Kontakt mit der Polizei bis zur Integration in den Arbeitsmarkt oder zur Abschiebung.

Damit die Abgelehnten schnell ausreisen, soll ihnen nicht mehr zustehen als Reiseproviant und Fahrkarte. Die Computersysteme von Bundespolizei, BAMF, Arbeitsagentur und Ausländerbehörde sollen eng verzahnt werden – verfassungsrechtliche Bedenken werden „geprüft“.

3 000 neue Mitarbeiter sollen dem BAMF zur Verfügung stehen, darunter auch Bundeswehrangehörige, die im Zuge der „Amtshilfe“ bereits jetzt im Einsatz sind. Vier neue Entscheidungszentren werden eingerichtet, von dort sollen Flüchtlinge in die Städte und Regionen gebracht werden, wo Arbeitskräfte fehlen. 10 Prozent seien laut Weise leicht integrierbar, für den Rest sollen die in den Zentren direkt angesiedelten Verwaltungsrichter über ihre Abschiebung entscheiden. Die Verfahren sollen auf drei bis höchstens fünf Monate beschleunigt werden. Wer die Hürde nicht überwunden hat, wird zurückgeschickt in Elend und Not ohne jemals die „Zentren“ verlassen zu haben.

Zur Seite steht der neuen Maschinerie die erfahrene Agentur McKinsey, die bereits in Schweden das Asylverfahren „aufräumte“. Dort werden den Mitarbeitern Bewerber-Mengen und Zeiträume zugewiesen, wer schneller abarbeitet, wird per Punktesystem befördert. Ganze zweieinhalb Stunden dürfen pro Antrag verwendet werden – für Entscheidungen über Leben und Tod.

Wer die Hürde überwunden hat, darf nun „integriert“ werden – in einen Arbeitsmarkt, der noch mehr Niedriglohn, schlechte Arbeitsbedingungen und Existenzunsicherheit anbietet. Das Zeitarbeitsverbot für Flüchtlinge ist bereits aufgehoben. Unternehmerverbände und CDU-Wirtschaftsrat fordern weitergehende Änderungen, vor allem Ausnahmen beim Mindestlohn und die Öffnung von Tarifverträgen für „Einstiegslöhne“.

Insbesondere der in der Metallbranche mit 16,56 Euro relativ hohe Lohn für Hilfsarbeiter ist im Visier des Kapitals. Zeitarbeit und Werkverträge sollen nicht eingeschränkt, sondern ausgeweitet werden, es soll eine „Praktikumsoffensive“ zur Aushöhlung des Mindestlohns geben.

Diese „Willkommenskultur“ des Kapitals bedroht die gesamte Arbeiterklasse, natürlich an erster Stelle die Geflüchteten, die auf Grund ihrer Notlage besonders erpressbar sind. Sie werden sich auf dem Arbeitsmarkt als Hilfsarbeiter und Geringqualifizierte durchschlagen müssen. Der Anteil der Niedrigverdiener am Arbeitsmarkt hat laut einer aktuellen Studie des Instituts Zukunft der Arbeit zwischen Mitte der 90er Jahre und 2011 um 22 Prozent zugenommen, durch Minijobs, befristete Arbeit und Zeitarbeit. Real sind bereits über 3,5 Millionen Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen, insbesondere Geringqualifizierte. Der Druck wird also steigen.

Die Arbeiterbewegung kannte in ihrer Geschichte immer zwei Antworten auf die Erhöhung der Konkurrenz durch in Not geratene Menschen. Die eine Antwort ist: Abschottung, Ausgrenzung und Sozialchauvinismus. Diese führt zu noch mehr Spaltung und schwächt die Klasse.

Die andere Antwort ist: Solidarität und gemeinsamer Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals, gleiche Rechte für alle, gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Die Vorstellung, dass es nur die Flüchtlinge betreffe, muss durch Aufklärung und praktische Erfahrungen zurückgedrängt werden. Heißen wir unsere neuen KollegInnen willkommen und organisieren sie und uns gemeinsam, für ihre Rechte, die auch unsere sind – Menschenrechte wie soziale und Arbeitsrechte.

Viele Gewerkschaftsmitglieder sind engagiert, die Mitglieder der IG Metall haben 500 000 Euro für Flüchtlinge gesammelt. Die gemeinsame Organisierung wird aber auch einer Debatte in den Gewerkschaften bedürfen, zum Beispiel darüber, dass Flüchtlinge Mitglied werden können müssen, auch wenn ihre Berufsbilder nicht immer den bekannten Kategorien entsprechen.

Aber auch darüber, dass die Zusammenarbeit mit dem Kapital uns nur schwächt. Mit einer kämpferischeren Herangehensweise könnten größere Teile der Klasse organisiert werden, auch die Teile, die schon lange hier leben, aber nicht organisiert und oftmals enttäuscht sind. Es wird einer langfristigen Organisierung bedürfen, um die Konkurrenz zu schwächen.

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"Willkommenskultur des Kapitals", UZ vom 2. Oktober 2015



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