Klimawandel – lange bekannt, vom Imperialismus ignoriert, auf die Armen abgewälzt

Willkommen im Kapitalozän

Walter Reber

Wenn sich, wie manche annehmen, die Luft in einem bestimmten Zeitraum ihrer Geschichte zu einem größeren Anteil als bisher mit ihr (= CO2 – W. R.) vermischt hätte, (…) hätte dies zwangsläufig zu einer erhöhten Temperatur geführt.“
Diese Erkenntnis, die einen Zusammenhang zwischen dem wachsenden CO2-Gehalt der Atmosphäre und steigenden Temperaturen beschrieb, wollte Eunice Newton Foote 1856 auf dem Kongress der „American Association for the Advancement of Science“ („Amerikanische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft“) vortragen. Als Frau wurde ihr das verwehrt – ihr Vortrag wurde von einem Kollegen verlesen. Er erschien im selben Jahr im „American Journal of Science and Arts“ („Amerikanische Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst“), geriet aber für lange Zeit in Vergessenheit. Es dauerte bis ins Jahr 2010, ehe Footes Beitrag zur Klimaforschung gewürdigt wurde.

So wurde die Möglichkeit der Klimaveränderung schon vor fast 170 Jahren beschrieben, sogar schon vor 200 Jahren, wenn wir die Arbeiten des französischen Physikers Joseph Fourier betrachten. Weitere Beiträge zum Thema leisteten im 19. Jahrhundert Gustav Robert Kirchhoff und Ludwig Boltzmann. Hervorzuheben ist der schwedische Forscher Svante Arrhenius, der quantitative Berechnungen in einem stark vereinfachten Klimamodell durchführte. Dass eine vom Menschen verursachte CO2-Anreicherung in der Atmosphäre die aktuelle Erdtemperatur weiter erhöhen könne, diskutierte er detailliert in einer 1906 erschienenen Publikation. Einen messbaren Anstieg der Temperatur erwartete er – basierend auf dem damaligen Verbrauch fossiler Brennstoffe – allerdings erst in einigen 100 Jahren.

Noch Mitte des 20. Jahrhunderts wurden diese Erkenntnisse abgelehnt. 1951 erklärte die „American Meteorological Society“ („Amerikanische Gesellschaft für Meteorologie“): „Die Idee, dass eine Erhöhung des Kohlenstoffdioxid-Gehalts der Atmosphäre das Klima verändern könne, war nie weit verbreitet und wurde schließlich verworfen.“ Diese Einschätzung war nicht von Dauer.

Der Kalte Krieg und der Versuch des Militärs, alle möglichen Mittel der Fernbeobachtung einzusetzen, die Satelliten sowie die Entwicklung der Computer förderten die Erkenntnisse der Geowissenschaften ab den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Zentraler Meilenstein für die Anerkennung des Klimawandels als „ernstes Problem“ und Durchbruch für die internationale Klimaforschung war die 1. Weltklimakonferenz 1979. Ihr Ergebnis waren eine Grundsatzerklärung sowie die Initiierung des Weltklimaforschungs-Programms und des „Intergovernmental Panel on Climate Change“ (IPCC), das 1988 eingerichtet wurde – unter Führung der US-Regierung. Es sollte Berichte und Empfehlungen aller weltweit im Bereich Klimatologie führenden Wissenschaftler zusammenfassen, wobei für jeden Bericht der Konsens der beteiligten Regierungen zwingend erforderlich war. Ein Bericht gegen die Interessen der USA war damit von vornherein ausgeschlossen. Der ersten Weltklimakonferenz folgten unzählige weitere internationale Kongresse und Berichte.

In den 70er und 80er Jahren wurden viele neue Erkenntnisse über Klimaentwicklungen in der Vergangenheit zusammengetragen, neue klimawirksame Spurengase gefunden und Zusammenhänge, Wechselwirkungen und Rückkopplungen zwischen Wolken, Eis, Wasser und Landflächen bei der Klimabildung erforscht. Aber bis Mitte der 80er Jahre fehlte die „Smoking Gun“, das deutliche Signal einer Temperaturerhöhung im Auf und Ab des Wettergeschehens.
Noch der erste Sachstandsbericht des IPCC aus dem Jahr 1990 fand „nur wenige empirische Belege für einen vom Menschen verursachten Klimawandel“.

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Die Staaten des globalen Südens haben sich in der Gruppe G77 bei der UN zusammenheschlossen. (Foto: St. Krekeler / Wikimedia / CC BY-SA 2.0)

Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Staaten des Warschauer Vertrags und in der Folge die weitere Ausdehnung eines Turbokapitalismus mit Globalisierung, Just-in-time-Produktion und weltweiten Lieferketten ließen den Ausstoß an klimawirksamen Gasen in die Höhe schießen. Was Arrhenius – basierend auf dem damaligen Einsatz fossiler Brennstoffe – im Verlauf von Hunderten oder Tausenden von Jahren erwartet hatte, geschah tatsächlich innerhalb weniger Jahrzehnte.
In den 35 Jahren zwischen 1960 und 1995 wurden etwa 585 Gigatonnen CO2-relevanter Spurengase freigesetzt, während der 26 Jahre danach waren es bereits mehr als 937 Gigatonnen. Der Gehalt an CO2 in der Atmosphäre beträgt etwa 415 ppm (Parts per million) im Vergleich zu 280 ppm vor Beginn der Industrialisierung. Willkommen im „Kapitalozän“, wie der Wissenschaftspublizist Harald Lesch einmal die jetzige Phase der Erdgeschichte provokant genannt hat. Die offizielle Bezeichnung ist „Anthropozän“, sie beschreibt eine Phase, in welcher der Mensch durch Wirtschaftsweise und Gesellschaftsordnung die Welt so stark umgestaltet hat, dass dies für immer seine Spuren hinterlässt.

1986 hatte die Deutsche Physikalische Gesellschaft bei einer Pressekonferenz die Einhaltung eines 1-Grad-Ziels gefordert. Bei Überschreitung einer globalen Erwärmung um 1 Grad Celsius im Vergleich zum Durchschnittswert, wie er vor der Industrialisierung Bestand hatte, sei mit schwerwiegenden negativen Konsequenzen zu rechnen. Diese Grenze ist bereits Vergangenheit – sie wurde in den Jahren zwischen 2010 und 2015 überschritten.

Vom 30. November bis 12. Dezember 2015 fand in Paris die 21. UN-Klimakonferenz statt. Dort wurde als Nachfolgevertrag für das Kyoto-Protokoll ein neues völkerrechtlich verbindliches Abkommen vereinbart. Beschlossen wurde, dass die Erwärmung der Welt auf weniger als 2 Grad Celsius begrenzt werden soll. Die globalen Netto-Treibhausgasemissionen sollen hierzu in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts auf null reduziert werden.

Die „Smoking Gun“ des Klimawandels ist mittlerweile schon lange gefunden. Der 6. Sachstandsbericht des IPCC formulierte: „Die Anfälligkeit von Ökosystemen und Menschen gegenüber dem Klimawandel unterscheidet sich sowohl von Region zu Region als auch innerhalb der einzelnen Regionen erheblich. Etwa 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen leben unter besonders klimawandelanfälligen Bedingungen.“ Es sind in der Regel diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen.

150 Jahre lang führten die Erkenntnisse über die Klimaveränderungen ein Schattendasein. Profite waren schließlich nie tangiert – jetzt können Anpassungen an den Klimawandel sogar zu neuen Profitmöglichkeiten führen.

Doch unter dem Schlagwort „Loss and Damage“ („Verlust und Schaden“) gibt es schon lange Versuche von Staaten des Globalen Südens, die sich in der Gruppe G77 zusammengefunden haben, Reparationszahlungen von den Verursacherstaaten des Klimawandels einzufordern. Unterstützt werden sie dabei von China. Den Vorsitz der G77 bei der Klimakonferenz in Ägypten hat Pakistan inne, das Land, das in diesem Jahr am stärksten unter dem Klimawandel zu leiden hatte (siehe UZ vom 14. Oktober). Die G77 werden versuchen, das Thema „Loss and Damage“ auf die Tagesordnung der mittlerweile 27. UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Scheikh zu setzen.

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"Willkommen im Kapitalozän", UZ vom 11. November 2022



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