Anja Röhl. Granny in New York, Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2016, 63 S., 9,50 Euro
Sechs Tage taucht die Autorin Anja Röhl im April 2014 ein in die Stadt, die niemals schläft. Ihre Erlebnisse beschreibt sie in dem Büchlein „Granny in New York“ – eine sehr persönliche Reportage über die Weltmetropole zwischen Obdachlosigkeit und Wall Street, Bronx und Manhattan, China Town und World Trade Center.
„Heute vor einer Woche war ich in New York angekommen, auf dem John-F.-Kennedy-Flugplatz“, beschreibt sie den Start ihres Aufenthaltes. „Das Hostel ist ein niedriges Haus, beinahe baufällig. Kein Name an der Tür. Als wir klingeln, werden wir ins Haus gezogen. Es sei alles richtig, sie hätten keinen Namen draußen, sonst kämen die Obdachlosen. Das Zimmer, in dem ich untergebracht bin, hat 13 Doppelstockbetten in drei Räumen hintereinander, ein Bad, eng, verwinkelt. … 290 Dollar, sagt der freundlich aussehende junge Mann. … Ich muss sofort bezahlen, per Kreditkarte.“ Welcome to New York!
Wolkenkratzer gehören quasi zum Pflichtprogramm: „Die Hochhäuser New Yorks sind wolkenkratzende Giganten, ausgedacht von miteinander konkurrierenden Architekten, die, wie ich lese, darüber den Verstand verloren haben. … Die Hochhäuser bilden oft feindliche Fronten gegeneinander, sie stehen wie in Konkurrenz zueinander. … Das neue World Trade Center steht neu erbaut da, riesig und glänzend liegt es vor mir im Abendlicht, es ist nun breiter, größer und höher geworden.“
Die Autorin taucht ein in den „Schmelztiegel“ New York: „Überall sehe ich schwarze Menschen. Dass sie mir auffallen, zeigt, woher ich komme, aus einem Land, wo es zwar ‚Ausländer‘, aber eben kaum Schwarze gibt. … Kommt man aber nach Harlem, so wird die Hautfarbe der Menschen immer dunkler. … Die Schwarzen werden nun größer, selbstbewusster, die Körperhaltung streckt sich, man sieht nun schwarze Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, nicht nur solche in dienenden Berufen.“
In Chinatown beobachtet sie eine Gruppe chinesischstämmiger Frauen, die die frühmorgendliche Ruhe eines Spielplatzes für gymnastische Übungen nutzen. Native Americans trifft sie allerdings nur im „Indianermuseum Downtown Manhattan“.
Anja Röhl schließt auch neue Bekanntschaften, z. B. mit den „Grannies for Peace“ (Omis für den Frieden), die gegen Drohnen protestieren. Spontan laden diese sie für den Abend zu einer Veranstaltung ein. Gefeiert wird der 60. Geburtstag des seit 1981 inhaftierten afro-amerikanischen Journalisten Mumia Abu-Jamal.
Der kämpft aktuell gerade um sein Leben. Bei ihm wurde eine an sich problemlos behandelbare Krankheit diagnostiziert: Hepatitis-C. Allerdings erscheint das dafür notwendige Medikament der zuständigen Behörde als zu teuer. Inzwischen ist fraglich, ob es überhaupt noch helfen kann. Mumias Gesundheitszustand hat sich drastisch verschlechtert. Aber das Medikament ist seine einzige Chance auf Überleben. Das Anwaltsteam versucht verzweifelt, die Behandlung juristisch durchzusetzen. Dazu braucht es – mal wieder – internationale Unterstützung (Infos unter www.bring-mumia-home.de).
Anja Röhl lässt ihren New-York-Trip mit einem Jazzkonzert ausklingen. „Die Musik ist großartig, wild, plötzlich fühle ich sämtliche Wurzeln dieses zusammengestückelten Volkes.“
Quasi abschießend schaut sie sich auf dem Rückflug den Film „The Butler“ an, die Geschichte eines Sklaven, der sich der Black Panther Party (BPP) anschließt. Um dann am Flughafen Berlin-Tegel morgens um 7 Uhr den Duft von Bäumen und Blumen, und vor allem die Stille zu genießen.
Auf 50 Seiten bietet Anja Röhl einen kurzweiligen Eindruck der Weltmetropole. Das Bändchen wird ergänzt durch einen Auszug des Buches „Crossing the River“ des in New York gebürtigen DDR-Journalisten Victor Grossman, der 1994, mehr als 40 Jahre, nachdem der sie verlassen hatte, und fünf Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, seine Heimatstadt erstmals wieder besuchen konnte. Der freut sich, endlich mal wieder „echt New-Yorkisch“ sprechen zu können, tat sich aber schwer mit der unübersehbaren Armut und Obdachlosigkeit, die er aus der DDR nicht kannte – und bekam prompt Heimweh „nach dem Osten“.