Am 29. März veröffentlichte das Statistische Bundesamt die „Daten zur Energiepreisentwicklung“ bis Ende Februar diesen Jahres. Während die Preise für fast alle Energiearten von 2015 bis Anfang 2021 einigermaßen stabil blieben, begannen sie seitdem zuerst langsam, dann immer schneller anzusteigen, bis sie in den letzten vier Monaten in einen immer schnelleren Galopp übergehen. Werden die Preise für 2015 gleich 100 gesetzt, lauten sie für Ende Februar: Rohöl aus OPEC-Ländern 244, Superbenzin 128, Heizöl 160, Erdgas bei Abgabe an Handel und Gewerbe einschließlich Wohnungswirtschaft 147 (bei Industrie sogar 295), Strom für Privatabnehmer 125. Die Differenz zwischen dem Preisanstieg bei Rohöl-Importen und der Preissteigerung an Zapfsäulen und den Zählautomaten der Fahrzeuge, die die Ölheizungen der Wohnungen füllen, ist ein sicheres Indiz für weitere Preissteigerungen.
Das ist schmerzhaft für Millionen Menschen in unserem Land, die darauf angewiesen sind, ihr Auto zu betanken, um zur Arbeit zu pendeln (insbesondere wenn sie Schichtdienst zu Zeiten haben, wenn der öffentliche Personenverkehr zurückgefahren wird) oder ihre Wohnung zu beheizen. Die Explosion der Energiepreise hat aber auch Auswirkungen auf alle anderen Sektoren der Volkswirtschaft. Die „FAZ“ weist am 20. April in einer Untersuchung über den rasanten Anstieg auch der Lebensmittelpreise darauf hin, dass sich für die Landwirte innerhalb des letzten Jahres die Kosten für das Betanken der Traktoren verdoppelt habe und zitiert einen Geschäftsführer einer Agrargesellschaft in Brandenburg: „Statt 240.000 Euro im Jahr sind es jetzt 500.000 Euro.“
Hektik an der Steuer-, Ruhe an der Profitfront
Allen Verantwortlichen, ob in Deutschland, den USA oder in anderen kapitalistischen Hochburgen, stecken nach wie vor die „Gelbwesten“-Aktionen in Frankreich in den Knochen, die zeigen, wie schnell steigende Energiekosten zu politischen Verwerfungen bis hin zu offenem Aufruhr führen können. Daher herrscht im staatlichen Überbau gegenwärtig hektische Betriebsamkeit, um die Folgen dieser Energiekosteninflation abzumildern. Ein paar Einmalzahlungen für die unteren Klassen sind ausgeschüttet worden und weitere werden vielleicht folgen. Ihr gemeinsames Merkmal ist, dass sie medial groß verkündet werden, aber in den Geldbörsen der Betroffenen in der Regel nur die Mehrkosten für einige Wochen, bestenfalls für einige Monate auffangen. Ökonomisch sind sie nichts weiter als eine mit großer Geste vorgetragene Reduzierung von Massensteuern, die unabhängig vom sozialen Status des Steuerzahlers alle gleichermaßen zu tragen haben – die Armen wie die Reichen. Diese sogenannten indirekten Steuern sind im Vergleich zu den nach Einkommensstärke gestaffelten direkten Steuern in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger geworden für die Finanzierung des kapitalistischen Staatshaushaltes. Die Mineralölsteuer beträgt bei Benzin gegenwärtig 48 Prozent – fast jeder zweite Euro, den der Tankstellenpächter kassiert, wird von ihm also weitergeleitet an das Finanzamt. Es kennzeichnet die Gutsherrenmentalität der herrschenden Klasse, die Reduzierung dieses Abkassierens als große soziale Leistung zur Entlastung der leidenden Massen zu verkaufen oder Bruchteile der abkassierten Summen in Einzelzuwendungen an die Einzahler zurück zu überweisen. Ähnliches gilt – lediglich mit anderen Prozentsätzen – für alle anderen Energiearten.
Eines aber bleibt bei allen diesen politischen Debatten außen vor: der Gedanke, die Gewinne der an Erzeugung und Verkauf verdienenden Konzerne abzuschöpfen. Der Energiemarkt besteht hierzulande aus jeweils rund 1000 Unternehmen, die die Bevölkerung und andere Unternehmen mit Strom und Gas – oder beidem – versorgen, und aus den uns allen bekannten Ölmultis von Shell bis BP, die an den Tankstellen die Hand aufhalten. Die aus historischen Gründen bis 1989 noch bestehenden Energieversorger in kommunaler Hand – also Stadtwerke – sind durch die Politik der letzten Jahre immer mehr an den Rand gedrängt worden. Die für die großen privaten Energiekonzerne und deren Anteilseigner für das Jahr 2021 ungehindert fließenden Profite sind genauso wenig Gegenstand politischer Debatten wie es die des Jahres 2022 sein werden.
„Reform“ des Energiesicherungsgesetzes
In diese Grundlinie der politischen Debatten um die Energiekosten platzte Mitte April die Meldung hinein, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plane „notfalls auch Enteignungen“ im Zuge der von ihm beabsichtigten Reform des Energiesicherungsgesetzes. Dieses Gesetz stammt aus dem Jahr 1975 und war eine Reaktion auf die damalige Verteuerung beziehungsweise Verknappung von Erdöllieferungen aus dem Nahen Osten. Dieses Gesetz ermöglicht es der Bundesregierung, eine „kritische Infrastruktur“ unter „treuhänderische Verwaltung“ zu stellen. In Anwendung der Regelungen wurde im Frühjahr diesen Jahres gegen die deutsche Tochter der russischen „Gazprom“ eine Treuhandverwaltung verfügt. Das war eine Krücke, um gegen russische Unternehmen vorgehen zu können. Für die innere Rechtssicherheit im weiteren Verlauf des Wirtschaftskrieges gegen Russland und mit ihm verbündete Länder soll dieses Gesetz nun nachgeschärft werden. Alle, die sich Hoffnungen darauf machen, dass sich die „Grünen“ angesichts der Dramatik der Energiepreisentwicklung auf ihre kapitalismuskritischen Anfangsjahre zurückbesinnen könnten, sollten diese Hoffnungen fahren lassen. Die „FAZ“ beruhigte am 14. April ihre Leser, es „handele sich klar um eine Lex Gazprom oder Rosneft“. Vor dieser Bundesregierung sind die Eigentumstitel und Profitquellen aller Konzerne, die an Öl, Gas, Kohle und Strom verdienen, sicher.
DKP: gerade Furche seit 1978
Andere, wie die kleine DKP, nehmen die Ankündigung, „notfalls“ zu enteignen, schon ernster – wie die laufende Unterschriftensammlung zur Vergesellschaftung von Energiekonzernen beweist. Dies ist auch keine Idee, um auf eine aktuelle oder kommende Massenstimmung aufzuspringen. Sie entspringt vielmehr einer beständigen und aus den Grundüberlegungen des Marxismus abgeleiteten Logik: Dinge, die gesellschaftlich produziert werden und für alle Gesellschaftsglieder von existenzieller Bedeutung sind, gehören nicht in private, sondern in gesellschaftliche Hand. Dieser Gedanke findet sich im aktuellen Parteiprogramm der DKP im Kapitel „Wende zum demokratischen und sozialen Fortschritt“ – hier konkretisiert für den Bereich der „Banken und Versicherungskonzerne sowie der produktions- und marktbeherrschenden Konzerne in anderen strategischen Wirtschaftsbereichen“, die „in demokratisch kontrolliertes öffentliches Eigentum“ überführt werden sollten. Im DKP-Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl wurde dieses Grundprinzip angesichts der Covid-Pandemie schwerpunktmäßig für das Gesundheitswesen angewandt.
Wer historisch eine gerade Furche zieht, braucht keine hektischen politischen Neuerfindungen in die Welt zu setzen. Im Jahre 1978 – also kurz nach dem bereits zitierten „Energiesicherungsgesetz“ und vor der großen Niederlage der europäischen Fortschrittskräfte von 1989 – verabschiedete die DKP ihr „Mannheimer Programm“, in dem es im Kapitel „Für eine nationale und demokratische Energiepolitik“ unter anderem hieß: „Die DKP tritt dafür ein, durch eine nationale und demokratische Energiepolitik eine sichere, umweltfreundliche und preisgünstige Energieversorgung der Bundesrepublik zu gewährleisten. Eine Grundvoraussetzung dafür ist die Verstaatlichung der gesamten Energiewirtschaft unter demokratischer Kontrolle. … Die Entwicklung neuer Technologien der Energieeinsparung und der umweltfreundlicheren Energiegewinnung als alternative Möglichkeiten zu den derzeit genutzten Energiequellen muss besonders gefördert werden.“
Gibt es eine aktuellere und präzisere Forderung zu dem, was angesichts der Energiepreiskrise jetzt auf die Tagesordnung gehört?
Mehr unter: www.energiepreisstopp-jetzt.de