Campino, geborener Andreas Joachim Wolfgang Frege, macht Schlagzeilen durch Anwesenheit. Das wissen auch die Fernsehmacher und Plattenproduzenten, jede geistreiche Aussage dieses selbsternannten Punkrockers wandert als Leitmotiv durch die deutsche Medienlandschaft. Doch wer ist dieser Campino? Könnte er singen, könnte man ihn als Sänger bezeichnen, könnte er schreiben, wäre er ein Autor, könnte er schauspielern, wäre er Schauspieler. Da er alle diese Dinge macht und sie alle nicht beherrscht, bleibt nur, ihn als Frontmann der „Toten Hosen“ zu charakterisieren. Ob das mal Punkrock war, was diese Band fabrizierte, darüber kann man streiten. „Ist das noch Punkrock?“ fragen „Die Ärzte“ als hämischen Seitenhieb gegen selbsternannte Szenehüter und Authentizitätsbesserwisser. Die „Hosen“ behaupteten es einfach.
Aber was ist das eigentlich, Punkrock? Auf eine Minimaldefinition könnte man sich wohl einigen: Das ist frustrierte Musik für frustrierte Menschen, das ist Musik mit Haltung, wenn sie auch oft primär aus ungelenker Wut besteht. Das ist Musik gegen etwas, was man gemeinhin als „System“ bezeichnen kann. Das ist Musik, die selbst im Falle der Abwesenheit der zuvor benannten Punkte zumindest noch schlagen und treten kann.
Dass das, was die „Hosen“ machen, aber schon längst kein Punkrock mehr ist, darüber herrscht wohl Einigkeit. Wo früher in dem Lied über den gelangweilten Kleinbürger Alex noch so was wie Kritik und Wut geäußert wurde (gegen was, worüber und gegen wen blieb im Dunkeln), da regiert heute die Schlagerschnulze vom „Wannseemädchen“, wo sich früher zumindest noch auf Johnny Thunder und Ronnie Biggs bezogen wurde, herrscht heute der Wunsch nach den ewigen „Tagen wie diesen“ mit Altherrenbesäufnis und Kitsch.
An die Stelle von Frustration und ungelenker Wut traten Campinos Lobpreisungen der als „EU“ getarnten deutsch-monopolistischen Weltmachtambitionen, traten das Ja zur Aufrüstung und die Einsicht, er würde heute, im Angesicht der Lage in der Ukraine, den Wehrdienst nicht mehr verweigern und im Übrigen Merkel wählen. Thomas Mann mimte zeitweise den Unpolitischen, bei den „Hosen“ ist es andersrum: Zu ihren Hochzeiten waren da maximal der „Nazis sind dumm“-Song „Sascha – ein aufrechter Deutscher“ und das „Liebeslied“, das irgendwie gegen Ungerechtigkeit sein sollte – welche und von wem ausgehend wurde nie benannt. Generell geht es hier mehr um Zeitgeist als um Politik oder gar Haltungen: Mal ein Auftritt gegen G8, kurz darauf die vorbehaltlose Verteidigung deutsch-imperialistischer Politik. Ein bisschen Unangepasstheit spielen die Angepassten genau dann und in genau dem Umfang, in dem es in die Karriere passt. Mittlerweile sitzt Campino im Frack und in Merkel-Begleitung beim Staatsbankett für den britischen König. Joe Strummer von „The Clash“ („Die größten Vorbilder, die wir je hatten“, Campino) würde sich im Grabe umdrehen.
Eingestanden: Das Werk ist immer klüger als der Autor (respektive die Musiker). Das Problem: Wenn bei den Musikern nicht viel zu holen ist, ist eben auch das Werk nicht klug, schön, weise oder genussschaffend. Wenn also die sich immer so politisch gebenden „Toten Hosen“ auch politisch nichts können, dann bleibt zur Ehrenrettung die Frage nach Haltung, die ja Hauptgegenstand von Kunst ist. Wenn nun aber eine Band ein Rückgrat aus Knete besitzt, kann man sie auch hier nicht verteidigen. Wenn das Ganze dann auch noch musikalisch abgedroschenster 08/15-Deutschpop ist – was kann man dann noch sagen? Der gute Rezensent findet die Nadel im Heuhaufen, das Gute im Schlechten. Das mag es auch bei den „Toten Hosen“ geben, aber die Hauptsache ist: Die „Toten Hosen“, das ist äquivalent zum Rebellentum verbeamteter Richter, die sich am Wochenende mit erfundenen Patches auf der Marken-Lederkutte auf die 40.000-Euro-Harley schwingen. Damit ist das Wesentliche wohl gesagt, alles Lobende werden „taz“, „nd“, „ZDF“ und Bundeskanzleramt schon über die „Hosen“ schreiben, geschrieben haben oder künftig schreiben lassen, ihnen wollen wir auch die Suche nach dem Guten im Schlechten der „Toten Hosen“ überlassen.