Die ARD-Manager ließen sich anleiten, die Selbstdarstellung ihres Vereins zu schniegeln – und nicht etwa das Programm.

Wie man die Leute für dumm verkauft

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Die Autoren Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam setzen sich regelmäßig mit der Meinungsmache und der journalistischen Schlamperei der öffentlich-rechtlichen Medien, hauptsächlich der „Tagesschau“, auseinander. Ihre Texte werden zumeist auf der Web-Seite https://publikumskonferenz.de/blog dokumentiert.

Die schiere Selbstachtung hätte die ARD-Oberen davon Abstand nehmen lassen müssen, aber nein: Ihr anscheinend doch nicht ganz sauberes Gewissen wegen des häufig miesen Programmangebots diktierte ihren Beschluss. Ein Strategiepapier fürs Schönreden musste her. Sie gaben es bei einem Beratungsinstitut in Auftrag. Sie, Repräsentanten des Ersten Deutschen Fernsehens, wollten sich sprachlich aufrüsten lassen für ihren Krieg um die politische Deutungshoheit im Lande. Sie bekamen ein ausgefeiltes Manual. Es rät ihnen dazu, den abgrundtief verlogenen Anspruch „Die ARD ist der verlängerte Arm des Bürgers“ in die Köpfe ihres Publikums zu dengeln. So lange und so nachdrücklich, dass viele bedauernswerte Leute das tatsächlich immer noch glauben.

Die ARD sieht sich mit wachsender Kritik und zunehmendem Ansehensverlust konfrontiert. An die Substanz geht das zwar noch längst nicht, aber es schmerzt. Das Publikum lässt sich nicht mehr alles bieten und reagiert auf bestimmte Programmangebote und -defizite lauter und gereizter. Beispielsweise lässt sich sein begründeter Vorwurf der illegitimen Meinungsmache, der transatlantisch genormten Nachrichtenmanipulation, der antirussischen Hetze, der Regierungshörigkeit und der auch sprachlich-formal grottenschlechten Berichterstattung nicht einfach wegwischen. Doch statt sich Mittel und Wege zu einer deutlichen Verbesserung der Programmqualität zu überlegen, fanden die ARD-Herrschaften es angeraten, sich zwecks sprachlich schönerer Außendarstellung ihres Ladens professionelle Anleitung zu kaufen.

Der Gedanke dabei: Veränderte, edlere Verpackung täuscht auch höherwertigen Inhalt vor, obwohl der gleich bleibt. Ein klassischer Verkaufstrick. So lassen sich mit dem Müll das ARD-Ansehen und der Umsatz steigern. Statt also – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – eigenes Gehirnschmalz auszubraten, ließen sich die ARD-Manager das Haupthaar toupieren. Das eine hätte dem Programm vielleicht gedient. Das andere soll Eindruck schinden.

Die Manager beauftragten das in Berlin ansässige „Berkeley International Framing Institute“, die sprachlichen Benimmregeln zusammenzustellen. Dessen Leiterin, Elisabeth Wehling, ist promovierte Linguistin, ihre Spezialität und besondere Eignung für diesen Auftrag kommen im Titel ihres Hauptwerks klar zum Ausdruck: „Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht.“

Elisabeth Wehling ist eine Expertin, die an der Berkeley-Universität in den USA erforscht hat, wie unser vermeintlich freies Denken manipulierbar ist. Sie hat untersucht, wie sprachliche Mittel genutzt werden können, um in unseren Köpfen eine „Wirklichkeit“ entstehen zu lassen, die zwar mit unserer Realität wenig zu tun hat, dafür aber umso mehr den herrschenden Eliten nützt. Offensichtlich setzt die Ex-Forscherin ihre Erkenntnisse nun in klingende Münze um. Geld stinkt nicht.

Und die ARD-Oberen haben es. Sie kaufen sich eine Fachfrau als Einweiserin in die Kunst, andere zu überreden statt zu überzeugen. Was ist „Framing“? Es handelt sich um eine Methode, die eigenwillige Denkweise zur herrschenden Ansicht zu machen, indem für eine Person, eine Sache oder für ein Ereignis einfach nur andere Begriffe verwendet werden. Unterschiedliche Formulierungen einer Botschaft führen – bei gleichem Inhalt – auch zu unterschiedlichem Verhalten des Empfängers. Eine rationale Entscheidung wird damit ausgehebelt. Framing ist das klassische Mittel der Verführung und der politischen Propaganda.

Der Anspruch des „Berkeley International Framing Institute“ in Berlin ist laut Wikipedia, „interdisziplinär neurowissenschaftliches, psychologisches und linguistisches Wissen zu neuen Erkenntnissen zu verknüpfen. Die Kognitionsforscherin Wehling macht sich folglich Gedanken darüber, wie durch das Setzen von sprachlichen Deutungsrahmen eine Debatte in eine bestimmte Richtung gelenkt werden kann. Insbesondere konservative Thinktanks wie die Heritage Foundation investieren Millionenbeträge für die Entwicklung von Frames. Bei Wahlen würden die meisten Menschen aufgrund ihres „moralischen Bauchgefühls“ ihre Entscheidung treffen, was damit zusammenhänge, dass nur 2 Prozent des Denkens bewusst erfolgten.“

Demnach sind 98 Prozent unseres Denkens unbewusst. Aha, ach so: Man könnte Wehlings Geschäft auch als „Verkauf wissenschaftlich abgesicherter Methoden zur unauffälligen Gehirnwäsche“ bezeichnen. Wie die funktioniert, beschreibt George Lakoff in seinem Buch „Auf leisen Sohlen ins Gehirn“. An dem Band hat Dr. Wehling übrigens mitgewirkt. Was in dem Band kritisch-analytisch untersucht wird, und zwar mit genauem Blick auf die problematischen gesellschaftlichen Folgen, verkauft Wehling nun den ARD-Hierarchen in Form einer Handlungsanleitung. Eindrucksvoll, keine Frage.

Die Reklamebranche macht rege und erfolgreich von Dr. Wehlings Erkenntnissen Gebrauch, die Politik ebenso. Willkommen im Club der Volksverführer, jetzt ist auch das ARD-Management mit dabei und auf aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand.

Um einer Legendenbildung vorzubeugen: Dr. Kai Gniffke, die Fehlbesetzung in der ARD-aktuell-Chefredaktion, gab dazu nicht den Anstoß. Das 80-seitige Wehling-Papier liegt schon seit Mitte 2018 vor. Gniffke setzte sich erst im Oktober 2018 beim AfD-Ortsverein Dresden so richtig in die Nesseln, als er sich diesem reichlich gemischten Publikum in einer Podiumsdiskussion mit der Bemerkung anbiederte, auch er bezahle die Rundfunkgebühr nur ungern. Vermutlich hatte er das Wehling-„Strategiepapier“ vorher immer noch nicht gelesen, obwohl es extra für solche Auftritte als Schablone dienen sollte. Vielleicht hatte er aber auch nur was Unrechtes zur Vesper verspeist.

Für uns ist nicht zu klären, ob die Schnapsidee für den Sprachknigge dem ARD-Programmdirektor Volker Herres kam. Beim NDR in Hamburg war er zwar schon vor Jahren als Bewerber um das Intendantenamt abgeschmiert, weil er ein paar kritischen Zeitgenossen gar zu sehr auf den Zeiger gegangen war. Aber auch auf dem herausgehobenen Posten in München kann er noch eine Menge Schaden anrichten. Und zudem ist er nicht der einzige Omnipotenz-Gockel in der ARD. Wie bei vielen Managern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks führen das opulente Gehalt und die Tatsache, dass man sich um Bestand und Finanzierung der Institution weder Gedanken noch gar Sorgen machen muss, zu ausgesprochen arrogantem Rollenverhalten.

Das Wehling-Elaborat ist zwar seit mehr als einem halben Jahr ausgeliefert und in die Schubladen der Rundfunkbürokraten eingelagert, aber erst jetzt, Mitte Februar 2019, macht die Story darüber die Runde. Nicht nur im Internet, auch in den Zeitungen. „Wozu braucht die ARD denn ein Framing-Manual?“ fragt der Branchendienst Meedia. Tja. Wie schon der Volksmund sagt: Wer den Dachschaden hat, spottet jeder Beschreibung (oder so ähnlich).

Peinlich, wenn man als Hierarch deshalb auch vor den eigenen Leuten, den Beschäftigten in den Sendern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, als Kindskopf mit runtergelassener Hose dasteht. Im Scheinwerferlicht der Betriebsöffentlichkeit! Da musste aber nun ganz schnell ebenfalls ein Framing her, ein verbaler Bauchtanz mit Schleier vor dem da unten, dem Peinlichen. Unter dem Titel „Framing in der ARD: Sensibilisieren für den Umgang mit Sprache“ ist im Intra-Net des NDR nachzulesen, was die Sprachkünstler im Generalsekretariat der ARD dazu zu sagen haben:

„… Von einer ‚Sprechanweisung für ARD-Führungskräfte‘ ist die Rede. Die Tatsachen sind allerdings deutlich weniger spektakulär. … Sich nicht mit der Wirkung und Wirkkraft von Sprache zu befassen, wäre für jedes Medienhaus nachlässig. Daher beschäftigen wir uns in der ARD selbstverständlich mit Themen wie Framing und wie es unsere Kommunikation prägt. Das ‚Manual‘, das Dr. Elisabeth Wehling … verfasst hat, dient als Denkanstoß und Diskussionsgrundlage. Ihre Ausführungen sind Hinweise aus sprachwissenschaftlicher Sicht, die uns dafür sensibilisieren sollen, wie wir über uns selbst sprechen und wie wir mit unseren inhaltlichen Argumenten die Menschen erreichen können.“

Bloß Hinweise. Keine Sprachregelung also, kein „Wording“. Keine „Marktstrategie“. Kein Versuch, den Eignungsnachweis und das Zertifikat für die eleganteste Verarschung des Publikums zu erwerben. Alles ganz harmlos! Aber dringend nötig, wie die Lohnschreiber in ihrer Darstellung andererseits betonen:

„… Auch aus der Debatte rund um das ‚No-Billag‘-Referendum in der Schweiz haben wir gelernt, dass eine werteorientierte Kommunikation ebenso wichtig ist wie die reine Faktenvermittlung. Und schließlich wird, unter anderem von den Gremien, immer wieder gefordert, wir sollten in der Selbstdarstellung aktiver werden.“

Das, hochverehrtes Publikum, müssen wir uns richtig auf der Netzhaut zergehen lassen: Die Schaumschlägerei, genannt „werteorientierte Kommunikation“, ist genauso wichtig wie die Darstellung von Tatsachen – nach Ansicht dieser angespitzten ARD-Bleistifte.

„Um besser und aktiver zu erläutern, wer wir sind, wie wir arbeiten und warum es uns braucht, hatte die ARD … im Jahr 2017 gebeten, Vorschläge aus wissenschaftlicher Sicht zu entwickeln. …“

O tempora! O mores! Schlimm, dass sogar ARD-Obere erläutern müssen, wozu es sie überhaupt braucht. Aber bitte, machen Sie nur so weiter, werte Herrschaften, immer runner mit de Büx:

„Was ist Framing überhaupt? Framing ist das Einbetten von Fakten und Informationen in einen werteorientierten „Rahmen“, der eine Haltung verdeutlicht. … Frames prägen (oftmals unbemerkt) unser Weltbild. … Die Beschäftigung mit dem Thema Framing innerhalb der ARD dient vor allem dazu, sich dieser Prozesse bewusst zu werden – im Sinne eines verantwortungsvollen Umgangs mit Sprache. … Um unsere Leistungen aktiv zu vermitteln und dabei offen eine werteorientierte Haltung zu kommunizieren, wird die Beschäftigung mit Sprache und ihrer Wirkmechanismen weiter fortgesetzt werden.“

Das kann man nur noch als Offenbarungseid und als freche Drohung in einem Atemzug empfinden. Darüber hinaus als Versuch, die Belegschaft der ARD-Anstalten für blöd zu verkaufen.

Hier nun der fällige Eintrag ins Stammbuch der ARD-Herrschaften:

Wer qualitativ Hochwertiges anzubieten hat, vertraut auf den Erfolg seines Produktes. Es wirbt selbst für sich und für ihn. Er braucht keine Reklame und keine ausgefeilten psychologischen Verkaufstricks. Er muss nicht über „Werteorientierung“ als Nachweis seiner Existenzberechtigung schwadronieren. Wer Framings braucht hat‘s nötig.

Die ARD-Verantwortlichen ziehen aus dem qualitativen Niedergang ihres Angebots, aus der zunehmenden Bereitschaft des Publikums, die Rundfunkgebühren zu verweigern und vor allem aus der Entwicklung von Gegenöffentlichkeit nicht den nahe liegenden Schluss, ihr Programmangebot, besonders ihre Nachrichtensendungen, wieder verstärkt nach den „anerkannten journalistischen Grundsätzen“ zu gestalten, auf die sie übrigens in den Staatsverträgen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gleich mehrmals verpflichtet sind. Vielmehr wollen sie ihren versumpften Laden sprachgeregelt schönreden und sich damit über ihre Gegner erheben: „Sich niemals auf das Framing der Kritiker einlassen!“ Stattdessen: „Unser Rundfunk ARD“. „Freiheit“, „Beteiligung“, „Zuverlässigkeit“.

Rosstäuscher im Frack. Wie man die Leute richtig leimt, hätten sie sich aber nicht extra von dieser auswärtigen Expertin erklären lassen müssen. Mit Tagesschau-Chefredakteur Dr. Kai Gniffke haben sie doch einen praxiserfahrenen Illusionskünstler in den eigenen Reihen. Framings anwenden lassen ist sein täglich Brot. Er weiß genau, wie die Sache funktioniert.

Hat der Mann nicht grade erst einen Emporkömmling als „selbsternannten Übergangspräsidenten Venezuelas“ ausgeben lassen, eine Type, die genauso treffend als „USA-gesalbter Hochverräter und faschistoider Putschist“ zu benennen wäre – die gleiche Person, nur in höchst unterschiedlicher sprachlicher Verpackung? Dr. Gniffke ist ein Experte, der immer die richtige Wahl trifft bei Alternativen wie „Terrorist – Rebell“, „Straftäter – Menschenrechtsaktivist“ oder „Präsident – Machthaber“. Er weiß, wie man seiner Aufgabe als Staatsfunker gerecht wird. Er hat es drauf, das Framing.

Für ihre Effekthascherei und Marktschreierei haben die Rundfunk-Wichtigtuer aber lieber einen auf „von-der-Leyen“ gemacht und für ein sündhaft teures Gutachten Rundfunkbeitragsgeld in mindestens fünfstelliger Höhe verschleudert – derweil das Berufsethos in der ARD den Bach runtergeht.

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"Wie man die Leute für dumm verkauft", UZ vom 1. März 2019



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