Mit „NSU 2.0“ geht die Vertuschung der Zusammenarbeit von Staatsorganen und rechten Terrornetzwerken weiter. Demonstranten fordern Aufklärung

Wie lange noch?

Die Liste von Antifaschisten und Nazigegnern aus Hessen, die vom „NSU 2.0“ mit dem Tod bedroht werden, wird länger. Immer klarer wird, dass die in den Drohbriefen genutzten Daten und Informationen aus Computerabfragen der hessischen Polizei stammen. Nachdem die Vorsitzende der hessischen Linksfraktion, Janine Wissler, wiederholt Opfer von Morddrohungen wurde, die mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterzeichnet sind, wurde am Dienstag bekannt, dass auch die Kabarettistin Idil Baydar entsprechende Drohbriefe erhalten haben soll. Nach bisherigem Informationsstand enthielten alle Schreiben Informationen über die Bedrohten, die nicht öffentlich zugänglich sind.

Wie im Fall von Wissler sollen auch die Daten von Baydar von einem Wiesbadener Polizeicomputer aus abgefragt sein. Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz hatte bereits vor zwei Jahren, im August 2018, Morddrohungen gegen sich und Familienangehörige vom „NSU 2.0“ erhalten. In ihrem Fall sollen die Informationen von einem Computer des 1. Polizeireviers in Frankfurt am Main aus abgerufen worden sein. Konsequenzen wurden damals keine gezogen. Erst am Dienstag verkündete der hessische Landesinnenminister Peter Beuth (CDU), dass sich sein Polizeipräsident Udo Münch in den einstweiligen Ruhestand versetzen ließ.

Der hessische Landesinnenminister Peter Beuth (CDU), der die Existenz neofaschistischer und rassistischer Netzwerke in der Landespolizei erst leugnete, dann verharmloste und sich nun unwissend zeigt, gerät nun zunehmend selbst unter Druck. Gleiches gilt für die Koalitionspartner von Bündnis 90/Die Grünen, die sich in der Öffentlichkeit gern als besonders entschlossene Nazigegner inszenieren. Dort, wo sie gemeinsam mit der CDU regieren, halten sie die Füße still oder behindern wie im Fall der hessischen NSU-Morde die Aufklärung.

Am Montag gingen mehr als 100 Nazigegnerinnen und -gegner in Frankfurt auf die Straße. Um ihre Solidarität mit Janine Wissler und den anderen Opfern zu zeigen und Aufklärung zu fordern, zogen sie vor das 1. Polizeirevier in der Mainmetropole. „Es ist höchste Zeit, dass die Nazistrukturen in Behörden aufgeklärt werden. Es hat sich der Verdacht erhärtet, dass das rechtsextreme Netzwerk inmitten der hessischen Polizeibehörden organisiert ist“, hatte der hessische Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Achim Kessler im Vorfeld der Proteste gewarnt. Nach der Ermordung von Halit Yozgat 2006 durch den NSU, unzähligen Anschlägen auf Unterkünfte für Geflüchtete, den rassistischen Morden Anfang des Jahres in Hanau und dem Mord an Walter Lübcke hüllten sich hessische Behörden und Regierungsverantwortliche in Schweigen, kritisierte Kessler. Schlimmer noch: Wie der NSU-Prozess eindrücklich gezeigt habe, stelle sich das Land lieber vor seine rechtsextremen Mitarbeiter.

Obwohl in Hessen mittlerweile gegen rund 70 Polizeibeamte wegen Verstrickungen in die Naziszene ermittelt wird, versuchen Landesinnenminister Beuth und seine Parteifreundin, die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU), die Enthüllungen auszusitzen. Dies ist nicht hessenspezifisch. Das Gros der Innenpolitiker in Land und Bund weigert sich, auch nur Untersuchungen und Studien zum Thema verfassungsfeindliche Positionen und Rassismus im Beamtenapparat auf den Weg zu bringen.

„Ich bin fest davon überzeugt, dass Hessen kein Einzelfall ist, sondern es auch in den Polizeibehörden der anderen Bundesländer und bei der Bundespolizei entsprechende Netzwerke gibt“, erklärte der hessische Innenpolitiker Hermann Schaus auf Anfrage der UZ. Er könne allen Innenministern nur sagen: „Wer hier nichts zu verbergen hat – wie es ja gerne betont wird – muss sich vor einer wissenschaftlichen Untersuchung und vor Studien nicht fürchten.“ Offenbar dürfe jedoch nicht sein, was nicht sein soll. „Eine bizarre Haltung“, urteilte Schaus.

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"Wie lange noch?", UZ vom 17. Juli 2020



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