Die Frage, wem die Wirtschaftssanktionen gegen Russland schaden, ist oft und vor aller Augen beantwortet worden. Die Auseinandersetzung um Nord Stream 2 hat es gezeigt. Dieses Projekt ist, wie alle langfristigen Projekte zur Öl- und Gasversorgung aus Russland, seit den 60er Jahren von allen deutschen Bundesregierungen vorangetrieben, finanziell gefördert und immer mal wieder gegen den Einspruch der US-Regierungen verteidigt worden. Vor drei Jahren kämpfte die damalige Kanzlerin Merkel vor der versammelten Kriegslobby auf der „Münchner Sicherheitskonferenz“ mit großem rhetorischen Aufwand für das Gasrohr durch die Ostsee. Es werde keineswegs, wie von den USA befürchtet, Europa von russischer Energiezufuhr abhängig machen, sagte sie. Die Abhängigkeit von russischem Gas werde nicht dadurch größer, dass es am Grund der Ostsee statt durch die Ukraine fließe, denn es bleibe in beiden Fällen das gleiche Gas aus Sibirien. Großer Beifall damals. Dem deutschen Industriekapital stand mit der billigen und reichlichen Energiezufuhr aus dem Osten ein strategischer Vorteil gegenüber der internationalen Konkurrenz zur Verfügung.
Die USA waren bis vor einem Jahrzehnt, obwohl die größten Ölkonzerne der Welt US-amerikanische sind, auch eine Netto-Importeur von Öl und Gas. Das änderte sich erst in Barack Obamas Regierungszeit grundlegend, als das besonders umweltschädliche und bei der Förderung teure Fracking in großem Stil Fahrt aufnahm. Die US-Regierung greift seitdem bei ihrer Wirtschafts- und Außenpolitik zugunsten höherer Energiepreise ein. Als der Erdölpreis zu Beginn der Pandemie vorübergehend auf null Dollar je Fass fiel, reagierte der damalige Präsident Donald Trump ausgesprochen hektisch. Die US-Notenbank griff zur raschen Zinssenkung auch deshalb, weil die Fracking-Industrie von einer Pleitewelle bedroht war. Die Sanktionspolitik gegenüber den zwei großen Erdölexportländern Venezuela und Iran hat auf mittlere Sicht den Erdölpreis nach oben getrieben. Noch ist Russlands Energieexport nicht wesentlich eingeschränkt. Aber die Einschränkung ist als Ziel westlicher Politik, durch G-7-Vereinbarungen und EU-Beschlüsse nun festgelegt, und wirkt sich kurz-, mittel- und langfristig auf Öl und Gas preistreibend aus.
Allerdings sind die USA selbst gegen die drastisch steigenden Energiepreise nicht immun. Ganz ähnlich wie in Europa treiben die Energiepreise die allgemeine Inflation auf der Verbraucherebene. Anders gesagt, bei steigender Inflation sinkt das Realeinkommen der Beschäftigten. Weil mehr Geld für Benzin und Heizung ausgegeben werden muss, sinken die Ausgaben für andere Produkte. Im ersten Quartal des Jahres ist das Bruttoinlandsprodukt der USA (annualisiert) nach Angaben des Wirtschaftsministeriums um 1,4 Prozent gesunken. Das sieht noch schlechter aus als die Werte für die Bundesrepublik, wo das Statistikamt für das erste Quartal ein Mini-Wachstum des BIP von 0,2 Prozent bekanntgab. Im Grunde aber ist die Lage überall sehr ähnlich. Die EU, das übrige Europa, Nordamerika und Ostasien leiden unter der Knappheit einiger wichtiger Industrieprodukte, die durch die Pandemie verursacht wurde, noch mehr allerdings durch die künstliche (politische) Verknappung der Energierohstoffe. Das treibt die Inflation auf ein Niveau wie seit 40 Jahren nicht mehr. Die kaufkräftige Nachfrage schrumpft und entsprechend das Wachstum der Wirtschaft.
Die Ähnlichkeit mit der großen Wirtschaftskrise der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts ist auffällig. Vor 50 Jahren leitete ein Preissprung bei Rohöl eine Periode höherer Inflation, sinkender Realeinkommen und kümmerlicher Wachstumsraten (Stagflation) ein. Anders als damals wurde (wird) dieses Mal der Preissprung von der Führungsmacht des Westens, den USA, ausgelöst.