Der Gefangenenaustausch und der Fall Rico Krieger

Wie im Film?

Kolumne von Gert Ewen Ungar

Die Ereignisse haben sich zuletzt überschlagen. Der in Belarus inhaftierte und unter anderem wegen Terrorismus zum Tode verurteilte Deutsche Rico Krieger wurde vom belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko begnadigt und anschließend überraschend im Rahmen eines Gefangenenaustausches zwischen Russland und dem Westen nach Deutschland überstellt.

Portraet Ungar - Wie im Film? - Gefangenenaustausch, Propaganda, Rico Krieger, Russland, Spionage - Internationales
Gert Ewen Ungar

Es wirkte, als hätte man Krieger einem ohnehin schon geschnürten Paket als kostenlose Dreingabe hinterhergeschmissen. Der Gefangenenaustausch wurde wohl über zwei Jahre ausgehandelt, Krieger wurde aber erst am 6. Oktober letzten Jahres auf dem Flughafen der belarussischen Hauptstadt Minsk festgenommen, als er sich nach Aserbaidschan absetzen wollte. Am 20. Juli war er zum Tode verurteilt worden, am 30. Juli richtete er ein Gnadengesuch an Lukaschenko, der dem sofort nachkam und Krieger anscheinend noch am selben Tag begnadigte. Zwei Tage später wird er ausgetauscht – gemeinsam mit Agenten und Spionen, die wegen ihrer Spionagetätigkeit zum Teil schon seit geraumer Zeit in Russland im Gefängnis saßen. Krieger passt nicht in den Kreis der Personen, die nach Berlin überstellt wurden.

Dessen ungeachtet schossen in Deutschland die Verschwörungstheorien im Mainstream sofort wie Pilze aus dem Boden. Krieger sei in eine Falle gelockt worden mit dem Ziel, mit einer weiteren „Geisel” als Faustpfand den Druck auf den Westen zu erhöhen. Gegen diese These spricht der lange Vorlauf der diplomatischen Bemühungen. Dagegen spricht auch die Persönlichkeit Kriegers. Über ihn ist nur wenig bekannt. Ein Profil auf LinkedIn mit seinem Foto verrät ein bisschen über den 29-jährigen Berliner. Demnach hat er unter anderem als Rettungssanitäter und als Sozialarbeiter gearbeitet. Vom helfenden Beruf zum Terroristen und gedungenen Mörder ist es ein ungewöhnlicher Werdegang. Krieger hat aus eigenem Antrieb mit dem ukrainischen Geheimdienst SBU Kontakt aufgenommen. Er hat sich rekrutieren lassen. Er flog Anfang September 2023 nach Belarus, sein Auftrag war Sabotage. Er sollte eine Bahnlinie mit drei Kilogramm Sprengstoff präparieren. Ob die Todesstrafe für das, was er getan hat, das richtige Maß war, sei dahingestellt.

Die Frage, die sich allerdings stellt, ist die nach dem Motiv. Was motivierte Krieger, Kontakt zum SBU aufzunehmen? Wer diese Frage stellt, landet zwangsläufig bei der deutschen Berichterstattung und dem Niveau des politischen Diskurses in Deutschland. Ich persönlich halte Krieger für das Opfer deutscher Propaganda und Desinformation. Der deutsche Informationsraum ist inzwischen gut gegen alles abgeschottet, was den einfältigen Narrativen einer ganz großen Parteienkoalition widerspricht. Zur Ursache des Ukraine-Konflikts gibt es keine Diskussion, dafür aber konkrete Schuldzuweisungen. Russland ist verantwortlich – sonst niemand. Das Niveau der politischen Diskussion in Deutschland ist erschreckend niedrig. Analyse wurde durch Moralisieren ersetzt, der Blick auf die Konflikte dieser Welt ist von holzschnittartiger Primitivität. Es gibt Gut und Böse, dazwischen gibt es nichts. Dieses Bewertungsschema findet sowohl in der deutschen Außenpolitik als auch in den großen deutschen Medien Anwendung. Gezüchtet wird damit vor allem Hass. Hass auf angebliche Autokraten, auf Russland, auf Belarus, auf Putin und all die anderen „Diktatoren”. Die deutsche Politik glaubt sich im Recht, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischen zu dürfen, um dort die Dinge nach deutscher Art zu regeln. Mit ihr glauben sich auch viele Deutsche dazu im Recht. Krieger wurde zum Opfer dieses grundlegenden Irrtums. Sein Irrtum, dass überall Deutschland sein muss, hätte ihn fast das Leben gekostet.

Einsicht wird dadurch allerdings nicht einkehren. Die Berichterstattung zum Gefangenenaustausch bleibt schwarz-weiß. Russische „Mörder und Spione” wurden gegen „Oppositionelle und Freiheitskämpfer“ ausgetauscht. Vor diesem Hintergrund ist auch in Zukunft mit weiteren Rico Krügers zu rechnen, die sich weigern, eine wichtige Lehre aus der deutschen Geschichte zu ziehen: der Berichterstattung deutscher Medien ist mit einem großen Maß an Skepsis zu begegnen. Immer.

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"Wie im Film?", UZ vom 9. August 2024



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