Podcast-Plauderei des Postchefs Frank Appel beim „Handelsblatt“

Wie ein Kapitalist denkt

Tim Laumann

„Die Menschen“, sagt Lenin, „waren in der Politik stets die einfältigen Opfer von Betrug und Selbstbetrug, und sie werden es immer sein, solange sie nicht lernen, hinter allen möglichen moralischen, religiösen, politischen und sozialen Phrasen, Erklärungen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klassen zu suchen.“

Im vom „Handelsblatt“ produzierten Podcast „Disrupt“ sprach Chefredakteur Sebastian Matthes mit Postchef Frank Appel „über die Zukunft der Logistik in einer immer digitaleren Welt“ und über Appels Managementphilosophie – das alles vor dem Hintergrund der Ukrainekrise.

Managementphilosophie

Er habe gelernt, dass „das Wichtigste bei der Führung eines so großen Unternehmens sei, die Mitarbeiter zu motivieren“ – so steigt Appel ein. Motivieren will er nicht durch anständige Löhne, denn diese werden, bei der „Deutschen Post-DHL“ wie bei allen anderen Unternehmen auch durch den Wert der Ware Arbeitskraft und das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen bestimmt. Nein, motivieren will der Postchef durch die „Kultur“ der Zusammenarbeit. Das ist Managementsprech für einen Umgang, der jeden Einzelnen dem Ziel der Profitmacherei unterordnet und das dann als Selbstbestimmung feiert.

Was die Organisation brauche, sei „Klarheit“ – Klarheit darüber, was passieren werde, Stabilität und dass man optimistisch gegenüber der Organisation auftreten müsse, schwadroniert Appel weiter. Klarheit darüber, was passieren werde, brauchen nicht etwa die Beschäftigten – die werden zu einem immer größeren Teil befristet angestellt, wogegen ver.di übrigens gerade Unterschriften sammelt. Appels Klarheit brauchen nicht etwa die Zusteller, die von einem Bezirk in den anderen gescheucht werden, und auch nicht die Azubis, die sehen, dass von ihnen von Jahrgang zu Jahrgang immer weniger eingestellt werden. Und mit Stabilität meint er das Monopol und dessen Profite. Nur härteste Befürworter der Sozialpartnerschaft, die nicht zum Lesen der Einkommensstatistik in der Lage sind, glauben, dass diese Profite den Beschäftigten irgendetwas bringen.

Was er von den „Mitarbeitern“ hält, macht Appel deutlich, indem er seine Führungsphilosophie darlegt: Führung bedeute, dass „die da unten“ nach oben schauen würden. Solange die Führung ruhig bleibe und klare Linie zeige, richteten sich „die da unten“ nach ihr – das sei das Gleiche wie bei kleinen Kindern oder Hunden. Zu dieser elitären, an Nietzsches „Übermenschen“ erinnernde Haltung erübrigt sich jeder Kommentar.

Ganz zum Ende des Podcasts wird der Postchef gefragt, wo er Fehler gemacht habe. Seine Antwort: Er sei zu langsam gewesen in Personalentscheidungen. Wenn man bemerke, dass jemand etwas nicht schaffe, dürfe man da weit weniger Chancen geben. Die Rücksicht sei menschlich, aber häufig wisse man in seinem Inneren bereits, dass jemand das nicht schaffe und müsse dann „die Personalentscheidung“ schneller treffen. Sprich: Leute schneller feuern, wenn sie keine Leistung bringen – die Menschlichkeit überwinden in der Jagd nach Profit.

141202 Grafik - Wie ein Kapitalist denkt - Deutsche Post AG, Frank Appel, Ideologie, Managementphilosophie - Hintergrund
Aktionäre freuen sich über Milliardengewinne, für Beschäftigte bleibt ein hoher Krankenstand. Angestellte bei Post- und Zustelldiensten leiden überdurchschnittlich oft an Muskel- und Skeletterkrankungen. (Grafik: BARMER)

Ukrainekrise

Appel lobt das Handeln der Bundesregierung, die sich nicht vorantreiben lasse, sondern ruhig Sanktionen und anderes ausspreche, aber keine sofortige Einstellung der Gasimporte betreibe. Er sei gegen „Decoupling-Strategien“. Das würde die eigene Position nur schwächen, außerdem könne man die gewonnene Zeit, bis Wladimir Putin seinerseits den Gashahn abdrehe, zur besseren Vorbereitung auf diesen Fall nutzen. Die von der Bundesregierung geplante Aufrüstung findet er gut, es brauche aber darüber hinaus eine Wirtschaftspolitik, die in Forschung, Bildung und Unternehmertum investiere und so zeige, dass man überlegen sei. Appel warnt, man sei bisher zu selbstzufrieden gewesen und müsse nun – im Kampf eines demokratischen, liberalen Westens mit dem autoritären Osten – zeigen, dass das eigene Gesellschaftssystem das bessere sei. Auch durch die Nutzung von Talenten, meint er – denn die würden immer die Freiheit wählen.

Vor uns ist damit ausgebreitet, was den deutschen „gemäßigten“ Monopolkapitalisten umtreibt. In den letzten Jahren wurden – unter der Maßgabe der Schaffung deutscher „Global Player“ – im „Nationale Industrie“-Programm des damaligen Wirtschaftsministers Peter Altmaier dem Monopolkapital alle Wünsche erfüllt. Die Notwendigkeit eines solchen Programms wurde zunächst mit dem Klimawandel begründet, dann mit der Corona-Pandemie und jetzt mit dem Ukrainekrieg. Die damit verbundene massive Kapitalmobilisierung zeigt, dass private Monopole und Staatsmonopolistischer Kapitalismus kein Gegensatz sind.

Den Postchef treibt derweil um, wie auch für die personalintensive Dienstleistung seines Konzerns Kapital mobilisiert werden kann: Er fordert Investitionen in Bildung. Gemeint ist damit allerdings keineswegs die Sanierung der kaputtgesparten Schulen, Appel spricht vielmehr von Businessenglisch an den Universitäten. Es geht ihm also um eine weitere Zurichtung der Bildung auf die Interessen der Monopole.

In diesem Zusammenhang ist überdies die Unterstützung Appels für mehr Aufrüstung zu sehen, der auch die Logistikschienen der DHL dienen – die SDAJ Nürnberg hatte vor kurzem DHL als Rüstungskonzern geoutet. Und für Migration ist er auch – als „Braindrain“ und Zustrom billiger Arbeitskräfte. Fehlende Fachkräfte seien für die Post allerdings kein Problem, so Appel, denn das Unternehmen sei ein „Great place to be“. Teil der eigenen Unternehmenspropaganda ist seit Langem, sich als „Arbeitgeber erster Wahl“ zu titulieren. Dass jetzt auch Ukrainer dazu kämen, sei gut – die Leute seien gut ausgebildet und christlich, die verständen unser Land.

Bei einem Unternehmen, in dem an Mitarbeiterumfragen weit weniger als die Hälfte der Beschäftigten teilnehmen und das unter anderem die Ausbildung in seinem ehemaligen Kerngeschäft wegrationalisiert, ist „Arbeitgeber erster Wahl“ eine gewagte Aussage. Der „First-Entry-Job“ wird für viele Kollegen aus anderen Ländern tatsächlich eine Chance sein, vor allem, wenn ihre Integration in die Kampforganisationen der deutschen Arbeiterklasse gelingt. Wenn aber der Postchef von Integration redet, dann meint er Ausbeutung. Wir meinen damit Solidarität.

Am Ende leistet Frank Appel noch Abbitte: Er habe 1981 „hier in Bonn“, also vermutlich bei der großen Demonstration im Bonner Hofgarten, gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen demonstriert – ein Irrtum, wie er heute meint. Durch die massive Aufrüstung habe der Westen sich als das leistungsfähigere System gezeigt, dadurch sei er dem Osten überlegen gewesen und hätte den Kalten Krieg beendet.

Veränderungen in der Logistik

Appel stellt fest, dass Unternehmen ihre Lieferketten aufgrund des Ukrainekrieges und wegen der Corona-Pandemie diversifizierten, also mehr Lagerei nachgefragt wird. Das freut den Monopolisten, der sich mit „DHL Supply Chain“ und diversen „Solutions“-Angeboten genau für diesen Fall „optimal am Markt positioniert hat“. Es sei sein Job, das alles zu organisieren, ohne dass die Supply-Chain-Kosten steigen, so Appel. Eine Kampfansage gegen die „Kostenfaktoren“, also gegen die Beschäftigten, die er mit der Aufzählung der Möglichkeiten garniert: Vieles könne automatisiert werden. Bisher seien Roboter im Einsatz, die für die Verpacker die Materialien aus dem Lager holten. Der „Picker“, der diese Aufgabe in Lagerei und Kommissionierung hatte, wird so ersetzt. Appel spricht von Effizienzgewinnen und wird Entlassungen meinen.

Vor kurzem wurde ein Logistikunternehmen von der Post dazugekauft. In die Lagerei und die Zustellung werde investiert – in der Lagerei werde in Roboter investiert, in der Zustellung könne der Teamleiter der Paketzustellung in „real time“ die Paketvolumina sehen und bei Veränderungen ebenso „real time“ die Zustellbezirke neu schneiden. Das dient der vollen Ausnutzung der Arbeitskraft. Routine, Einarbeitung, Ortskenntnis der Zusteller und auch Tage, in denen die Postmengen geringer sind, werden damit passé sein.

Die Ideologie der Sozialpartnerschaft behauptet, dass die Gewinne von heute die Investitionen von morgen seien und deswegen die Arbeitsplätze von übermorgen. Hier kann man sehen: Die Gewinne von heute sind die Investitionen in Automatisierung und Rationalisierung von morgen – Investitionen, die übermorgen zur Arbeitslosigkeit bei den einen und Überlastung bei den anderen führen.

Kampfperspektiven

Damit nicht genug, Appel versucht sich sogar als Menschenkenner: Den Menschen mache aus, dass er die Perspektive bräuchte, dass es morgen besser sein könne als heute. Endlich etwas, wo wir ihm zustimmen können. Aber die Verbesserungen kommen nicht durch das „Unternehmertum“, das aktuell von einer Staatsspritze zur anderen lebt, sondern vom Kampf der Arbeiterklasse um ihre Rechte.

Gegen die menschenfeindliche Übermenschenideologie Appels müssen die Arbeiter die Solidarität, eigene Perspektiven, ihre Überzeugungen setzen. Die Sozialpartnerschaft einiger Gewerkschaftsführer und die Hilflosigkeit manch eines Betriebsrats verleitet dazu, sich so zu verhalten, wie Appel es beschreibt: Vor dem Monopol stehen wie das Kaninchen vor der Schlange, von dessen vermeintlichen „Notwendigkeiten“ ausgehen anstatt von eigenen Positionen.

Beate Landefeld hat in einem Vortrag bei der Marx-Engels-Stiftung die Bedeutung solcher Publikationen à la „Handelsblatt“ dafür dargelegt, dass die Monopole ihre Interessen vereinheitlichen und auch bereits die ideologische Begründung entwickeln können. Bei einem so zentral an den Staat gekoppelten Kapitalisten wie dem Postchef trifft das sicher zu. Seine Strategie ist die eines „nationalen Champions“, wie Altmaier ihn sich vorgestellt hatte – international erfolgreich im Kapitalexport und dadurch in der Ausbeutung der Arbeiterklasse auf der ganzen Welt.

Appel behauptet im Podcast, er stehe jeden Morgen auf und frage sich, wie die 690.000 Postbeschäftigten bezahlt werden könnten. Wir glauben ihm das mal und können ihn trösten: keine Sorge, Frank. Die Arbeiter erarbeiten viel mehr als ihren Lohn. Sie sind Zusteller und Techniker, Lagereiarbeiter und Lkw-Fahrer und vieles mehr. Sie halten große Teile der Ökonomie durch ihre Arbeit am Laufen. Du lebst von dem, was sie erarbeiten, nicht umgekehrt. Und wenn ihnen das bewusst wird, werden sie sich fragen, wozu sie dich und deinesgleichen überhaupt brauchen.

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"Wie ein Kapitalist denkt", UZ vom 8. April 2022



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