Bundesregierung legt China-Strategie vor

Wie bestellt

Kolumne

Die Gewichte verschieben sich. Als der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) im Januar 2019 ein neues Grundsatzpapier zum Umgang mit China präsentierte, gab es heftige Reaktionen. Der führende Wirtschaftsverband der Bundesrepublik hatte als gedankliches Gerüst eine Trias in seine Überlegungen eingezogen: Die Volksrepublik, postulierte er, sei Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale zugleich. Partner, das kannte man – schließlich war die deutsche Industrie auf das China-Geschäft angewiesen. Dass chinesische Unternehmen zu Wettbewerbern, zu Konkurrenten werden konnten, hatte man inzwischen auch realisiert: Chinesische Solarzellen etwa hatten deutschen längst den Rang abgelaufen. So weit, so normal. Dass der BDI die Volksrepublik aber auch als systemischen Rivalen einstufte, war neu; es klang nach Ärger, deshalb entbrannte eine etwas aufgeregte Debatte. Dabei hatte der BDI durchaus Anlass für seine Analyse. In China kann der Staat, kann die Partei die wirtschaftliche Entwicklung viel besser, gezielter steuern, als es in Deutschland möglich ist; in Zeiten härter werdender Konkurrenz ist dies ein echter systemischer Vorteil, den Peking sich zunutze machen kann.

Viereinhalb Jahre später hat die Bundesregierung ihre neue China-Strategie vorgelegt und der Bundestag hat sie in der vergangenen Woche diskutiert. Die Trias, mit der der BDI 2019 sein Konzept strukturiert hatte, prägt auch das neue Regierungsdokument: China soll wegen der Bedeutung des China-Geschäfts weiterhin Partner, wegen der Unternehmenskonkurrenz auch unverändert Wettbewerber sein, und an der systemischen Rivalität, wie die deutsche Wirtschaft sie sieht, hat sich nicht wirklich etwas verändert. Verschoben haben sich jedoch die Gewichte. Die Volksrepublik ist stärker geworden; ihr Einfluss in Afrika, in Asien, auch im Mittleren Osten und in Lateinamerika stellt den deutschen Einfluss dort jeweils weit in den Schatten – und nebenbei: Auch die USA fallen ihr gegenüber spürbar zurück. China baut Schritt für Schritt Gegengewichte gegen die westliche Dominanz in der Welt auf, so etwa die BRICS, die gerade zu den BRICS Plus heranwachsen. Da dämmert so langsam eine globale Ordnung herauf, die das riesige ostasiatische Land aktiv mitgestaltet.

Nun könnte man sich ruhig einfügen in die sich neu herausbildende Welt, sich einen Platz in der neuen Ordnung suchen, drängte da nicht das Kapital – na klar: gerade auch das deutsche – zur Expansion, stieße es nicht immer häufiger mit dem konkurrierenden Systemrivalen zusammen, auf den es doch als Absatzmarkt, als Produktionsstandort, als Lieferant, kurz: als Partner vielleicht mehr denn je angewiesen ist. Was tun, wenn Elektroautos aus China nicht nur den chinesischen, sondern auch den deutschen Markt aufzurollen beginnen, wenn die traditionelle Paradebranche der deutschen Industrie an den Rand gedrängt zu werden droht? Was tun, wenn man realisiert, dass man technologisch zurückfällt, dass die Volksrepublik in den wichtigsten Hightech-Branchen die Führung zu übernehmen beginnt? Berlin hat sich entschieden, sich nicht einzuordnen, sondern für sein Kapital um die Führung zu kämpfen – und so heißt es in der neuen China-Strategie, zwar sei die Volksrepublik weiterhin Partner und Wettbewerber, doch rücke die systemische Rivalität immer stärker in den Mittelpunkt.

Konkret: Berlin will den eigenen Markt stärker gegen China abschotten, weniger in der Volksrepublik einkaufen, neue Produktionsstandorte suchen – kein komplettes Decoupling, das wäre nicht machbar, aber sozusagen ein Decoupling light, PR-Bezeichnung: De-Risking. Es orientiert auf eine stärkere Präsenz im Indischen und im Pazifischen Ozean, insbesondere auch militärisch, um Pekings Machtentfaltung einzudämmen. Und es will sich in China selbst intensiv einmischen, um die Volksrepublik aus der Bahn zu werfen; Stichworte wären: Xinjiang, Tibet, Hongkong. Es stimmt: Damit eskaliert der Konflikt gefährlich. Doch trotz aller Widersprüche: Das Kapital verlangt’s.

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"Wie bestellt", UZ vom 6. Oktober 2023



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