Der viertgrößte Medienkonzern der Welt macht dumm – Die Politik folgt ihm brav

Wie Bertelsmann die Demokratie abschafft

Von Klaus Stein

Anfang August waren der Presse die Ergebnisse eines kommunalen „Finanzreports“ der Bertelsmann-Stiftung zu entnehmen. Es ging um erhebliche Unterschiede in der Finanzausstattung der Gebietskörperschaften. Für den Ausgleich sind die Länder zuständig. Aber unter politischen Druck gesetzt werden angesichts der Schuldenbremse die weniger armen Kommunen. Sie sollen für einen Ausgleich bei den ärmeren sorgen. Das ist kostenneutral für die Landesregierungen. Vergeblich klagten im vergangenen Jahr NRW-Gemeinden gegen den sogenannten Kommunalsoli.

Die Bertelsmann-Stiftung lässt kaum ein politisches Thema aus. Allein in den letzten Wochen kam sie mit folgenden Studien in die Medien:

  • Unter dem Titel „Populäre Wahlen“ untersucht eine Bertelsmann-Studie mit dem Titel „Mobilisierung und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2017“ die Gründe und Motive von AfD-Wählern.
  • Der „Policy Brief 09/2017: New hope?“ analysiert in englischer Sprache die Protestbewegung gegen Putin.
  • Das „Spotlight Wirtschaft und Region“, auch eine Studie, „zeigt, wie sich Freizeiteinrichtungen über Deutschland verteilen und wie sich Unternehmen in ihrer Region für attraktive Angebote einsetzen können“.
  • Das „flashlight europe 07/2017“ erläutert die gesetzlichen Grundlagen von „Brexit“ und der Freizügigkeit in der EU.
  • Mit dem Datum 28. August 2017 wurde eine Studie zur Kita-Qualität an die Presse gegeben: „Ob ein Kind eine gute oder schlechte Kita besucht, hängt nicht nur davon ab, in welchem Bundesland es betreut wird, sondern sogar in welchem Kreis.“
  • Ebenfalls Ende August kam der „Religionsmonitor“ von Bertelsmann heraus, der Zahlen präsentierte, nach denen Muslime genauso selten arbeitslos und genauso oft erwerbstätig seien wie Nicht-Muslime. Die SPD-Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz freute sich daraufhin, dass die Integration von Muslimen viel besser sei als ihr Ruf.

Die Vorschläge von Bertelsmann werden von der herrschenden Politik gerne angenommen. Und das nicht erst seit gestern.

Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft

Im Jahr 1992 wurde die sogenannte Bildungskommission NRW berufen. Laut Ministerpräsident Johannes Rau sollte die Kommission „langfristig angelegte und gründliche Reformen“ erarbeiten. Die Kommission war „hochkarätig besetzt“. Darunter Pädagogen, Gewerkschafter und Wissenschaftler, daneben aber auch Hilmar Kopper von der Deutschen Bank und Reinhard Mohn (1921–2009), der damalige Eigentümer von Bertelsmann. Geschäftsführer der Kommission wurde Rainer Brockmeyer, langjähriger Mitarbeiter der Bertelsmann-Stiftung und am Ende auch der Autor der Denkschrift „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“. Sie prägt mittlerweile das Schulwesen in NRW ganz unabhängig davon, welches Parteibuch die Kultusministerin hat. Die Zielrichtung der Denkschrift wird unter einem Schwall von pädagogischem und Wissenschaftsjargon verborgen. Da wird von der „Pluralisierung der Lebensformen und der sozialen Beziehungen“ geschwafelt, vom Wandel der Wertvorstellungen und Orientierungen – in Wahrheit, um den weitreichenden Bildungsabbau zu verhüllen.

Eins der entscheidenden Themen der NRW-Landtagswahl am 14. Mai 2017 war „G 8“, also die Kürzung der Schulzeit, gegen die sich Schüler und Eltern schon seit Jahren wehren. Schon die Denkschrift lehnt „starre Schulzeiten“ ab. Zudem forderte sie, die Vorstellung von einem Wissenskanon aufzugeben. So etwas sei unflexibel. Lehrer sollten nicht mehr „vorrangig Wissensvermittler“ sein, sondern „Lernberater“ und „Lernhelfer“. In der Tat ist seither die Dequalifizierung von Lehrern wie von Schülern umgesetzt worden, die Entwertung von Kenntnissen und die Entsorgung von Restbestandteilen demokratischer Allgemeinbildung. Was 1992 noch Konzeption der Bertelsmann-Stiftung war, ist heute, 25 Jahre später, gesellschaftliche Realität.

Das „Hochschulfreiheitsgesetz“

Unmittelbar auf Hartz IV – übrigens auch ein Projekt von Bertelsmann – erfolgte 2005 die Abwahl der SPD in NRW. Seit 1966 hatte sie die Landesregierungen geführt. Jürgen Rüttgers (CDU) wurde jetzt Ministerpräsident und Andreas Pinkwart (FDP) verantwortlich für die Hochschulpolitik. Am 20. Dezember 2005 veröffentlicht das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) der Bertelsmann-Stiftung zehn Forderungen für ein Hochschulfreiheitsgesetz. Im Kern stand die Forderung nach Autonomie von Wissenschaft, Forschung und Lehre. Die Hochschulen sollten frei von staatlicher Gängelung und Kontrolle sein.

Minister Pinkwart reagierte am 25. Januar 2006 mit „Eckpunkten des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ auf die CHE-Vorschläge. Sie bildeten die Blaupause für seine Eckpunkte. Beispiel: Das CHE schreibt: „In verschiedenen Bundesländern ist bereits ein Modell eingeführt worden, in dem Kompetenzen vom Staat auf einen Hochschulrat übertragen worden sind, wobei die Wahl des Rektors und die Verabschiedung der Grundordnung unabdingbar dazugehören. Der Hochschulrat muss hierdurch zu einem insbesondere in strategischen Fragen wichtigen Entscheidungsorgan werden. Die Mitglieder des Hochschulrats sollten extern bestellt werden.“

Bei Pinkwart heißt es fünf Wochen später: „Der Hochschulrat tritt als neues Organ an die Stelle des Kuratoriums und besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern von außerhalb der Hochschule. Der Vorsitzende muss stets von außen kommen … Der Hochschulrat entscheidet über die strategische Ausrichtung der Hochschule und nimmt die Fachaufsicht wahr. Er beschließt über den Hochschulentwicklungsplan und die von den Hochschulen mit dem Land ausgehandelte Zielvereinbarung.“

Im Mai 2006 vom Landeskabinett beschlossen, ist das „Hochschulfreiheitsgesetz (HFG)“ seit dem 1. Januar 2007 in Kraft. Seitdem sind die Hochschulen Körperschaften des öffentlichen Rechts mit neuen Führungsorganen. Ihre Marktorientierung wird mit dem Wort Autonomie verschleiert. Neu ist vor allem der Hochschulrat, der zu einem großen Teil von den sogenannten Externen („nicht der Hochschule angehörig“) besetzt wird. Die Fachaufsicht entfällt weitgehend. Stattdessen übernimmt Bertelsmann. Pinkwart teilte mit: „Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh wird die Umsetzung des Hochschulfreiheitsgesetzes begleiten und auswerten. Staat und Hochschulen müssen ihre neuen Rollen finden und annehmen. Dies wollen wir von unabhängigen Experten begleiten lassen, damit alle von guten Beispielen lernen und mögliche Startschwierigkeiten schnell beheben können.“

Einige Monate später kann das „Handelsblatt“ triumphieren: „Manager erobern Kontrolle an den Unis“. Die „deutsche Wirtschaft“ gewinne an Hochschulen mehr und mehr Einfluss: In den neu entstehenden Hochschulräten stellten Manager bereits ein Drittel aller Mitglieder. Von den Vorsitzenden dieser Kontrollgremien komme sogar fast jeder zweite aus der „Wirtschaft“. Das Blatt zählt dann eine Reihe von prominenten Managern und Kapitalisten auf, unter anderem finden wir Susanne Klatten aus der Quandt-Dynastie im Hochschulrat der TU München.

2013 novellierte die SPD das Hochschulgesetz. Sie wollte bei der Drittmittelforschung die Hochschulen zur Veröffentlichung verpflichten, schreckte indessen nach Druck aus den Unternehmensspitzen davor zurück. Jetzt, nach der Wahl einer neuen CDU/FDP-Regierung im Mai 2017, soll das Hochschulgesetz komplett überarbeitet werden. Die Koalition ist gegen die angeblichen Durchgriffsrechte des Ministeriums, also den kümmerlichen Restbestand öffentlicher Kontrolle staatlich finanzierter Hochschulen. Öffentlich die Finanzierung, privat die Zwecke.

Die Tätigkeiten und Einflussnahmen der Bertelsmann-Stiftung sind indes noch sehr viel weiter gespannt. Auf ihrer Website schreibt die Stiftung, sie engagiere sich in der Tradition ihres Gründers Reinhard Mohn für das Gemeinwohl, und formuliert: Gesellschaft entwickeln, Bildung verbessern, Wirtschaft stärken, Kultur leben, Demokratie gestalten, Gesundheit aktivieren. Diesen Zwecken sollten Studien und Rankings, Projekte und Kongresse dienen.

Bis 2010 war die Bertelsmann-Stiftung an der Finanzierung des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP) beteiligt. Offenbar hat sie sich mit dessen Direktor Werner Weidenfeld überworfen. Er gehörte bis 2007 auch dem Vorstand der Bertelsmann-Stiftung an. Weidenfeld hatte von 1995 bis 2013 den Lehrstuhl für Politische Systeme und Europäische Einigung am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität in München inne. Das CAP war von ihm gegründet worden. CAP und Uni-Institut arbeiteten in Fragen der Entwicklung der europäischen Integration zusammen, namentlich beim Lissabon-Vertrag und beim Thema Militarisierung der EU.

Der Globalisierungsreport 2016 der Prognos AG, der im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellt wurde, sorgte sich angesichts der Kritik an den Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA um die globalisierungsbedingten Zuwächse im BIP (Bruttoinlandsprodukt). Deutschland profitiere doch davon.

Über ihre Stiftung nimmt Bertelsmann entscheidenden Einfluss auf die Gesundheitspolitik. Das Centrum für Krankenhausmanagement (CKM) ist ein so genanntes „An-Institut“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und eine Gründung der Stiftung. Es kommt heute ohne Finanzmittel der Stiftung aus.

Die Gemeinwohlorientierung der Bertelsmann-Stiftung ist so zweifelhaft wie ihre steuerbegünstigte Konstruktion. Der Stiftung gehört zwar seit 1993 die Mehrheit der Anteile des Bertelsmann-Konzerns, sie besitzt jedoch keine Stimmrechte. Bei Bertelsmann, dem Konzern, haben wir es mit dem viertgrößten Medienmonopol der Welt zu tun. Zu ihm gehört die RTL Group, Penguin Random House, Gruner + Jahr, BMG Rights Management GmbH, Arvato, die Bertelsmann Printing Group, Bertelsmann Education Group und Bertelsmann Investments mit weltweit 116 000 Beschäftigten und einem Umsatz von 17 Mrd. Euro.

H Die RTL Group SA betreibt 57 Fernseh- und 31 Radiosender in Europa. Es gibt keinen größeren Betreiber von werbefinanziertem Privatfernsehen und Privatradio. 9 263 Mitarbeiter erzielten 2016 einen Umsatz von 6,2 Mrd. Euro.

  • Penguin Random House ist der weltweit größte Verlag für Bücher. Zum Unternehmen gehören rund 250 Verlage auf fünf Kontinenten. Bertelsmann hält derzeit 53 Prozent am Unternehmen. 10 582 Mitarbeiter erzielten 2016 einen Umsatz von 3,4 Mrd. Euro. 2010 erschien bei Random House das Buch von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ und erreichte eine Auflage von 1,5 Millionen, nachdem Bertelsmann-Zeitschriften und -Sender das Buch propagiert hatten.
  • Die Gruner + Jahr GmbH & Co. KG wurde 2014 zu 100 Prozent von Bertelsmann übernommen. Der Verlag gibt allein über 300 Zeitschriften und Magazine heraus. 10 877 Mitarbeiter erarbeiteten 2016 einen Umsatz von 1,6 Mrd. Euro.
  • Das Dienstleistungsunternehmen Arvato beschäftigt 68 463 Mitarbeiter, die 2016 einen Umsatz von 3,8 Mrd. Euro erwirtschafteten. Arvato-Mitarbeiter erledigen Arbeit, die Städte und Gemeinden mangels Personal nicht mehr bewältigen. Neuerdings arbeiten für Arvato 500 Mitarbeiter in einem so genannten „Löschzentrum“ in Essen. Das Berliner „Löschzentrum“ wird auf 700 Mitarbeiter aufgestockt. Sie prüfen Facebook-Inhalte und entfernen strafbare und beleidigende Einträge, Folge des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vom 30. Juni 2017. Es setzt die private Netzzensur ohne Widerspruchsmöglichkeit und Rechtsmittelvorbehalt durch.

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"Wie Bertelsmann die Demokratie abschafft", UZ vom 17. November 2017



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