Fast 17 Jahre nach dem im Jahr 2000 begangenen Bombenanschlag am S-Bahnhof Wehrhahn in Düsseldorf, bei dem zehn mehrheitlich jüdische Bürger aus Osteuropa verletzt worden waren und eine Frau ihr ungeborenes Baby verloren hatte, hat die Polizei am vergangenen Mittwoch den Neonazi Ralf S. festgenommen.
Rund 100 Antifaschisten forderten am vergangenen Freitagabend im Rahmen einer spontan organisierten Kundgebung, die in unmittelbarer Nähe zum damaligen Tatort stattfand und die vom antifaschistischen Bündnis „Düsseldorf stellt sich quer“ organisiert worden war, die Umstände der Tat „lückenlos aufzuklären“ und den Bombenanschlag nicht – wie sich bereits abzeichnet – als die Tat eines Einzelnen abzutun. Der Linke-Innenpolitiker Jasper Prigge, der als Redner an der Kundgebung teilnahm, sprach sich für die „Neueinsetzung eines Untersuchungsausschusses im NRW-Landtag nach der Landtagswahl“ aus, der „rechtsterroristische Netzwerke, die in NRW aktiv waren und sind“, ausleuchten solle. Trotz der anhaltenden neofaschistisch motivierten Gewalt in Städten wie Dortmund verharmlose NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) die Aktivitäten von Neonazis nach wie vor. „Ernsthafte Konsequenzen aus dem Terror des NSU hat die Landesregierung bis heute nicht gezogen“, kritisierte der Innenpolitiker. Weitere zahlreiche Fragen seien noch ungeklärt, beispielsweise über welche Erkenntnisse der NRW-Verfassungsschutz verfüge. Prigge erneuerte auch seine Forderung, „auch die vom Dortmunder Neonazi Michael Berger im Jahr 2000 begangenen Morde an den drei Polizeibeamten neu aufzurollen und endlich aufzuklären“.
Ähnlich äußerte sich der Zusammenschluss „Düsseldorf stellt sich quer“: „Wie beim NSU wird versucht, neonazistische Strukturen auf einige wenige oder Einzelne herunterzubrechen“, erklärte Bündnissprecher Thomas Bose. Dabei existiere mindestens ein Unterstützer-Umfeld. „Man ging gemeinsam auf dieselben Veranstaltungen, Ralf S.‘s Waffenladen war fester Bestandteil der Neonaziszene“, erinnerte er. „Die Leugnung der Existenz neonazistischer Strukturen durch die Ermittlungsbehörden hat seinerzeit die Aufklärung des Wehrhahn-Anschlags massiv behindert“, schätzt auch Özlem Alev Demirel ein, Landessprecherin der Linkspartei. Tatsächlich wurden die Opfer des Anschlags – ähnlich wie der der Mordserie des neofaschistischen Terrornetzwerkes „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) – selbst verdächtigt, mit dem Anschlag zu tun zu haben. Neben einer umfassenden Aufklärung des Anschlags sei „daher auch eine Aufarbeitung der Arbeit der Ermittlungsbehörden dringend notwendig“, forderte Demirel. Es habe schließlich auch in diesem Fall „ein unvorstellbares Versagen der staatlichen Behörden“ gegeben.
Nach dem Anschlag hatten Vertreter aus Politik und Justiz die Existenz einer neofaschistischen Szene in Düsseldorf bestritten, obwohl diese sehr umtriebig war. Sie schlossen gar aus, dass der Anschlag von Neofaschisten begangenen worden sei, da es ja schließlich kein Bekennerschreiben gab, wie es damals zur Begründung hieß. Im Düsseldorfer Stadtteil Flingern „existierten damals die Wohnstätten vieler Mitglieder der ‚Kameradschaft Düsseldorf‘ und ihre Infrastruktur befand sich nur wenige hundert Meter entfernt, z. B. die Direktleitung des ‚Nationalen Infotelefon Rheinland‘ in dem Zimmer des Kameradschaftsführer auf der Birkenstraße“, hieß es seitens „Düsseldorf stellt sich quer“. Tatsächlich hatten sowohl der damalige PDS-Ratsherr Frank Laubenburg als auch der mittlerweile aufgelöste „Koordinierungskreis antifaschistischer Gruppen in Düsseldorf und Umland“ (Antifa-KOK) nur einen Tag nach der Tat auf eine mögliche Verbindung von Ralf S. mit dem Düsseldorfer Bombenanschlag hingewiesen. Der von ihm betriebene „Survival Security & Outdoor“-Laden lag auf der Gerresheimer Straße, an die die S-Bahnstation Düsseldorf-Wehrhahn unmittelbar angrenzt. Dort traf sich damals auch regelmäßig die „Kameradschaft Düsseldorf“. „Es ist gut, dass die Ermittlungen endlich auf einen Tatverdächtigen hinweisen. Auch wenn die Ermittlungsarbeiten noch nicht beendet sind“, sagt Maria Breczinski von „NSU Watch NRW“. Es müsse aufgeklärt werden, welche Kontakte zwischen S. und anderen Neonazis, beispielsweise von der „Kameradschaft Düsseldorf“ bestanden hätten. „Dass er die Tat alleine begangen haben soll und es keine Mitwisser gegeben hat, ist angesichts dieser Hintergründe deutlich anzuzweifeln“, so Breczinski. „Zentrale Fragen für uns sind: Was wusste der Verfassungsschutz? Und gab der Geheimdienst sein Wissen an die Polizei weiter?“, so „NSU Watch NRW“-Sprecherin Maria Breczinski. Schließlich müsse davon ausgegangen werden, dass auch die Düsseldorfer Neonazi-Szene von V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war, so Breczinski weiter. Die Behörden und politisch Verantwortlichen lobten hingegen die Ermittlungsarbeit der Polizei und sehen offenbar weder Grund zur Selbstkritik noch zur Aufklärung dieses neuerlichen Skandals.