Die Geier holen sich die Beute und sorgen für eine genehme Regierung

Wie Argentinien unterworfen wird

Von Lucas Zeise

Der 30. März 2016 markiert die vollständige Unterwerfung Argentiniens unter das Diktat des Finanzkapitals. In einer Nachtsitzung billigte der Senat des flächenmäßig zweitgrößten Landes Südamerikas den Vergleich zwischen dem Ende vorigen Jahres gewählten Präsidenten Mauricio Macri und dem New Yorker Hedge-Fonds Elliott. Danach wird Argentinien fast alle dessen Ansprüche erfüllen und einschließlich aufgelaufener Zinsen eine Summe von etwa 15 Mrd. Dollar an diesen und andere Fonds aus alten, noch in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts begebenen Staatsanleihen auszahlen. Die Niederlage Argentiniens ist ähnlich komplett wie die Griechenlands im Sommer 2015. In beiden Fällen ging es um die Staatsschulden und die Knebelverträge, die Gläubiger den Regierungen dieser Länder auferlegt haben.

Argentinien hatte 2001 den bis dahin nominal größten Staatsbankrott weltweit hingelegt. Eine Verschuldungssumme von mehr als 100 Mrd. Dollar konnte nicht mehr bedient werden. Die Staatsschulden Argentiniens waren deshalb so hoch, weil die damalige – rechte, USA-freundliche – Regierung unter Carlos Menem ab 1992 den argentinischen Peso fest an den Dollar gekettet hatte. Der Zweck der Dollarbindung der eigenen Währung besteht eben gerade darin, dass die Käufer von argentinischen Anleihen, also Schulden keine Abwertung befürchten müssen, was ihre Investition in Dollar, D-Mark oder Euro gerechnet plötzlich weniger wert macht. Nicht nur die argentinische Zentralregierung, auch die Provinzen des Landes und – wichtiger noch – die Banken, die Handels- und Industriefirmen des Landes taten sich dank der Dollarbindung leicht, sich im Ausland zu verschulden. Sie gingen dazu über, Schulden gleich in den Weltwährungen Dollar und Euro zu machen, was das Abwertungsrisiko für die Gläubiger auf Null senkte. All das brachte die Wirtschaft zunächst in Schwung. Jedoch sorgte die Dollarbindung des Peso dafür, dass er relativ zu den Währungen der Nachbarländer, insbesondere Brasiliens, teurer wurde und damit argentinische Produkte ebenfalls vergleichsweise teuer machte. Die Folge waren stagnierende Exporte und steil steigende Importe – also ein explodierendes Außenhandelsdefizit. Schon 1998 glitt Argentinien in die Rezession.

Unternehmen, Banken, Provinzen und schließlich auch der Zentralstaat hatten immer größere Schwierigkeiten, die hohen Schulden zu bedienen. Wie in solchen Fällen üblich, schossen die Zinsen für neue Schuldaufnahme nach oben, was die Lage aussichtslos machte. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF), der zuvor die Dollarbindung des Peso befürwortet hatte, weigerte sich, frisches Geld zu liefern. Am 10. Januar 2002 entschied die Regierung, den Peso abzuwerten. Damit war die Pleite des Landes offiziell. Es war faktisch ohne Währung. Im Inland wurde Notgeld verwendet. Für Waren aus dem Ausland wurde es nicht akzeptiert. Die Einfuhr kam zum Erliegen. Das betraf nicht nur Produkte des täglichen Bedarfs sondern auch Vorprodukte für die industrielle Produktion, die damit in vielen Sektoren zum Stillstand kam. Das Resultat war eine tiefe Wirtschaftskrise, in der das offiziell gemessene Bruttoinlandsprodukt um 21 Prozent einbrach, die Armutsquote auf über 50 Prozent der Bevölkerung stieg und die Sterberate hochschnellte.

Erst als die Preise für Grund und Boden, Fabriken, Anlagen und Kapitalgüter sehr tief gefallen waren, erholte sich die Wirtschaft. Kapitalisten, die ihr Geld vor Einbruch der tiefen Krise ins Ausland geschafft hatten, kauften sich billig ein. Sie waren in der Lage, in Fremdwährung Rohstoffe und Halbfertigwaren einzukaufen. Sie konnten dank dieser Ausgangslage und dank der nun extrem niedrigen Löhne lohnende Geschäfte machen. Die Wirtschaft gewann wieder Schwung.

Unter dem 2003 zum Präsidenten gewählten Linksperonisten Néstor Kirchner erreichte der argentinische Staat 2005 eine Übereinkunft über die Staatsschulden, der mehr als 76 Prozent der damaligen Gläubiger zustimmten. Danach erhielten sie neue Anleihen, deren Nominalwert etwa 30 Prozent der alten Anleihen entsprach. Die neuen Anleihen wurden nach argentinischem Recht, nicht wie die alten nach US-Recht begeben. Zugleich garantierten Regierung und Parlament den zur Umschuldung bereiten Gläubigern, dass sie keinesfalls schlechter gestellt werden würden als diejenigen, die dem Deal nicht zugestimmt hatten. Diese Garantie hat das Parlament nun offiziell aufgehoben.

Der bekannteste derjenigen Altgläubiger, die auf der kompletten Rückzahlung der Altanleihen bestehen, ist jener Hedge-Fonds Elliott Management und sein Eigentümer, ein Milliardär namens Paul Singer, wohnhaft in New York. Sein Fonds kaufte Anleihen zu einem Bruchteil ihres Nennwertes noch zu, als die Staatspleite längst offensichtlich war. Fonds, die im Konkursfall Schulden von Unternehmen, Institutionen oder Staaten zu Ramschpreisen erwerben und auf Wertzuwachs dieser Schulden spekulieren, bezeichnen die Banker der Welt treffend als „Geierfonds“. Die Strategie Elliotts und die der anderen Geier sollte sich als goldrichtig erweisen.

Sie fochten vor US-Gerichten die 2005 erzielte Umschuldung an. Neben einigen Erfolgen erwies sich dabei 2012 eine Entscheidung des US-Bundesrichter Thomas Griesa als besonders wirksam. Er untersagte es US-Banken, die Zahlungen Argentiniens an jene Gläubiger weiterzuleiten, die dem Schuldenschnitt von 2005 zugestimmt hatten. Das Recht der Geier, auf dem vollen Betrag aus den Altanleihen zu bestehen, gehe vor, denn US-Recht sei vorrangig vor irgendwelchen argentinischen Parlamentsbeschlüssen. Der Effekt war, dass Argentinien zwar zahlen wollte, aber nicht konnte und somit in „Zahlungsverzug“ geriet, was der vornehme Ausdruck für „Pleite“ ist.

Das Land war damit wieder von jeder Schuldenaufnahme im Ausland abgeschnitten. Nicht nur seine Regierung, sondern – viel wichtiger – die Banken und sonstigen Kapitaleigner waren im Ausland nicht mehr kreditwürdig – oder allenfalls zu miserablen Konditionen, also untragbar hohen Zinsen. Das verschärfte die wieder beginnende Rezession. Das Groß-, Klein- und Mittelbürgertum Argentiniens protestierte. Die Massen wurden unzufrieden. Die Partei der früheren Präsidentin Christina Kirchner wurde ab- und der stramm neoliberale Macri neu gewählt. Er hatte versprochen, sich mit den Geiern zu einigen und hielt Wort. Zur Abrundung des Bildes: Der neue Präsident erhielt zum Dank für die Unterwerfung unter das globale Finanzsystem die Ehre, US-Präsident Barack Obama in Buenos Aires empfangen zu dürfen. Auch wurde Macri als Direktor einer Briefkastenfirma in der Karibik enttarnt. Das wird die Argentinier nicht überrascht haben. Weil er einer von dieser Sorte ist, wurde er schließlich gewählt.

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"Wie Argentinien unterworfen wird", UZ vom 15. April 2016



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