Zur Debatte um das Bürgergeld

Widerwärtig

Das Schauspiel um das Bürgergeld ist abstoßend wegen des schreienden Kontrastes zwischen der Freigiebigkeit, mit der die Herrschenden in diesem Land Milliarden über Milliarden für ihren Aufrüstungskurs ausgeben, und der sturen Geizhaltung, mit der dieselben Leute Menschen gegenübertreten, die aus Angst vor der nächsten Gasrechnung und Sorgen um Kleidung und Nahrungsmittel für ihre Kinder nicht in den Schlaf kommen.

Abstoßend ist das Geschachere auch wegen der durchsichtigen Manöver, mit der die einen – vor allem CDU/CSU – die Erhöhung der Regelsätze abkoppeln wollen von der leisen Erweiterung von Grenzen für das Schonvermögen, und die anderen – die Regierungsparteien – sehenden Auges akzeptieren, dass beim Pokerspiel zwischen Bundestag und Bundesrat dann eben mitten im Winter noch nicht einmal die viel zu kleine Erhöhung der viel zu niedrigen Regelsätze zu erwarten ist. Wechselseitig werden so die Ärmsten in politische Geiselhaft genommen.

Nach der Debatte hat der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz in einem Interview für die „Welt am Sonntag“ seine Positionen zusammengefasst. Dort hat er die leisen Verbesserungen bei „Menschen, die eigentlich arbeiten könnten“, als „Verhöhnung aller derjenigen“ bezeichnet, „die jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit fahren“. Die von SPD, Grünen und FDP weiter vorgesehenen Sanktionen – also Hiebe für „Bürger“, die künftig vom „Bürgergeld“ leben müssen – würden nur in „geradezu homöopathischen Dosen“ verabreicht. Ihm ist eine Kürzung bis zu 30 Prozent der Leistungen nicht genug.

Dieser Mann will nicht nur Arbeitende und Arbeitslose spalten. Ein ganzes Gedankenuniversum ist er entfernt vom marxistisch-humanistischen Menschenbild, nach dem Menschen gerne arbeiten, wenn die Verhältnisse nur so wären, dass sie nicht ausgebeutet und durch die Arbeit sich selbst entfremdet würden. Für ihn sind Menschen Arbeitstiere, die mit Zuckerbrot und Peitsche gezwungen werden müssen, sich der Ausbeutung zu unterwerfen. Von diesem Menschenbild geleitet wettert er gegen den zu zaghaften Einsatz der Peitsche. Das Darlegen dieses widerwärtigen Menschenbildes ist das Abstoßendste dieser ganzen Debatte – und seine Offenlegung gleichzeitig vielleicht ihr einziger Nutzen.

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"Widerwärtig", UZ vom 18. November 2022



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