Vier von fünf Menschen in Deutschland fürchten sich laut einer vom Vergleichsportal Verivox in Auftrag gegebenen Umfrage vor ihrer nächsten Heizkostenabrechnung. Ihre Angst ist berechtigt: Binnen eines Jahres sind die Energiepreise um 35 Prozent gestiegen.
Die Bundesregierung beschränkt sich auf kosmetische Maßnahmen. Sie plant einen einmaligen Heizkostenzuschuss von 135 Euro pro Single-Haushalt. 40 Euro mehr soll es für Paare geben und 35 Euro zusätzlich für jede weitere Person, die im Haushalt lebt. Den Zuschuss bekommen nur Wohngeldempfänger. Bezieher von BAföG und Berufsausbildungsbeihilfe sollen 115 Euro erhalten. Ein Tropfen auf die kalte Fliese im schimmelnden Bad, bestenfalls. Selbst der kommt nur 1,45 Prozent der Bundesbürger zugute. 65 Millionen werden mit ihrer Angst vor der nächsten Heizkostenabrechnung völlig alleine gelassen.
Zu dieser Angst gesellen sich in diesem „Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ – so eine ehemalige Bundeskanzlerin – noch eine ganze Reihe weiterer Ängste. Die ob der unaufhörlich steigenden Mieten zum Beispiel. Perspektive: Obdachlosigkeit. Oder die, sich und seine Familie nicht mehr vollwertig ernähren zu können, weil die Lebensmittelpreise ständig steigen. Oder das kalte Grauen, das einen beim Lesen des jährlichen Rentenbescheids überkommt. Immerhin, die Altersarmut ist sicher. Oder die Angst vor Krankheit angesichts eines Gesundheitssystems, das den Aasgeiern des Profits zum Fraß vorgeworfen wurde. Dazu die Angst vor Vereinsamung in einer Gesellschaft, in der Solidarität bestraft, psychopathischer Egoismus hingegen als Norm postuliert wird. Immer mehr Menschen rotieren im Hamsterrad des täglichen Überlebenskampfes. Ganz zu schweigen von der Angst vor Klimakatastrophe und Kriegsgefahr. Kein Wunder, dass psychisch bedingte Fehlzeiten Berufstätiger seit eineinhalb Jahrzehnten auffällig zunehmen.
Der Wahnsinn der kapitalistischen Produktionsweise gebiert Angst wie die Wolke den Regen. Davor sind selbst die Profiteure des Systems nicht ganz gefeit. Die sahnen zwar ab wie nie zuvor – seit März 2020 hat sich das Vermögen der zehn reichsten Menschen der Welt verdoppelt –, ahnen aber, dass ihre „Ordnung“ bald kollabieren könnte. Deshalb investieren sie in Luxusbunker in Neuseeland und halten ihre Privatjets jederzeit abflugbereit. Oder investieren ihr Geld in Marsmissionen wie Jeff Bezos, Elon Musk und Richard Branson.
Angst, zumal die alltägliche Existenzangst, lähmt. Uns Produzenten dieser Reichtümer muss es gelingen, sie in Widerstand zu wandeln. Wegen alledem.
Wo das gelingt, nimmt die Angst ab. Diese Erfahrung haben die Aktivisten von „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ gemacht. Auch die Beschäftigten der Berliner Charité mit ihrem erfolgreichen Kampf für einen Entlastungs-Tarifvertrag können ein Lied davon singen, was möglich ist, wenn „rings der Mensch die Bruderhand dem Menschen reicht“.