Politisch aktiv geht auf vielerlei Art

Widerstand leisten

Wie haben es die Herrschenden geschafft, eine ganze Bevölkerung in eine Art Schockstarre zu versetzen, die Volkswirtschaft zu mehr als zwei Dritteln lahmzulegen und fast alle medialen Kanäle gleichzuschalten? Man möchte fast den Hut ziehen vor den politökonomischen Kräften, die die sich bietende Gelegenheit einer viralen Pandemie so geschickt genutzt haben. Nicht nur eine großangelegte Notstandsübung ist im Gange, sondern auch ein sozialpsychologisches Experiment größeren Ausmaßes. Das Phänomen trägt den Namen „Angst“, die unerklärlich diffuse Vorstellung von einem „Gegner“, der nicht zu sehen ist, wenn man von den schön-gefährlichen Grafiken des Virus absieht, das überall und gegen jeden lauert. Mächtige Wortbilder werden genutzt, da ist von der „Welle“, die Rede, die über uns hereinbrechen kann, von einer „Flut“, die das ganze Land überschwemmen wird. Die „asiatische Gefahr“ ist noch nicht gebannt, „wilde Tiere“ müssen herhalten, um überhaupt einen Feind benennen zu können. Die anale Fixierung bei vielen Menschen, die Angst vor dem „Unreinen“, dem Schmutz, dem Klebrigen, führte nicht nur zu Hamsterkäufen bei Toilettenpapier, in seltener Einmütigkeit waschen sich alle häufig die Hände.

Das christliche Osterfest steht uns bevor, gefeiert als Auferstehung und Erlösung. Jede Wette, dass die Sonntagsreden der Herrschenden uns mit den Bildern trösten wollen, die uns Hoffnung auf das Licht am Ende der Pandemie versprechen werden?

Für uns, die wir historisch-materialistisch uns die Welt aneignen, kann und darf die Starre kein Mittel und kein Weg sein, neben der Unterstützung der richtigen politischen Forderungen wie „Beendigung aller Sanktionen“, der Finanzierung der Belastungen für die arbeitenden Menschen durch eine längst überfällige Steuer auf große Vermögen, der Entlastung des Personals im Gesundheitswesen untätig zu bleiben. Viele haben nun Zeit, die ihnen sonst fehlt, sich einen anderen Blick zu erlauben. Hier ein paar Vorschläge:

Fünf Bücher der „Kinder des Widerstandes“ sind es mittlerweile:

Töchter und Söhne sowie Freundinnen und Freunde von Verfolgten des Naziregimes und Widerstandskämpferinnen und -kämpfern melden sich zu Wort und erzählen die Geschichte ihrer Eltern und Vorbilder. Vor einigen Jahren haben sich Alice Czyborra, geb. Gingold, Inge Trambowsky, geb. Kutz, Traute Sander, geb. Burmester, und Klara Tuchscherer, geb. Schabrod aus Nordrhein-Westfalen zusammengefunden und damit begonnen, die Geschichten ihrer Familien aufzuschreiben. Sie kommen alle aus Arbeiterfamilien. Ihre Angehörigen hatten Widerstand gegen das Naziregimes geleistet und wurden deswegen verfolgt. 50 von ihnen haben inzwischen ihre Geschichte aufgeschrieben. So wie ihre Angehörigen sind einige der Autorinnen und Autoren aktive Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA). Im Jahr 2015 veröffentlichten sie die erste Broschüre mit acht autobiographischen Beiträgen. Ihre Initiative zog Kreise. Inzwischen gibt es vier weitere Veröffentlichungen unter dem gleichen Titel. Die Schriften „Kinder des Widerstandes“ sind lieferbar über die Mail-Adresse: nrw@vvn-bda.de

Die Willi-Bredel-Gesellschaft e. V., Hamburg, macht uns aufmerksam auf die Trilogie „Die Väter“, „Die Söhne“ und „Die Enkel“ von Willi Bredel. Sie sind bei Aufbau Digital veröffentlicht und kosten jeweils 8,99 Euro. Sehr empfehlenswert ist auch der digital hervorragend restaurierte Film „Verwandte und Bekannte“ des DDR-Fernsehens von 1971, der nun auf einer Doppel-DVD veröffentlicht worden ist. Sie enthält ein achtseitiges Booklet zum Autor Willi Bredel, der literarischen Vorlage und zur Rezeption des Films von Hans-Kai Möller. Die DVD ist bei Studio Hamburg Enterprises in der Reihe „DDR TV-Archiv“ erschienen und kostet 19,95 Euro. Die DVD und viele antiquarische Buchausgaben von Bredels Werken sind zu Nicht-Corona-Zeiten direkt oder auch per Post erhältlich: Willi-Bredel-Gesellschaft Geschichtswerkstatt e.V., Im Grünen Grunde 1C, 22337 Hamburg; E-Mail: willi-bredel-gesellschaft@t-online.de

Unser Autor Ken Merten schickte uns die Besprechung eines YouTube-Films:

Azzi Memo ist Rapper kurdischer Abstammung. Er lebt in Hanau. Gemeinsam mit 16 anderen Rappern und einer RnB-Sängerin hat er jetzt den achtminütigen Song „Bist du wach?“ herausgebracht. Er soll an die Opfer des faschistischen Terroranschlags in Hanau im Februar erinnern. Dass sich Musiker mit Migrationshintergrund – schon alleine weil sie Faschisten als Zielscheibe dienen können – zusammentun und einen Track gegen faschistische Gewalt machen, ist hierzulande nichts Neues. 2001 brachten die Brothers Keepers, darunter Rapper wie Afrob und Samy Deluxe, den Song „Adriano – Letzte Warnung“ heraus und gedachten dabei des ein Jahr zuvor in Dessau von Faschisten totgeschlagenen gebürtigen Mosambikaners Alberto Adriano. Eine ungemein kämpferische Ansage an das Mörderpack, die da gemacht wurde.

Viel hat sich seitdem verändert – leider nicht zum Guten. Xavier Naidoo, der für die Brothers Keepers noch den Refrain sang, stellt „der braunen Scheiße“ nichts mehr entgegen, er ist selber Faschist. 2001 waren es noch Bilder vom CDU-Parteitag im Musikvideo, die auf systemischen Rassismus hinwiesen. Jetzt sind es Bilder von AfD-Politikern. Nicht etwa, weil die CDU antifaschistisch geworden ist. Sondern weil der Rechtsruck offene Menschenverachtung auch im Parteiformat salonfähig macht.

„Jeder der zulässt, dass Faschos zu Wort kommen, hat selber Blut an den Händen“, rappt Kool Savas in „Bist du wach?“, einem Song, der die richtigen Fragen zur richtigen Zeit stellt.

In der Akademie der Künste Berlin „eröffnete“ eine Ausstellung, die in diesen Zeiten nicht so besucht werden kann, wie man das eigentlich möchte. Unter dem Titel „Heartfield – Fotografie plus Dynamit“ ist eine umfassende Sammlung der künstlerischen und politischen Arbeiten dieses hervorragenden Künstlers zu sehen. Es war schon bei der Konzeption und Kuratierung der Ausstellung daran gedacht worden, für die Interessenten, die nicht nach Berlin kommen wollen und können, die gesamte Materialsammlung auch online verfügbar zu machen. Das ist großartig gelungen, die Aufbereitung ist dem Medium angemessen, natürlich vermisst man den direkten Blick, die sogenannte Aura der Bücher, Plakate und Zeichnungen, dafür wird man aber mit einer Fülle von Hintergrundgeschichten und -informationen versorgt, die den Abstand erträglich machen.

Den Zugang findet man über www.adk.de/de/projekte/2020/heartfield

Ein Wiener Freund und Genosse hat die Zeit genutzt, um eine kleine, aber ständig wachsende Anzahl von literarischen Texten, besonders Gedichten und Liedern der deutschsprachigen Arbeiterbewegung, in ein neues Portal einfließen zu lassen. Da gibt es manches zu entdecken, was man nicht kannte oder leider vergessen hatte, eine Fundgrube, die hoffentlich viele Freunde findet. Zu finden ist das Ganze unter: proletkult.at/textarchiv

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"Widerstand leisten", UZ vom 10. April 2020



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