„Seit Jahren“, bemerkt eine Kollegin im Gespräch mit anderen, „hatten wir keinen richtigen Sommer mehr.“ Die anderen nicken. „Richtiger Sommer“ heißt bei der Post: ein massiver Rückgang der Sendungsmengen, weil Schul- und Betriebsferien, eine geringere Besetzung in den Ämtern und deutlich weniger Werbung zusammenkamen.
In dieser Zeit, die weniger Stress bedeutet, werden die Zustellbezirke alle ein bis zwei Jahre neu bemessen und neu zugeschnitten. Wer heute durch die Zustellstützpunkte der Deutschen Post geht, dem fallen kistenweise Rückstellungen oder ganze „liegengebliebene“ – also überhaupt nicht bearbeitete – Bezirke auf. Und trotzdem läuft die Neubemessung. Die Zusteller sehen sich einer brutalen Überforderung ausgesetzt. Ständig gibt es neue Abbrüche bei der Zustellung. Fehler und eine mangelhafte Qualität in der Versorgung der Bevölkerung sind programmiert.
In Kassel fanden die Kolleginnen und Kollegen an einem Dienstagmorgen deshalb ein Flugblatt an ihren Arbeitsplätzen. Die Gruppe „Kämpferische Postler“ erklärt darin: „Wem bringt die Neubemessung etwas und wem nicht? Für alle Kunden wird die Neubemessung eine Zeit der Ungewissheit.“ Schon jetzt sei es für viele unverständlich, warum samstags und montags kaum Post komme. Nun werde die Zustellung noch ungewisser. Verantwortlich sei die „Mengensteuerung“ der Post-AG, durch die massenhaft Postsendungen unterschlagen würden. „Besonders beschissen“, so die „Kämpferischen Postler“ weiter, werde es für „Ärzte, Anwälte, kleine Firmen und andere, die Fristen wahren müssen“: „Für uns wird es Krampf, wieder mehr wird die Flexi-Scheiße uns aufgedrückt, wieder mehr werden wir wegen des Personalmangels uns hetzen und die Strecken immer größer. Auf unsere Knochen werden die Milliardenprofite gemacht, auf unsere Knochen werden unsere Kollegen weggespart.“
Und es komme noch schlimmer: Es würden Prototypen einer „Zustellwand“ gebaut, an der Zustellbezirke tagesaktuell zugeschnitten würden. „Für Sortierer, das Postfach und die Vorverteilkräfte werden die Anforderungen neue sein und sicher größer. Auch sie spüren, dass sie weggespart werden sollen“, heißt es im Flugblatt. Auch für die Zustellstützpunktleitungen (ZSPL) werde so eine Neubemessung kein Zuckerschlecken. Aufgrund der Vorgaben von oben müsse „Unschaffbares“ bemessen werden. Es folgte der Aufruf, sich zu wehren: „Dienst nach Vorschrift“ und eine detaillierte Anleitung, wie das umzusetzen sei.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt nun auf der Organisation: Die Kolleginnen und Kollegen müssen mit dem Aufruf vertraut gemacht, die Inhalte diskutiert werden. Vor allem seien diejenigen zu berücksichtigen, die angreifbar seien, weil Übernahme oder Weiterbeschäftigung vor der Tür steht. Abbrüche sind häufig ein Thema, mit denen diese dann verwehrt wird. Hier müssen andere Mittel und Wege gefunden werden, wie auch diese Kolleginnen und Kollegen aktiv einbezogen werden können.
Alle Beschäftigten werden von den „Kämpferischen Postlern“ aufgefordert: „Seid solidarisch! Unterstützt euch! Diskutiert dieses Flugblatt mit euren Kollegen! Übersetzt es für die, die kein Deutsch können! Achtet auf die, die befristete Verträge haben oder Azubis sind, sie sollen um ihre Rechte kämpfen, aber ohne sich angreifbar zu machen! Kommt mit denen gemeinsam rein, die sonst dumm angemacht werden!“
Diese Aktionsform und vor allem das Ringen um eine dauerhaftere Umsetzung ist eine Lehre aus der Aktion „Dienst nach Vorschrift“ vor einem Jahr (UZ vom 29. April und 10. Juni 2022). ver.di-Betriebsgruppen hatten zu dieser Form der Aktion aufgerufen, diese aber nicht durch Anleitung, Betreuung oder Diskussion abgesichert. Auch eine Auswertung erfolgte damals nicht. Die Kolleginnen und Kollegen kämpften folglich nur für einen Tag. Dabei wurden durchaus Fortschritte gemacht. Diese spielten am nächsten Tag jedoch keine Rolle mehr. Das soll dieses Mal anders werden. Die „kämpferischen Postler“ legen Wert auf Absicherung, Anleitung, Diskussion und Organisation.